| # taz.de -- Abfall-Lawine in Ugandas Hauptstadt: Im Müll versunken | |
| > Schon lange fürchteten Hausbewohner am Rande einer Müllkippe in Kampala, | |
| > von den Unratmassen begraben zu werden. Nun sind mindestens 30 Menschen | |
| > tot. | |
| Bild: Auch fünf Tage nach dem Unglück in Kampala suchen Einsatzkräfte mit Ba… | |
| KAMPALA taz | Die Stimme von Fred Mutaawe zittert immer noch, während er | |
| vom vergangenen Samstag erzählt: „Im Halbschlaf hörte ich meine Nachbarn | |
| rufen: Raus aus den Häusern! Lauft!“ Es war noch früh am Morgen, gegen halb | |
| acht. Mutaawe lag noch im Bett: „Noch bevor ich meine Augen öffnen konnte, | |
| hörte ich einen lauten Knall und die Erde bebte“, erzählt er. Als er sich | |
| im Bett aufrichtete, war das halbe Haus begraben: „Ich konnte mich gerade | |
| noch aus einem Fenster hinausretten.“ | |
| Der 28-Jährige und seine Familie hatten Glück. Als die gewaltige Lawine aus | |
| Abfällen am Stadtrand von Ugandas Hauptstadt Kampala den Hang hinabrutschte | |
| und bis zu 100 Häuser unter sich begrub, waren seine zwei Kinder über das | |
| Wochenende bei den Großeltern. Seine Frau arbeitete bereits auf dem Markt, | |
| wo sie Gemüse verkauft. „Mein Bett war das Einzige im Haus, das nicht | |
| verschüttet wurde“, erzählt er. Doch von seinen Habseligkeiten habe er | |
| nichts retten können. „Alles, was ich noch besitze, sind die Kleider, die | |
| ich zum Schlafen anhatte“, sagt er und zeigt auf seine Füße: Die Flipflops, | |
| die er trägt, hätten ihm seine Nachbarn geliehen. | |
| Dort, wo noch bis Samstag Mutaawes Haus stand, türmt sich jetzt ein | |
| gewaltiger, stinkender Berg aus schwarzem Morast, aus dem knallbunte | |
| Plastikflaschen- und Tüten herausragen. Die Müllhalde am Stadtrand, im | |
| Bezirk Kiteezi, macht der Stadtverwaltung (KCCA) schon seit Jahren | |
| Probleme. Als sie 1996 angelegt wurde, war diese quasi ein Loch zwischen | |
| drei Hügeln. Lastwagen konnten auf einen der Hügel hinauffahren und einfach | |
| alles abladen: Der unsortierte Müll rutschte dann automatisch den Hang | |
| hinab. Doch seit 2008 ist das Loch voll. | |
| Bereits damals erklärte die Stadtverwaltung, man müsse unbedingt eine neue | |
| Müllhalde anlegen. Jahrelang wurde nach geeigneten Standorten im | |
| Speckgürtel der Hauptstadt gesucht. Anwohner und lokale Abgeordnete gingen | |
| jeweils auf die Barrikaden. Es kam keine Einigung zustande. Also wurde | |
| stets weiter der Müll in Kiteezi angehäuft. | |
| ## Mülltrennung? Fehlanzeige | |
| Rund 2.500 Tonnen Abfälle fallen täglich in der Hauptstadt mit ihren rund 2 | |
| Millionen Einwohnern an. Knapp 1.200 Tonnen davon werden mit Lastwagen | |
| eingesammelt und in Kiteezi abgeladen, der Rest wird verbrannt oder endet | |
| in den Straßengräben. | |
| In Uganda gibt es keine Mülltrennung: Von der Bananenschale bis zum | |
| Elektroschrott landet alles unsortiert auf einem Haufen. Das einstige Loch | |
| zwischen den Hügeln in Kiteezi ist selbst zu gewaltigen Bergen angewachsen. | |
| Mittlerweile türmen sich die Müllhaufen so hoch, dass sie alles überragen. | |
| Einer dieser willkürlich aufgeschütteten Haufen hat sich am vergangenen | |
| Samstagmorgen nach heftigen Regenfällen in der Nacht zuvor wie eine | |
| gewaltige Lawine ins Tal ergossen. | |
| Sechs Schaufelbagger sind nun dabei, Stück für Stück den Morast abzutragen, | |
| um nach Verschütteten zu suchen. Mit jedem Hieb der Schaufeln steigt mehr | |
| Gestank empor; unendlich viele Fliegen summen umher; rostbraunes, | |
| verseuchtes Abwasser tropft von den Baggerschaufeln. Einige der | |
| Baggerfahrer haben sich zwei oder gar drei Coronamasken über das Gesicht | |
