# taz.de -- Nahostkonflikt an Berliner Fassaden: Kalter Krieg an Berlins Hausw�… | |
> Seit dem Angriff der Hamas auf Israel und der andauernden Gegenoffensive | |
> der israelischen Armee tauchen in Berlin immer mehr Graffiti auf. | |
Bild: Drohungen und politische Statements wie diese sind inzwischen keine Selte… | |
Berlin taz | Auf der Neuköllner Sonnenallee in Richtung Hermannplatz sieht | |
man so einige Graffiti an den Hauswänden. Unter ihnen auch die roten | |
Hamas-Dreiecke, Parolen wie „Fuck Israel“, bei denen das „S“ ein Hakenk… | |
ist, oder „Gaza Kammer“. [1][Mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am | |
7. Oktober ist der Ton an Berliner Häuserwänden schärfer geworden.] | |
Die antisemitischen Graffiti schaffen ein Gefühl der Bedrohung und | |
Unsicherheit, sagt Michaela Bechtel-Hirsh, Projektleiterin von „Solidarisch | |
gegen Hass“. Die Kampagne vernetzt Menschen miteinander, die sich gegen | |
Hasskriminalität engagieren. „Jüdinnen und Juden können der Omnipräsenz | |
nicht entgehen.“ Nicht alle sind so eindeutig wie die roten Dreiecke. | |
„Viele Botschaften sind subtil und laufen unter dem strafrechtlichen Radar. | |
Jedoch sind sie genauso gefährlich, da sie Antisemitismus normalisieren“, | |
so Bechtel-Hirsh. | |
Zumal subtile Hassbotschaften keine Gegenmaßnahmen produzieren wie etwa | |
Hakenkreuze. „Es wird aber immer weniger subtil, wenn niemand etwas tut“, | |
sagt Bechtel-Hirsh. Bekannte von ihr seien bereits nach Israel ausgewandert | |
– obwohl dort Krieg herrscht, fühlten sie sich dort sicherer als in Berlin. | |
Von anderen Jüdinnen und Juden wisse sie, „dass bei ihnen die gepackten | |
Koffer bereits im Flur stehen“. | |
Graffiti an privaten Hauswänden werden von der Polizei als | |
Sachbeschädigungen geahndet, falls Anzeige erstattet wird. „Zwei Drittel | |
der politisch motivierten Kriminalität fanden 2023 im vierten Quartal | |
statt, wobei fast alle dem Nahostkonflikt zugeordnet wurden“, sagt Anja | |
Dierschke, Sprecherin der Berliner Polizei. [2][Bei der Behörde gingen | |
seinerzeit 23 Meldungen mit islamistischen Motiven] und 249 mit | |
„ausländischer Ideologie“ ein. Das heißt, dass eine aus dem Ausland | |
stammende nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war. | |
## Es herrscht ein Gefühl der Bedrohung und Unsicherheit | |
Im ersten Halbjahr 2024 gingen die Zahlen dann massiv durch die Decke. | |
Insgesamt gingen – den islamistischen und den „ausländischen“ | |
Phänomenbereich zusammengerechnet – fast 500 Anzeigen wegen | |
Sachbeschädigung bei der Polizei ein. Dabei konnten, so Dierschke, „nahezu | |
alle Taten in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt gebracht werden“. | |
Es ist jedoch nicht der einzige Krieg, der die Gemüter erhitzt und sich auf | |
Fassaden niederschlägt. An der Erich-Weinert Straße in Prenzlauer Berg | |
steht ein Mehrfamilienhaus. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die | |
Ukraine prangt in großen schwarzen Buchstaben die Parole „Das ist nicht | |
unser Krieg“ auf der Fassade. „Zu Beginn wurde es einmal weiß | |
überstrichen“, erinnert sich ein Hausbewohner. Wenige Tage später stand die | |
Botschaft wieder auf der Hauswand und die Deutsche Wohnen überließ die | |
Fläche den Sprayer*innen. | |
Seitdem bekriegen sich darauf zwei Fronten – Antifaschist*innen gegen | |
Rechtspopulist*innen. „Weg mit den Faschisten“, steht in Schwarz unter | |
hölzernen Fensterläden. Darunter in Rot „Und den Dummen, die mit Anti | |
anfangen“. Darunter in Weiß „Also bist du pro-Nazis?“ Und schließlich in | |
Schwarz knapp über den Pflastersteinen „Zecken boxen“. Warum gerade hier | |
ein Hauswandstreit tobt, wissen die Mieter*innen nicht. Im Wohnkomplex | |
kennen sie niemanden mit rechter Gesinnung. Die Deutsche Wohnen hat nach | |
eigenen Angaben erneut eine Beseitigung beauftragt. | |
Die meisten Passant*innen gehen an der Hauswand in der | |
Erich-Weinert-Straße einfach vorbei. Einige, weil sie sich inzwischen daran | |
gewöhnt haben. Und andere wiederum, weil sie nicht betroffen sind. | |
## Es sind Hassbotschaften und keine Graffiti | |
Anders erging es einer jüdischen Mutter, deren Kind täglich auf dem | |
Schulweg Schriftzüge lesen musste, die die Familie als sehr bedrohlich und | |
unerträglich empfand. Sie rief mehrfach bei Pankows Antisemitismus- und | |
Antidiskriminierungsbeauftragter Monika Flores an. „Ich habe die | |
Eigentümer*innen des Hauses kontaktiert. Die hatten schon veranlasst, | |
