| # taz.de -- Venezuelas „Linke“: Maduros Wahlfarce | |
| > Lateinamerikas Progressive tun sich schwer damit, den Wahlbetrug in | |
| > Venezuela zu verurteilen. Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechten. | |
| Bild: Es werde ein „Blutbad geben“, sollte er die Wahlen verlieren, so Madu… | |
| Gerne zitierte Hugo Chávez „Sozialismus oder Barbarei“, das Motto Rosa | |
| Luxemburgs. Doch anders als vom charismatischen, 2013 verstorbenenen | |
| Volkstribun beabsichtigt, entwickelte sich in Venezuela nicht der | |
| „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der die Lehren aus dem Scheitern der | |
| Sowjetunion und ihrer Bruderregime zog, sondern eine weitere Diktatur, die | |
| sich nur noch mit plumpem Wahlbetrug an der Macht zu halten weiß. Und das | |
| Vorgehen von regierungsnahen Paramilitärs und Spezialeinheiten der Polizei, | |
| die jetzt wieder gegen Andersdenkende vorgehen, ist in der Tat barbarisch: | |
| Allein in den Tagen nach der Wahl vom 28. Juli töteten sie 20 Menschen, | |
| mindestens 11 sind spurlos verschwunden, über [1][2.000 wurden willkürlich | |
| festgenommen]. | |
| Am Freitag verkündete der von Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro | |
| kontrollierte Wahlrat, nach Auszählung von 97 Prozent der Wahlprotokolle | |
| habe der Amtsinhaber 52 Prozent der Stimmen erzielt. Allerdings blieb die | |
| Behörde erneut den detaillierten Nachweis in Form der Wahlprotokolle | |
| schuldig. Nur das breite [2][Oppositionsbündnis] um Edmundo González stellt | |
| auf einer Webseite Teilergebnisse zur Verfügung. | |
| Demnach soll der vom Regime zugelassene Gegenkandidat in 82 Prozent der | |
| Wahlbezirke zwei Drittel der Stimmen erzielt haben. Die Reaktionen der | |
| lateinamerikanischen Linken gehen von vehementer Verteidigung der | |
| Maduro-Mafia, Relativierungen oder peinlichem Schweigen bis zu eindeutigem | |
| Misstrauen. „Schwer zu glauben“ sei der Wahlsieg, den sich Maduro an die | |
| Brust heftet, sagte etwa Chiles junger Präsident Gabriel Boric – worauf | |
| Maduro die chilenischen Diplomat:innen des Landes verwies und sein | |
| Botschaftspersonal aus Santiago abzog. | |
| ## Offene Kritik an Maduro? Für Lula schwer | |
| Boric gehört zur neuen Generation pragmatischer Linker, die zu den | |
| autokratischen Regimen in Kuba, Nicaragua oder Venezuela klare Worte | |
| finden. Seine Verbündete, die sozialistische chilenische Ex-Präsidentin | |
| Michelle Bachelet, hatte als UN-Menschenrechtskommissarin bereits 2019 | |
| einen Bericht über Venezuela vorgelegt, in dem unter anderem Tausende | |
| außergerichtlicher Hinrichtungen thematisiert wurden. Schwer mit offener | |
| Kritik an Maduro tun sich hingegen Brasiliens Präsident Lula, Gustavo Petro | |
| aus Kolumbien und Andrés Manuel López Obrador aus Mexiko. Das allerdings | |
| hat gute Gründe: Die drei arbeiten seit Jahren daran, einen friedlichen | |
| Regierungswechsel in Venezuela zu ermöglichen, zuletzt in enger Abstimmung | |
| mit Washington. | |
| Allerdings hat die US-Regierung jetzt González zum Wahlsieger erklärt – | |
| während Lula & Co wie auch europäische Regierungen weiterhin darauf | |
| drängen, dass belastbare Wahlunterlagen vorgelegt werden. Alle drei – ganz | |
| ähnlich wie die immer noch einflussreiche Linksperonistin Cristina Kirchner | |
| in Argentinien – stehen aber auch unter dem Druck ihrer verbalradikalen | |
