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# taz.de -- Gitarrist von Ton Steine Scherben tot: Hausmeister des Universums
> R. P. S. Lanrue, der stille, aber einflussreiche Gitarrist der Berliner
> Polit-Rockband Ton Steine Scherben ist gestorben. Ein Nachruf.
Bild: Stille Kraft der Scherben: R. P. S. Lanrue bei einem Konzert in Berli…
Eigentlich wäre er auch ganz gern Profifußballer geworden, erzählte Lanrue
vor rund einem Jahr in seinem Kreuzberger Stammlokal. Wir sprachen über
Fußball, seine zweite große Leidenschaft neben der Musik. Das war
erstaunlich, immerhin hatte der Gitarrist der Band Ton Steine Scherben
Songs komponiert, die zu den besten der deutschsprachigen Rockmusik
gehören.
[1][„Keine Macht für niemand“], „Schritt für Schritt ins Paradies“ �…
die für eine lang entfernte Epoche (west-)deutscher Jugendkultur der 1970er
stehen und trotzdem bis heute nachhallen. In seriösen Rankings der
wichtigsten deutschen Rocksongs und auf Demos von Systemgegnern, die
nostalgisch linkem Parolenrock frönen.
Ton Steine Scherben waren in den 1970ern berühmt für ihre kämpferischen und
rebellischen Lieder, die das kapitalistische System in Frage stellten und
auch noch geil klangen. Viele Menschen verbinden sie vor allem mit dem
verstorbenen Sänger Rio Reiser. [2][Andere wissen, dass Gitarrist Lanrue
sein kongenialer Partner und Komponist vieler Scherben-Songs war]. Sie
sehen in beiden das deutsche Pendant zu Jagger/Richards.
## Kein Primat des Geldverdienens
Tatsächlich waren ihre Songs denen der Stones nicht unähnlich, gerade in
ihrer rauen, energischen Aufgeladenheit und der
Anti-Establishment-Attitüde. Zugleich gab es einen Riesenunterschied.
Während die Stones zwar rebellische Songs veröffentlichten, aber immer am
Primat des Geldverdienens festhielten, lief es bei den Scherben umgekehrt.
Sie versackten auf dem Weg vom Legendenstatus zum finanziellen Erfolg.
Keine deutsche Band mit ähnlich vielen Gassenhauern lebte so prekär.
Was ihren Mythos als fröhlich-aufrechte Antikapitalisten noch steigerte,
aber die Scherben nicht glücklicher machte. „Wir haben nicht jeden
Nachmittag über die Verflechtungen des europäischen Finanzkapitalismus
diskutiert, wir waren Musiker“, sagte Lanrue mal ebenso ironisch wie
genervt vom Missverständnis, dem etliche Fans unterlagen.
Linke Revolutionswächter maßten sich ja permanent an, das politisch
korrekte Handeln der Band zu beurteilen. „Ständig musstest du dich
erklären, warum du was machst.“ Dieses typisch Deutsche ging dem
intelligenten, pragmatischen und zurückhaltenden Menschen Lanrue auf den
Wecker. Er war ja auch Franzose.
## Fußball oder Musik
Als Sohn eines Deutschen und einer Französin wurde Ralph Peter Steitz 1950
in Grenoble geboren. 1963 zog die Familie mit vier Kindern nach Hessen.
Dort begann R. P. S. Lanrue, wie er sich später nannte (eine Verballhornung
von „de la rue“: von der Straße), mit dem Musikmachen. Parallel spielte er
Fußball im Verein und galt als großes Talent.
Für die Beatmusik entschied er sich, nachdem er den gleichaltrigen Ralph
Möbius, späterer Künstlername Rio Reiser, kennengelernt hatte. [3][Um dem
Wehrdienst zu entfliehen gingen beide 1967 nach Westberlin, wo sie in
diversen Musiktheaterprojekten arbeiteten und 1970 in Kreuzberg Ton Steine
Scherben gründeten].
[4][Dass die Band bis heute vorzugweise als Klassenkampfrocklegende
gefeiert wird, ist Folge allgemeiner Klischeeverliebtheit]. Dabei hat sie
musikalisch ein unendlich breites Spektrum bedient, wie sich besonders auf
dem Doppelalbum „IV“ (1981) zeigte. Dort hat nicht zuletzt Lanrue seine
ganze Vielseitigkeit als Komponist eingebracht.
„Während Lindenberg und Grönemeyer eher auf a-Moll, D-Dur, C-Dur setzen,
klangen diese Songs sehr komplex, zwischen Stones und Theatermusik und
sogar bis zurück in die deutsche Romantik“, sagt Lutz Kerschowski, ein
enger Freund und selbst Musiker. 1988 spielte er im Vorprogramm der
legendären Ostberlin-Konzerte von Rio Reiser, bei denen Lanrue zum letzten
Mal gemeinsam mit seinem Freund Rio auf der Bühne stand.
[5][Während Reiser seit 1985 als Solist tätig war und auch kommerzielle
Erfolge feierte], hatte sich Lanrue nicht konsequent mit Soloprojekten
befasst. Songs für ein eigenes Album hatte er zwar fertig geschrieben, aber
weil Rio die aufgrund seines Plattenvertrages nicht texten und einsingen
durfte, blieb es unvollendet. Was ihn offenbar nur bedingt umtrieb. Er
ruhte in sich selbst und beschenkte seine Freunde mit Bonmots wie „Rio ist
der König von Deutschland, ich bin der Hausmeister des Universums“.
Nach der Jahrtausendwende ging er für ein paar Jahre nach Portugal. Er sei
nun Zitronenzüchter, sagte er. Nachdem sein Wohnwagen bei einem Waldbrand
abgefackelt wurde, kehrte er wieder zurück nach Berlin. In den letzten
Jahren kämpfte er mit dem Krebs, unterstützt von seiner Lebenspartnerin
Anne. Am letzten Sonntag starb er im Kreis seiner Familie.
17 Jul 2024
## LINKS
[1] /Podcast-ueber-Ton-Steine-Scherben/!6000085
[2] /Scherben-Gitarrist-Lanrue-ueber-Fussball/!5926624
[3] /Bethanien-Besetzer-ueber-Vergangenes/!5818723
[4] /Jubilaeumsfeiern-fuer-Ton-Steine-Scherben/!5772003
[5] /Gedenktafel-fuer-Rio-Reiser/!5060873
## AUTOREN
Gunnar Leue
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