# taz.de -- Debatte über Herkunft von Verdächtigen: Dünger für den Hass | |
> Die FDP will, dass die Behörden bekanntgeben, wo Verdächtige herkommen. | |
> Wohin solche Diskurse führen, zeigen die rechten Mobs in Großbritannien. | |
Bild: So geht sachliche Ermittlungsarbeit: eine Person aus der Forensik in Sout… | |
Da in Deutschland abermals eine Debatte über die Nennung der Herkunft von | |
Verdächtigen bei Straftaten entbrannt ist, gehören zwei Fakten an den | |
Anfang dieses Texts. | |
Erstens: Valide wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Soziologie und | |
Kriminologie [1][zeigen, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen der | |
Herkunft von Täter*innen und Kriminalität gibt]. Andere Faktoren spielen | |
da eher eine Rolle: Sozialisierung, Alter oder das Geschlecht. | |
Zweitens: Der Pressekodex ist in Deutschland sehr deutlich, [2][wann die | |
Herkunft eines*einer Täter*in genannt werden soll und wann eben | |
nicht]. Diese Richtlinie kann wie folgt zusammengefasst werden: Ist die | |
entsprechende Herkunft relevant, um die Tat selbst zu kontextualisieren, | |
sollte sie unbedingt erwähnt werden. | |
Beispiel: Wenn ein Täter sein Opfer entführt und ins Ausland verschleppt, | |
ist es unter Umständen wichtig zu wissen, woher dieser Täter stammt. Noch | |
ein Beispiel: Wenn ein Täter als Spion unterwegs ist, spielt die Herkunft | |
mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle. Wenn die Herkunft für die | |
Tat aber irrelevant ist, ist sie es für die Berichterstattung ebenfalls. | |
Doch diese durch unzählige Studien und kriminologische Praxis erprobten | |
Erkenntnisse werden in der aktuellen Debatte wieder einmal missachtet, ja | |
sogar von jenen ins Lächerliche gezogen, die es nicht interessiert, dass | |
sie nach Wahlkämpfen verbrannte Erde hinterlassen. So [3][hat | |
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai populistisch gefordert], die Behörden | |
sollten die Herkunft von Verdächtigen immer nennen. In NRW plant das | |
Innenministerium, zukünftig in Pressemitteilungen der Polizei automatisch | |
die Herkunft von Verdächtigen zu erwähnen. | |
## Gefährliche Forderung | |
Diese gefährliche Forderung bringt mehr Unsicherheit für die Gesellschaft. | |
Verdächtige gelten bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung als | |
unschuldig, ihre Herkunft zu nennen, gleicht eher einer Kategorisierung | |
nach Hautfarbe in „gut“ – wenn die Person zum Beispiel Müller heißt und | |
weiß-deutsch ist – und in „schlecht“ – wenn die Person zum Beispiel | |
Djir-Sarai heißt. | |
Auch ist die viel diskutierte polizeiliche Kriminalstatistik mit Vorsicht | |
zu lesen: Sie bezieht sich auf Verdächtige und spiegelt die Perspektive der | |
Polizei wider. Die [4][pauschale Nennung der Herkunft von Verdächtigen sät | |
Hass in der Gesellschaft] und kippt noch braune Gülle als Dünger nach. Eine | |
pauschale Umsetzung in den Sicherheitsbehörden und/oder im Journalismus | |
wäre ein großer Sieg für den Rechtsextremismus. | |
Wo solche Debatten enden können, [5][zeigt sich derzeit in Großbritannien]. | |
Dort überziehen seit Tagen gewalttätige rechtsextreme Mobs das Land mit | |
rassistischer Gewalt. Sie greifen Unterkünfte für Geflüchtete an, plündern | |
Supermärkte und demolieren Moscheen. Auslöser war eine Debatte über die | |
Herkunft eines jungen Täters, der vor wenigen Tagen in der Stadt Southport | |
drei Kinder getötet hatte. | |
Längst kursierten Falschinformationen über seine Herkunft im Netz. In | |
rechtsextremen Kreisen wurde er intendiert-fälschlich als muslimischer | |
Asylbewerber betitelt. Tatsächlich handelte es sich um einen im | |
Vereinigten Königreich geborenen Sohn einer christlich geprägten | |
Einwandererfamilie. | |
Nun könnte man argumentieren: Gerade deswegen sollte man immer die Herkunft | |
nennen. Doch so einfach ist es nicht. Die kontextbefreite und pauschale | |
Betonung der Herkunft würde schlicht als Rampe für Rassismus dienen und | |
nichts zur Bekämpfung von Kriminalität oder zum Opferschutz beitragen. | |
Klare Regeln, die in Deutschland über den Pressekodex schon existieren, | |
sollten auch klar kommuniziert und angewendet werden. Die Herkunft des | |
Täters spielt in diesem und in sehr vielen anderen Fällen keine | |
signifikante Rolle. Die Aufklärung von Kriminalität sollte im Mittelpunkt | |
stehen, nicht die rassistische Projektion radikalisierter Gruppen und einer | |
Hass säenden Politik. | |
7 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://mediendienst-integration.de/desintegration/kriminalitaet.html#:~:te… | |
[2] https://www.presserat.de/presse-nachrichten-details/klare-kriterien-zur-nat… | |
[3] /Nennung-der-Nationalitaet-durch-Polizei/!6025142 | |
[4] /Herkunftsnennung-bei-Straftaten/!5645189 | |
[5] /Nach-Messerangriff-in-Grossbritannien/!6024233 | |
## AUTOREN | |
Mohamed Amjahid | |
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