| gezogen, um den Gestank zu ertragen. | |
| Gerade einmal 14 Menschen konnten sich, wie Mutaawe, befreien, einige | |
| mussten im Krankenhaus behandelt werden. Bereits 30 Leichen wurden in den | |
| vergangenen Tagen geborgen, doch noch immer wird nach Vermissten gesucht. | |
| Die Hoffnung, nach knapp einer Woche weitere Überlebende zu finden, ist | |
| gleich null, so das für die Bergung zuständige Rote Kreuz. | |
| ## Seit Jahren streitet die Politik wegen des Mülls | |
| Mit gelbem Absperrband haben Polizisten die Umgebung rund um den | |
| Unglücksort abgesichert. „Hier darf niemand durch“, erklärt einer der | |
| Uniformierten und zeigt auf einen weiteren Müllberg am Horizont. Die | |
| Regenzeit setzt so langsam ein. „Es besteht das Risiko, dass es eine | |
| weitere Lawine gibt“, so der Polizist. Deswegen hat die Stadtverwaltung | |
| entschieden, dass alle noch stehenden Häuser im Umkreis von 200 Metern | |
| evakuiert werden müssen. | |
| Proscovia Nabafus Haus ist mit einem roten Kreuz an der Hauswand markiert. | |
| Die 44-jährige Mutter von vier Kindern packt in ihrem Wohnzimmer Teller und | |
| Tassen in eine Kiste. „Mir wurde gesagt, ich muss das Haus räumen“, sagt | |
| sie und schluchzt dabei verzweifelt. „Doch wo soll ich denn hin?“ Ihre | |
| Kinder habe sie zu Verwandten gebracht, damit sie in Ruhe ihre Sachen | |
| einpacken kann. Sie zeigt auf die Hühner im Garten und die Bananenstauden, | |
| die Früchte tragen. „Was soll nun aus all dem werden?“, klagt sie. | |
| Als sie vor zwölf Jahren von ihren Ersparnissen das Grundstück gekauft und | |
| das Haus gebaut hat, gab es noch keine Müllberge in der Nachbarschaft. „Das | |
| Loch, wo der Müll abgeladen wurde, war hinter diesen Hügeln, wir bekamen | |
| davon fast nichts mit“, sagt sie. Doch in den vergangenen Jahren wuchs | |
| einer der Müllhaufen immer näher an ihr Haus heran. Damit kamen zahlreiche | |
| Probleme, sagt sie: „Der Gestank, die Schmeißfliegen – es war so | |
| unerträglich, dass ich meine Kinder nicht mehr draußen spielen lassen | |
| konnte, sie waren ständig krank und husteten“, sagt Nabafu und guckt nach | |
| oben, hinter ihr Haus, wo ein weiterer Abfallhaufen wie eine Düne | |
| emporragt: „Wir hatten immer Angst, dass dies eines Tages passiert.“ | |
| Seit Jahren streiten sich Ugandas Behörden und Politiker wegen der | |
| Müllentsorgung. [1][Während umliegende Länder wie Ruanda und Kenia | |
| bereits auf Mülltrennung umgestiegen sind], Plastik recyceln und in | |
| Kompostanlagen Biogas herstellen, hat Ugandas Regierung diesen Trend | |
| bislang verpasst. Erst vergangenes Jahr wurde der nationale | |
| Müllentsorgungsplan ausgerufen, doch die Umsetzung geht nur langsam voran. | |
| ## Der Präsident lässt sich lieber nicht blicken | |
| Seit 2016 verfolgt die Stadtverwaltung zwar die Idee, eine richtige Deponie | |
| anzulegen, wo Müll fachgerecht getrennt, entsorgt und gehäuft wird. Doch | |
| für die Umsetzung fehlt schlicht das Geld. Denn Kampalas Stadtverwaltung | |
| ist schon seit Jahrzehnten in der Hand der Opposition. Bei der | |
| Haushaltsplanung, die im Parlament mehrheitlich von der Regierungspartei | |
| dominiert wird, fällt für Kampalas Behörden deswegen kaum etwas ab. „Das | |
| Budget für einen nationalen Müllentsorgungsplan kann nicht allein mit | |
| unserem Haushalt gestemmt werden“, hatte Frank Rusa, Vorsitzender der | |
| KCCA-Rechtsabteilung bei einer Pressekonferenz am Mittwoch erbittert | |
| erklärt. „Dazu sind die Kosten viel zu hoch.“ | |
| [2][Präsident Yoweri Museveni] hingegen macht nun die Stadtverwaltung | |
| verantwortlich. In einem Post auf X (ehemals Twitter) sprach er am Sonntag | |
