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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Königreich des kleinen Glücks
> Die abgeschlossene Fabel zum Pegelstand der seligen Freude weit entfernt
> vom derzeit düsteren Hier und Jetzt. Mit einem Paar, das sich zum Glück
> fand.
Bild: Der Wanderer und die junge Frau auf dem Pfad hinaus aus dem Königreich d…
Höret zu! Ich will euch von einem jungen Wandersmann erzählen, der einen
Ort entdeckte, dahin würde mancher auswandern, wüsste er, wo selbiger läge.
Dieser schöne Ort ist das Königreich des kleinen Glücks. Aber den Weg
dorthin findet kein Abenteurer und kein Wissenschaftler. Doch unser
Wanderer hat ihn gefunden.
Eines schönen Tages gelangte er nach einem langen Marsch an einen idealen
Platz, um zu rasten: Im Schatten einer Eiche stand eine durch Vermoderung
angenehm weich gewordene Bank, auf der ihm eine kleine Meise freundlich
zwitschernd Platz machte. Zu seiner Rast genoss unser Wandersmann einen
tiefen Schluck kalten Wassers und war in diesem Moment voll von kleinem
Glück.
Und weil er so voll von kleinem Glück war, bemerkte er gar nicht, dass der
Weg, den er sich doch ganz genau eingeprägt hatte, verändert war. Wo es
nach links gehen sollte, ging es nach rechts, und wo eine Schweinesuhle
hätte sein sollen, schubberten sich genüsslich junge Rehe an den Bäumen.
Erst als er eine hohe Mauer mit zwei schweren Toren vor sich sah, wusste
er, dass er sich verlaufen hatte. Da die Tore aber einladend aussahen und
wie frisch geölt aufschwangen, ging er frohen Mutes hindurch.
Er wanderte den Waldweg, der sich hinter der Mauer weiterschlängelte,
unbeirrt entlang, und just als er an seinem Glück zu zweifeln begann, sah
er am Wegesrand eine Tafel, auf der stand: „Herzlich willkommen im
Königreich des kleinen Glücks. Hier passt die Milch immer gerade noch so in
die Kühlschranktür, die letzte Bahn erwischen Sie mit einem beherzten
Sprung ganz sicher und mindestens einmal am Tag sehen Sie ein altes Ehepaar
auf einer Parkbank verliebt Händchen halten.“
## Schmucke Stadt
Diese Vorstellung fand der Wanderer ganz wunderbar und so folgte er dem Weg
weiter bis zu einer kleinen, schmucken Stadt. Erschöpft von dem langen
Marsch nahm der Wanderer sich ein Zimmer in einem Gasthof und ging nicht
viel später zu Bett.
Der nächste Tag war ein Sonntag, und alle Bewohner der Stadt waren auf dem
Flohmarkt, schließlich fand im Königreich des kleinen Glücks dort jeder
immer genau die Teekanne oder das Buch, das er schon lange gesucht hatte.
Der Wanderer aber hatte wenig Platz in den Taschen und nutzte den freien
Tag zur Erkundung der Stadt.
Schon als er aus der Tür des Gasthofs trat, lächelte ihn ein Baby aus einem
Kinderwagen heraus strahlend an, und kurz darauf ließ sich ein
schwanzwedelnder Hund begeistert von ihm kraulen. Als er sich ein Eis
kaufen wollte, fand er in seiner am Morgen frisch ausgepackten Hose
zufällig gerade genug Geld, um den Eisverkäufer zu bezahlen.
Nachdem er lange dem Lichtspiel in den Blättern einer alten Ulme zugeschaut
hatte, trieb es ihn zurück zum Gasthof. In Erinnerungen an glücklichste
Kindheitstage schwelgend, die ein feiner Duft in ihm wachgerufen hatte, kam
er dort an. Zufrieden ging er ins Bett, und als er am folgenden Tag von den
ersten Sonnenstrahlen sanft geweckt wurde, roch er bereits den frisch
gebrühten Kaffee, den die Wirtin ihm ans Bett bringen würde. So gestärkt
beschloss er zu erkunden, welches Glück die Stadt noch für ihn bereithielt.
## Junge Frau
In der schmalen Seitenstraße, in der der Gasthof lag, war zu dieser
Tageszeit nicht viel los. Nur eine junge Frau kam ihm entgegen, die jedoch
alles andere als glücklich wirkte.
„Du bist neu hier, oder?“, sprach sie ihn an. Ohne auf Antwort zu warten
fuhr sie fort: „Ich haue von hier ab und nehme dich mit.“ – „Aber warum…
entgegnete der Wanderer verwundert, „hier liegt das Glück doch ganz
offensichtlich auf der Straße.“
„Ach, ja?“ antwortete die junge Frau. „Dann komm mal mit.“ Und als sie …
der ruhigen Seitenstraße auf den belebten Marktplatz traten, wurden beide
von einer Kakofonie unterschiedlichster Lieder fast erschlagen. „Alle hören
hier immer zufällig einen alten Lieblingssong!“, rief die Frau gegen den
Lärm an, bevor sie den Wanderer weiterzog.
„Na gut“, wandte der Wanderer ein, als der Krach hinter ihnen lag. „Aber
immerhin ist für Essen gesorgt“, fuhr er fort und zog einen Geldschein wie
beiläufig aus der Hose. „Guck, ich finde immer Geld in meiner Tasche.“
„Du Dummkopf!“, schalt ihn da die junge Frau. „Glaubst du, das geht nur d…
so? Alle finden immer Geld in ihren Taschen, deswegen läuft die Inflation
dem König regelrecht davon!“
Schnell zog sie ihn weiter in Richtung der großen Tore, durch die er vor
nicht einmal zwei Tagen noch ins Königreich des kleinen Glücks gelangt war.
## Frischer Schnee
„Aber warum hast du es denn so eilig?“, fragte der Wanderer zwischen zwei
Atemzügen die junge Frau. Da schalt sie ihn erneut: „Riechst du es nicht?
Es riecht hier immer wie der erste Frühlingstag nach einem langen Winter,
obwohl gar nicht Frühling ist. Schau!“ Sie zeigte auf ihre Füße, unter
denen im Wechsel trockene Herbstblätter wunderbar knusperten oder frischer
Schnee klangvoll knarzte. „Das Wetter spielt jetzt schon vollkommen
verrückt! Wer weiß, was noch alles passiert!“
Da war der Wanderer überzeugt und rannte, dass er die junge Frau fast
überholte. Endlich erreichten sie den Ausgang des Königreichs des kleinen
Glücks gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich eine dichte
Schneedecke über die Stadt legte, vermutlich damit alle sich bei einem
guten Buch in kuschelige Decken mummeln konnten.
Gemeinsam traten sie den Rückweg in die ihnen bekannte Welt an, und auf dem
Weg wurden sie erst gute Freunde und dann ein Paar. Sie sprachen noch oft
über ihre Erlebnisse im Königreich des kleinen Glücks und ihre Flucht, die
wichtigste Sache hatten sie dabei aber gar nicht bemerkt: Nämlich, dass ein
Schelm das Wort „kleinen“ in „Königreich des kleinen Glücks“ nur auf …
Holzplättchen geschrieben und über das eigentliche Wort auf der Tafel
genagelt hatte.
Viele Jahre gingen ins Land, bevor das Schild schließlich abfiel und den
wahren Namen des Ortes enthüllte, an dem sich die beiden kennengelernt
hatten: „Das „Königreich des großen Glücks“.
5 Aug 2024
## AUTOREN
Ernst Jordan
## TAGS
Märchen
Glück
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Pandemie
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