| # taz.de -- Wenn die Fake-Natur in den Garten kommt: Heimat für die Riesenschi… | |
| > Für Menschen mit viel Geld und Garten gibt es Natur aus Kunststoff. Das | |
| > hat durchaus seine Vorteile, meint unser Autor. | |
| Bild: Schildkröten für den Garten gibt es auch aus Stein, so wie hier in eine… | |
| [1][Lonesome George] sieht ganz schön knurrig aus. Der „markant gewölbte | |
| Panzer, die schuppig verhornte Haut, der geknautsche Hals mit neugierig | |
| hervorlugenden Kopf“: Die Galapagos-Riesenschildkröte sitzt auf dem akkurat | |
| geschnittenen Rasen im Garten, im Hintergrund Sträucher und Büsche. | |
| Nicht in echt, sondern in einem Katalog für Menschen, die einen Garten und | |
| zu viel Zeit und Geld haben. Da braucht man dann schon mal ein | |
| „handgeflochtenes Binsennest für Meisen“, „geheimnisvoll leuchtende | |
| Sonnenfänger“, ein künstliches Wespennest, das Wespen abschreckt, | |
| Trittplatten aus recycelten Autoreifen. Oder eben eine lebensechte | |
| Nachbildung einer Riesenschildkröte, einen Meter hoch und 24 Kilo schwer | |
| für 699 Euro. | |
| Wie schön: Während Lonesome George als Letzter seiner Art – er war eine | |
| Pinta-Riesenschildkröte (Chelonoidis nigra abingdonii) – 2012 nach 100 | |
| erfüllten Schildkrötenjahren starb, kann mir sein Kunststoff-Avatar jetzt | |
| beim Grillen im Garten zusehen. Und muss nicht mal fürchten, dass ich | |
| versucht bin, mir aus seiner Lende ein Schnitzel herauszuschneiden. So wie | |
| beim „Damwildrudel in Lebensgröße“ aus airgebrushtem Kunstharz, das „wie | |
| soeben aus dem Wald entsprungen täuschend echt, nur nicht so scheu“ gleich | |
| vor dem Swimmingpool steht. Der eindrucksvolle Damhirsch mit Geweih für 679 | |
| Euro, das „Damhirschkalb liegend“ für günstige 249 Euro. | |
| Wir lieben die Natur – wenn wir sie als teure Gartenzwerge aufstellen | |
| dürfen. Sonst sind die Viecher ja eher Plagegeister: Wildschweine verwüsten | |
| unsere Vorgärten, Wespen okkupieren den Pflaumenkuchen, Möwen klauen uns | |
| den Bratfisch vom Brötchen. Je wilder, lebensechter und kunststofflicher | |
| dagegen Mutter Natur daherkommt, umso lieber integrieren wir sie in unser | |
| Leben. Wölfe aus Epoxitharz könnten in den Villenvororten die Wildschweine | |
| abschrecken. Der Plastebiber am Badesee, das Bärenjunge im Stadtpark, der | |
| Weiße Streichelhai am Badestrand – ideal, um uns die Natur so | |
| nahezubringen, wie wir sie wollen. | |
| ## Fake-Wildnis hat Vorteile | |
| Und sie gleichzeitig in Ruhe zu lassen. Denn die Fake-Wildnis hat Vorteile | |
| für alle Seiten. Wer den Flug nach Galapagos einspart, kann sich zehn | |
| Schildkröten leisten und bekommt ein gutes Nichtflieger-Gewissen gratis | |
| dazu. Wer auf Bambi nicht im Wald schießt, sondern im Garten mit dem | |
| Flitzbogen auf das Fake-Reh, der bekommt keinen Ärger mit den veganen | |
| NachbarInnen. | |
| Und Overtourism ist ja nicht nur ein Problem von Venedig und Mallorca, wo | |
| derzeit die EinwohnerInnen ihre Habitate von Miethaien und Pleitegeiern | |
| zurückerobern wollen. Der Druck auf die Naturgebiete weltweit nimmt immer | |
| mehr zu: Einsame Wanderer, aber vor allem Bustouristen und Instagram-Jäger | |
| scheuchen noch die letzten Warane und Weißschwanzhirsche vor sich her. | |
| Noch nie war die Natur durch den Menschen so großflächig bedroht, so | |
| zerstört und so ausgeplündert. Noch nie wussten wir besser, wie sehr auch | |
| wir Menschen vom Netz des Lebens abhängen. Und noch nie hatten wir solche | |
| Sehnsucht nach intakter Umwelt. | |
| Bestes Beispiel sind die tollen Naturdokus wie die BBC-Serie „Our Planet“. | |
| Ehrfürchtig staunen wir abends auf dem Bildschirm über die Schönheit der | |
| Pflanzen und Tiere, die wir tagsüber mit dem Bulldozer wegschaufeln – um | |
| sie uns dann für viel Geld und als Sondermüll wieder in den Garten zu | |
| stellen. Wir haben sogar das richtige Wort für diese Kunstform des wilden | |
| Lebens: eine Plastik. Was noch fehlt, ist das richtige Wort für diese | |
| Kunstform unseres „zivilisierten“ Lebens. Vielleicht: Irrsinn. | |
| 27 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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