# taz.de -- Karl Valentin wieder im Kino: Anarchische Zerstörungslust | |
> Fünf klassische Kurzfilme Karl Valentins sorgen im Kino für alte Frische. | |
> Bloß Liesl Karlstadts Name fehlt im Titel der Auswahl von | |
> „Hirngespinsten“. | |
Bild: An Pointen wurde gemeinsam gefeilt: Karl Valentin und Lisl Karlstadt in �… | |
Seine Sprüche sind allgegenwärtig. Auf Grußkarten, beim Smalltalk und | |
überhaupt immer dann, wenn es um Pointen mit absurdem Hintersinn geht, | |
taugen Karl Valentins Memes aus dem analogen Zeitalter auch heute für leise | |
Lacher. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ oder „Fremd ist der | |
Fremde nur in der Fremde“ sind nur zwei seiner zahllosen Schwurbeleien, die | |
unkaputtbar in den Sprachgebrauch eingegangen sind. | |
Dahinter ist der Autor und Performer solch dadaistischer Kleinkunstzeilen | |
oder auch begnadeter Albernheiten fast vergessen. Kein Wunder, dass Karl | |
Valentins aktuelle Wiederentdeckung mit einem runden Kinoprogramm aus fünf | |
restaurierten Kurzfilmen als Insert jeweils einen seiner schrägen Sprüche | |
bereithält, zum Beispiel „Wenn alle dasselbe denken, wird nicht viel | |
geredet“ und „Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab’ ich mic… | |
getraut“. | |
Tatsächlich hat sich der Münchener Komiker, Musiker und Performer Karl | |
Valentin viel getraut. Als einer der bekanntesten Kleinkunstkönner in der | |
ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts interessierte er sich früh für den | |
Film und das neue Medium Radio und baute seine Lust an Pointen zu allem, | |
was im Umgang mit Technik schiefgehen kann, in vielen Programmen genüsslich | |
aus. Parodien voller anarchischer Zerstörungslust waren sein Spezialgebiet. | |
Valentins bayerischer Wortwitz und seine anarchistischen Slapsticks | |
brauchten das Publikum, unermüdlich sprudelte er neue Sketch-Ideen aus, | |
aber wegen ihrer Doppelbödigkeit wurden sie den gleichgeschalteten | |
Massenmedien im Nationalsozialismus mehr und mehr verdächtig und ab 1940 | |
erhielt er keine Aufträge mehr. | |
In einem Punkt mogelt sich die Kinoversion der fünf Kurzfilme „Im | |
Photoatelier“, „Orchesterprobe“, „Im Schallplattenladen“, „Der Firm… | |
und „Die Erbschaft“, alle zwischen 1932 und 1936 in Münchener Filmstudios | |
entstanden, über einen gewichtigen Aspekt seiner Karriere hinweg. | |
Die derzeit als DVDs kursierenden Editionen sind da schon weiter. Denn ohne | |
[1][die geniale Liesl Karlstadt, Valentins langjährige Co-Autorin und | |
Bühnen- und irgendwie auch Lebenspartnerin], hätten ihre perfekt getimten | |
Grotesken nicht so viel abgründigen Charme. Leider nennt der Stuttgarter | |
Filmverleih im Titel aber nur Karl Valentins Namen. | |
## Unsicheres Unterhaltungsgeschäft | |
Liesl Karlstadt lernte den Komiker 1911 kennen, als beide im Saal des | |
Münchener Hotels Frankfurter Hof in Sachen Volkstheater und humoristische | |
Gesangseinlagen engagiert waren. Die Karlstadt, eine kleine rundliche | |
Person mit guter Singstimme, war damals neunzehn Jahre alt und gerade ihrem | |
kleinbürgerlichen Münchener Elternhaus und einer Lehre als Verkäuferin | |
entlaufen. | |
Karl Valentin, zehn Jahre älter, ein hochaufgeschossener und spindeldürrer | |
Sonderling mit roten Haaren, war um diese Zeit längst ein erfahrener | |
Kleinkünstler, der sich aus den prekären Engagements in bayerischen | |
Kneipen und Sälen herausgearbeitet und in anderen deutschen Städten | |
gastiert hatte, immer wieder aber Tiefs im unsicheren Unterhaltungsgeschäft | |
überleben musste. | |
Valentin konnte jederzeit zu seiner Mutter in die Münchener Vorstadt Au | |
zurückkehren, wo er als kränkliches Kind wie ein „rohes Ei“ gepäppelt | |
worden war und früh „nach reiflicher Überlegung Talent zum Zeitungslesen“ | |
zeigte. In autobiografischen Notizen schrieb er: „Mein Hang zur Musik ist | |
alltäglich. Am liebsten höre ich zu, wenn ich selbst spiele.“ | |
Der Vater, ein Möbelspediteur mit Droschke, verlangte zwar eine Lehre als | |
Schreiner – woher wohl später die Inspiration zu abstrusen Sägearbeiten und | |