| Basis. So bezeichnete Lulas Arbeiterpartei PT, die wichtigste Linkspartei | |
| des Kontinents, Maduro flugs als „wiedergewählten Präsidenten“. Oft wird | |
| die Außenpolitik dieser linken Parteien durch altlinke Funktionäre geprägt, | |
| bei denen 35 Jahre nach dem Berliner Mauerfall die Abkehr von | |
| undemokratischen Regimen mit Revolutionsrhetorik immer noch nicht vollzogen | |
| ist. | |
| Selten hört man in diesen Kreisen ein böses Wort über selbstherrliche | |
| Caudillos wie Daniel Ortega in Nicaragua oder auch den Bolivianer Evo | |
| Morales, in deren Weltbild demokratische Regierungswechsel nicht vorgesehen | |
| sind. Das wohlbegründete Misstrauen gegen die USA und deren Interventionen | |
| seit 200 Jahren schlägt allzu oft in ein krudes Schwarz-Weiß-Denken um, das | |
| die Politik Beijings oder Moskaus noch heute in einem erstaunlich milden | |
| Licht erscheinen lässt. | |
| Natürlich gibt es eine gesellschaftliche Linke jenseits jener Progressiven, | |
| die die „rosarote Welle“ der nuller Jahre entscheidend geprägt haben. Dazu | |
| gehören viele jener Bewegungen, die lange Zeit das Rückgrat der | |
| Weltsozialforen bildeten, Ökos und Bürgerbewegte, Feministinnen und LGBTQ+, | |
| Indigene oder Afrolatin@s. In Chile waren sie die Basis des Volksaufstands | |
| Ende 2019, in Argentinien erstritten sie das Recht auf Abtreibung, in | |
| Kolumbien trugen sie zum Wahlsieg von Gustavo Petro bei. In diesen | |
| horizontal organisierten Gruppen, die es auch in Venezuela gibt, herrscht | |
| wenig Sympathie für Maduro, Ortega oder den kubanischen Staatschef Miguel | |
| Díaz-Canel. Für sie führt Maduro ein patriarchales, militaristisches, | |
| zutiefst korruptes und zudem neoliberales Regime an, das die Ressourcen | |
| Venezuelas ohne Rücksicht auf Mensch und Natur ausplündert. | |
| ## Machtclique in Caracas bleibt wohl stur | |
| Die Diktaturen in Nicaragua und Venezuela haben in Lateinamerika den | |
| Begriff „Sozialismus“ gründlich verbrannt. Zeugnis über deren Bankrott | |
| legen auch die etwa acht Millionen Venezolaner:innen ab, die dem real | |
| existierenden Erdölsozialismus den Rücken gekehrt haben, und jetzt könnten | |
| es noch mehr werden. Maduros Wahlbetrug ist zusätzlich Wasser auf die | |
| Mühlen von Liberalen und Konservativen, vor allem aber ist er ein Geschenk | |
| für Ultrarechte wie Jair Bolsonaro in Brasilien oder den immer noch | |
| populären argentinischen Präsidenten Javier Milei. Nicht nur Boric, sondern | |
| auch Petro und Lula haben mehrfach deutlich gemacht, dass demokratische | |
| Wahlen eine Selbstverständlichkeit sind. „Ich bin bei Maduros Erklärung | |
| erschrocken, dass es ein Blutbad geben werde, solle er die Wahlen | |
| verlieren“, erklärte der Brasilianer vor der Wahl, „Maduro muss lernen: | |
| Wenn du gewinnst, bleibst du, wenn du verliert, gehst du.“ | |
| Es sieht nicht so aus, als wolle die [3][Machtclique in Caracas] diesen Rat | |
| beherzigen. Das ist dramatisch für Venezuela, aber vielleicht befördert es | |
| einen Lernprozess in Teilen der Linken nicht nur in Lateinamerika. Er | |
| könnte mit einem anderen Ausspruch Rosa Luxemburgs beginnen: „Zu sagen, was | |
| ist, bleibt die revolutionärste Tat.“ | |
| 4 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gerhard Dilger | |
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