| den Familien sein Beileid aus und fragt im selben Atemzug: „Wer hat den | |
| Leuten erlaubt, in der Nähe eines solchen verseuchten und gefährlichen | |
| Müllhaufens zu leben?“ Statt sich selbst ein Bild von der Katastrophe zu | |
| machen, richtete er eine Untersuchungskommission ein, in welcher seine | |
| höchsten Generäle vertreten sind, und schickte Premierministerin Robinah | |
| Nabbanja zum Besuch am Katastrophenort. | |
| Wohl mit gutem Grund: In den engen Gassen der Armenviertel in Kiteezi | |
| herrscht die Oppositionspartei NUP (National Unity Platform) unter ihrem | |
| Vorsitzenden Robert Kyagulanyi, [3][bekannt unter seinem Künstlernamen Bobi | |
| Wine], der sich seit Jahren gegen Museveni auflehnt. Premierministerin | |
| Nabbanja wurde von den Einwohnern mit Schimpftiraden empfangen. Unter | |
| Soldatenschutz versprach sie den Angehörigen der Toten umgerechnet rund | |
| 1.200 Euro und den Verletzten rund 250 Euro Entschädigung. Nabafu seufzt, | |
| während sie Gläser in Zeitungspapier einwickelt. „Dieses Geld ist so gering | |
| und wird in Anbetracht der Korruption sowieso nie bei uns ankommen.“ Dann | |
| packt sie eine Tasche mit Kleidern und Lebensmitteln, um sich auf den Weg | |
| zum Camp zu machen. | |
| Im Hof der nahe gelegenen Grundschule von Kiteezi hat das Rote Kreuz | |
| gewaltige weiße Zelte errichtet. Rund 120 Menschen, die meisten davon | |
| Kinder, sitzen und liegen darin auf einfachen Planen. Dahinter sind sieben | |
| Toilettenhäuschen aufgestellt. Matratzen, Klopapier, Seife – alles ist | |
| Mangelware. Dabei treffen stündlich mehr Menschen wie Nabafu ein, die nicht | |
| mehr in ihren Häusern schlafen dürfen. „Das Katastrophenschutzministerium | |
| hat Lebensmittel bereitgestellt und uns beauftragt, diese Menschen hier | |
| einige Wochen zu versorgen“, so John Cliff Wamala vom Roten Kreuz in | |
| Uganda. „Wir appellieren an die Bevölkerung und die Kirchen, Matratzen, | |
| Pampers für Kinder und Hygieneartikel für Frauen zu spenden, daran mangelt | |
| es sehr.“ | |
| Neben ihm steht Muwada Nkunyingi im gebügelten Hemd, die feine Anzughose in | |
| Gummistiefel gestopft. Der Parlamentsabgeordnete für den Bezirk, in dem | |
| Kiteezi liegt, ist von der NUP-Opposition und entsprechend sauer auf die | |
| Regierung. „Seit Jahren habe ich im Parlament immer wieder gesagt, dass | |
| diese Müllhalde eine Gefahr darstellt“, raunzt er. Jetzt weigere sich die | |
| Regierung, Verantwortung zu übernehmen, flucht er weiter und stellt klar: | |
| „Selbst die Zahl der Vermissten ist komplett untertrieben, es sind | |
| wahrscheinlich viele mehr, die verschüttet wurden.“ | |
| Mitten im Gewühl steht Ken Kizito, ein kleiner Mann im Blaumann mit gelber | |
| Arbeiterweste und dem Aufdruck „KCCA-Mülldeponie“ auf dem Rücken und nickt | |
| zustimmend. „Ich weiß, dass dort viel mehr Leute verschüttet wurden“, | |
| erklärt er. Kizito arbeite seit vielen Jahren auf der Müllhalde. „Vor allem | |
| samstags kommen sehr viele Kinder und Jugendliche, um Plastik und | |
| Elektroschrott aus den Abfällen auszusortieren, um ihre Schulgebühren zu | |
| finanzieren“, erklärt er. Gerade jetzt, zum Ende des Schulsemesters, wenn | |
| die Prüfungsgebühren fällig sind, strömen die Schüler in Massen herbei, um | |
| auf dem Müllhaufen nach Verwertbarem zu suchen. So auch am vergangenen | |
| Samstag. „Wir sprechen hier von Hunderten Kindern, nach denen bislang | |
| niemand sucht“, flüstert Kizito. „Die Familien werden wohl nie erfahren, | |
| was mit ihnen geschehen ist.“ | |
| 15 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
| Isaac Kasamani | |
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