chaotischen Möbelzerstörungen in seinen Filmen stammte. Den Sohn zog es | |
dagegen auf die Volkstheaterbühnen, als urige Figur, Trompeter und | |
Trommler. | |
## Attacken auf die blitzsaubere Kleinbürgerlichkeit | |
Wenn Karl Valentin in den schwierigen Anfangsjahren ins Haus seiner | |
verwitweten Mutter zurückkam, war da auch die junge Haushälterin Gisela, | |
die bald Mutter einer Tochter von Karl Valentin wurde. 1911, als der | |
Frankfurter Hof ein wenig Sicherheit versprach, heiratete Valentin seine | |
treue Gisela, begann indes zur selben Zeit die enge Partnerschaft mit Liesl | |
Karlstadt. | |
Wie viel von den „Hirngespinsten“ ihrer gemeinsamen Bühnennummern und Filme | |
von ihr erdacht und mitinszeniert wurden, ist nicht im Einzelnen | |
überliefert, Liesl Karlstadts selbstsichere Gegenfiguren zu Valentin, | |
darunter Hosenrollen, Hausfrauen, Verkäuferinnen, Telefonfräulein, sprechen | |
aber eine deutliche Sprache. Mit ihr zusammen feilte Valentin an seinen | |
Parodien auf den Alltag der kleinen Leute, die sich – gewollt oder | |
ungeschickt – in rebellische Attacken auf die blitzsaubere | |
Kleinbürgerlichkeit verstricken. | |
Der berühmte Kurzfilm „Orchesterprobe“ (1934), Teil der aktuellen | |
Kino-Kompilation, ist ein schönes Beispiel dafür. Karl Valentin, Trompeter | |
in einer bayerischen Marschkapelle, nervt den zur Probe hereinschneienden | |
Kapellmeister, eine brillante Hosenrolle von Karlstadt und groteske | |
Karikatur autoritärer Chefattitüden. | |
Mit peinlichen Schmähreden schon auf Konfrontationskurs, steigert sich | |
Valentins Arbeitsverweigerung, wenn er plötzlich die abstruse Geschichte | |
von einem Radfahrer einstreut, der bei einem Gespräch mit Kollegen | |
„plötzlich um die Ecke kam“. War das nun Zufall oder normale | |
Großstadtsituation? Ein Streit entbrennt, die Probe muss aber weitergehen, | |
Valentin gerät mit den Noten durcheinander, die Trommelei eskaliert, alles | |
geht zu Bruch. | |
## Armselig hausendes Ehepaar | |
In einem anderen Kurzfilm des Programms geht es um eine vermeintliche | |
Erbschaft aus Amerika. Liesl Karlstadt und Karl Valentin sind ein armselig | |
hausendes Ehepaar, das auf Zeitungspapier schläft, die Miete schuldig ist | |
und seinen einzigen Besitz, ein „Nachtkästl“, vor dem Gerichtsvollzieher | |
verbergen will, aber unfreiwillig dafür sorgt, dass es zu Bruch geht. | |
Die Erbschaft, eine in Aussicht gestellte Schlafzimmereinrichtung, entpuppt | |
sich dann, als schon alles aus ihrem Haushalt verloren ist, als | |
Missverständnis. Es handelt sich um Kleinmöbel für kleinwüchsige Nachbarn. | |
Den beiden bleibt der nackte Boden. Dieser 1936 voller Anspielungen auf die | |
Wirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre gedrehte letzte Film passte den | |
Film-Offiziellen wegen seiner „Elendstendenzen“ nicht. | |
Karl Valentin zog im Krieg, wegen seines Asthmas vom Kriegsdienst befreit, | |
ohne Chance auf ein Einkommen mit seiner Familie ins Münchener Umland. Nach | |
dem Krieg fand er beim neugegründeten Bayerischen Rundfunk kein Gehör. | |
Wieder musste er tingeln, in ungeheizten Hinterzimmern vor einem Publikum, | |
das wenig Neugier auf Humoristisches zeigte. [2][Im kalten Winter 1947 | |
holte er sich dabei eine Lungenentzündung, die ihn das Leben kostete]. | |
Erst als Karl Valentins Nachlass in den 1970er Jahren von Kölner | |
Theaterwissenschaftlern aufgearbeitet wurde, begann eine erste Welle der | |
Wiederentdeckung, während Liesl Karlstadt bis zu ihrem Tod 1960 als | |
beliebte Schauspielerin im bayerischen Fernsehen Erfolge feierte. | |
War Karl Valentin der originellste Anarchist unter den deutschen | |
Komödianten? Wie viel „unerbittliche Wildheit“ (Herbert Achternbusch), | |
unausgesprochene Subversion und tiefe Melancholie zeichnen seine Filme aus? | |
Fast die Hälfte des Werks von Valentin/Karlstadt gilt als verschollen, aber | |
fünf der besten erhaltenen Kurzfilme machen neugierig auf mehr von ihrer | |
Erbschaft für die Comediens von heute. | |
12 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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