die Sprühereien zu übermalen“, erzählt Flores. | |
[3][Seit dem 7. Oktober wurden ihr eine ganze Reihe antisemitischer | |
Schmierereien gemeldet], sagt die Antisemitismusbeauftragte. „Die Graffiti | |
würde ich nicht als ‚politisch‘ bezeichnen. Sie enthielten deutlich | |
antisemitische Aussagen und da hört Meinungsfreiheit auf“, sagt sie. Flores | |
bietet Betroffenen eine vertrauliche Erstberatung und unterstützt sie bei | |
der Suche nach einer geeigneten Beratungsstelle. | |
„Es ist wichtig zu zeigen, was auf den Straßen Berlins passiert“, sagt Leni | |
Meyer, die nicht mit ihrem echten Namen in der Zeitung stehen will. Sie | |
engagiert sich in der Organisation „Civil Watch Against Antisemitism“. Nach | |
dem 7. Oktober haben sich hier jüdische und nichtjüdische Menschen | |
zusammengefunden, die antisemitische Graffiti und Sticker dokumentieren. | |
Über 200 haben sie mittlerweile zusammengetragen und an die Polizei | |
weitergegeben. | |
Zu Beginn sei es schwieriger gewesen, Unterstützung zu bekommen, sagt | |
Meyer. Sie hätten die Behörden mehrmals kontaktieren müssen, bevor sie | |
ernst genommen wurden. „Bestimmte Wachen sagen heute noch, dass wir uns | |
halt an die jeweiligen Hausverwaltungen wenden müssen – andere fahren bei | |
der kleinsten Schmiererei hin und machen sie selbst weg“, sagt Meyer. Sie | |
berichtet von Menschen, die, wenn die Polizei nicht reagiert, | |
Hassbotschaften in einer Nacht-und-Nebel-Aktion selbst entfernen oder | |
überstreichen. | |
## Die Polizei muss wachsamer sein | |
Am Anfang hätten sich die Graffiti vor allem auf Bezirke konzentriert, in | |
denen viele Menschen leben, die sich propalästinensisch positionieren – | |
etwa in Kreuzberg und Neukölln. „Mittlerweile finden wir antisemitische | |
Hassbotschaften auch in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Es hat | |
sich auf die ganze Stadt ausgebreitet.“ | |
[4][Unter antisemitischen Hassbotschaften versteht Civil Watch Against | |
Antisemitism nicht jedes „Free Palestine]“. „Wir wünschen uns auch, dass | |
die Menschen in Palästina selbstbestimmt leben können und Frieden in Nahost | |
einkehrt“, sagt Meyer. Anders sieht es mit der verbotenen Parole „From the | |
River to the Sea, Palestine will be free“ aus. „Sie wird gezielt in der | |
Nähe jüdischer Einrichtungen oder an Orten mit großer Sichtbarkeit | |
platziert und stehen für die Beseitigung des Staates Israels samt seiner | |
jüdischen Bevölkerung.“ | |
Die Arbeit, jede politische Botschaft zu dokumentieren, nehme sehr viel | |
Zeit in Anspruch. „Alle sind sehr ausgebrannt und dennoch betroffen, selbst | |
wenn sie schon hunderte Graffiti gesehen haben“, erzählt Meyer. Die Gruppe | |
will auf das Ausmaß aufmerksam machen. In ihren Augen müsste die Polizei in | |
besonders betroffenen Kiezen besonders wachsam sein und ohne Aufforderung | |
Initiative gegen die Schmierereien ergreifen. | |
Im Fall eines Graffito an einer legalen Sprayerwand im Mauerpark in | |
Prenzlauer Berg Anfang Juni sah sich die Polizei nicht in der Pflicht, | |
einzugreifen. Auf die Wand waren orthodox gekleidete Juden mit Schildern | |
gemalt worden. Auf dem einen stand: „I went from ‚I condemn Hamas‘ to ‚I | |
get it now‘“. Auf Deutsch: „Ich bin von ‚Ich verurteile Hamas‘ zu ‚… | |
verstehe es jetzt‘ übergegangen“. | |
„Ich sehe hierin eine eindeutige Verharmlosung einer mörderischen | |
Terrororganisation sowie ihres genozidalen Massakers und eine – wenn auch | |
vergleichsweise subtile – Aufstachelung zu Gewalt und Hass gegen | |
Jüdinnen*, Juden und Israelis“, sagt Pankows Antisemitismusbeauftragte | |
Monika Flores. Das Landeskriminalamt hielt den Inhalt des Graffitis | |
allerdings nicht für strafrechtlich relevant. | |
Die Wand im Mauerpark wird von der Graffiti-Lobby betreut. Einen Tag später | |
war sie überstrichen. „Wir dulden keine diskriminierenden, extremistischen | |
oder sexistischen Sprüche an solchen Wänden“, sagt ein Mitglied der Gruppe, | |
der seinen Namen nicht nennen möchte. Politische Statements an Fassaden und | |
Mauern wie die in Neukölln oder Pankow sind für den Verein | |
„Kommentarspalten, die nichts mit Graffiti zu tun haben“. Die Graffiti | |
schnell zu entfernen, sei wichtig, aber letztlich eine kosmetische | |
Maßnahme, sagt Monika Flores. | |
28 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
ella strübbe | |
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