# taz.de -- Kämpfe in der Ostukraine: Entscheidende Monate an der Front | |
> Der Sommer wird zur schwierigsten Zeit an der Front, sagen | |
> Militärexperten und Soldaten: Die Ukraine verliert im Osten weiter | |
> Gebiete. | |
Bild: Luftaufnahme der heftig umkämpften Stadt Tschassiw Jar am 3. Juli 2024 | |
Luzk taz | Den russischen Streitkräften ist es in den letzten zehn Monaten | |
gelungen, an der Front im Osten der Ukraine täglich etwa 100 bis 200 Meter | |
vorzurücken. Begonnen hatte diese groß angelegte Offensive in der Nähe der | |
ostukrainischen Stadt Awdijiwka, aus der die ukrainische Armee [1][zu | |
Beginn des Jahres abgezogen] war. | |
Die ukrainische Verteidigungslinie brach zwar nicht zusammen, die Ukrainer | |
verloren aber mehrere völlig zerstörte Dörfer und Städte. Der ukrainische | |
Generalstab berichtet täglich darüber, wie viele Gefechte es an der Front | |
gibt. Dies zeigt gut, welche Ziele für Russland jeweils besonders wichtig | |
sind. Aktuell werden im Osten der Ukraine täglich etwa 120 bis 130 Gefechte | |
registriert. Ein Drittel davon findet in Richtung Pokrowsk, das andere in | |
Torezk, beide in der Oblast Donezk, statt. Hier konzentriert sich der | |
Großteil der russischen Streitkräfte. Seit mehreren Monaten greifen sie | |
täglich drei Städte an: Pokrowsk, Torezk und Tschassiw Jar. [2][Die | |
russische Offensive in Richtung Charkiw von Mai bis Juni] dürfte als | |
Ablenkungsmanöver geführt worden sein. | |
## Russische Vorstöße auf ostukrainische Städte | |
[3][Zunächst stießen die Besatzer nach Pokrowsk vor], einem wichtigen | |
Verkehrsknotenpunkt. Dort leben noch immer 60.000 Menschen, Geschäfte und | |
Restaurants sind geöffnet. Nur 20 Kilometer entfernt verläuft die Front. | |
Man hat bereits begonnen, Menschen aus den umliegenden Dörfern zu | |
evakuieren. | |
Ein anderes wichtiges Ziel der russischen Armee ist die Siedlung New-York | |
(bis 2021 Nowohorodske). Hier könnten ukrainische Einheiten eingekesselt | |
werden. Nicht weit nördlich davon rückt die russische Armee auf ukrainische | |
Stellungen nahe der Stadt Torezk vor. Mittlerweile haben sie es bis | |
unmittelbar an die Stadtgrenze geschafft. | |
Auch nahe der Stadt Bachmut halten die Gefechte an. [4][Die Stadt war nach | |
blutigen Kämpfen im Winter 2022/23 von den russischen Streitkräften | |
eingenommen worden.] Seitdem sind sie nicht viel weitergekommen. Dafür wird | |
jetzt um Tschassiw Jar gekämpft. Hier eroberten russische Einheiten einen | |
Brückenkopf am Westufer des Siwerski-Donez-Donbas-Kanals, der für sie | |
bislang ein natürliches Hindernis dargestellt hatte. Gleichzeitig sind die | |
ukrainischen Einheiten nahe der Städte Wuhledar und Krasnohoriwka in einer | |
Verteidigungskrise. | |
## Taktischer Einsatz von Gleitbomben | |
Kostjantyn Maschowets, ein ehemaliger Militäroffizier und jetzt Leiter der | |
Gruppe „Informationswiderstand“, berichtet über die Taktik der russischen | |
Armee. Maschowets glaubt, dass die russischen Erfolge aktuell vor allem auf | |
dem [5][massiven Einsatz von Gleitbomben] zurückzuführen sind. Damit | |
zerstören sie zwar ukrainische Stellungen, nicht aber die ukrainische | |
Verteidigung insgesamt, meint er. | |
Der Presseoffizier der 32. Brigade, Olexander Brodijan sagte gegenüber | |
Radio Swoboda, dass russische Flugzeuge allein 118 solcher Bomben innerhalb | |
von einer Woche nahe Torezk abgeworfen hätten. Die russischen Flugzeuge | |
operieren dabei immer in einem gewissen Abstand von der Front, damit die | |
ukrainische Luftverteidigung sie nicht erreichen kann. Kostjantyn | |
Maschowets glaubt, dass die russische Offensive aktuell so schnell sei, | |
dass die russischen Streitkräfte ihre lokalen Erfolge schnell in taktische | |
umwandeln könnten, weil sie zügig weit auf ukrainisches Territorium | |
vorstoßen. | |
## Russlands zeitlicher Vorsprung | |
Während die russische Armee seit dem Winter ihre Truppen an der Ostfront | |
aufbauen konnte, mussten die Ukrainer auf US-amerikanische Hilfe und | |
europäische Raketen warten. Während dieser Zeit schickte die russische | |
Armee konstant Nachschub an neuen Soldaten und aktivierte auch ihre | |
Reserven. Der ukrainische Kriegskorrespondent Bohdan Myroshnikow schreibt: | |
„Zuerst gab es eine achtmonatige 'Diät’ ohne amerikanische Hilfe. Dann kam | |
sie – allerdings nur langsam und schrittweise.“ Das erklärt, warum sich die | |
Lage für die Ukraine an der Front aktuell nicht verbesserte, obgleich jetzt | |
viel Hilfe von den Alliierten eintrifft. | |
„Die Russen hatten einen zeitlichen Vorsprung. Wir erwarten, dass die | |
russischen Streitkräfte in den nächsten ein, zwei Monaten das Maximum ihrer | |
Truppen eingesetzt haben werden“, glaubt Kriegskorrespondent Myroshnikow. | |
„Russland hat sich verrannt. Nun bekommt es Probleme und versucht auch | |
deshalb mit aller Kraft, Kyjiw an den Verhandlungstisch zu bringen.“ | |
Bestätigt wurde diese Meinung von einem Offizier der in der Ostukraine | |
kämpfenden Brigaden: Serhij stammt aus Luzk und möchte seinen Nachnamen | |
nicht in der Zeitung lesen, da er offiziell nicht mit Medienvertretern | |
sprechen darf. „Die nächsten Wochen und Monate werden die entscheidenden. | |
Entweder können wir die russischen Okkupanten strategisch stoppen, oder wir | |
werden in einigen Jahren gezwungen sein, uns zu russischen Bedingungen an | |
den Verhandlungstisch zu setzen“, meint der Offizier. Und fügt hinzu, dass | |
man in der ukrainischen Armee bislang nicht über Friedensverhandlungen mit | |
Russland nachdächte. | |
Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey | |
6 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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