| # taz.de -- Wetterdaten früher und heute: Heißer, blauer, grüner | |
| > Unser Autor hat vor 45 Jahren eine Wetterstation aufgebaut. Jetzt hat er | |
| > die Messungen ausgewertet. Deckt sich das Lokale mit dem Globalen? | |
| Bild: Schreiber für Temperatur und Luftfeuchte an der Messstation | |
| Als Schüler habe ich im Zusammenhang mit einem Jugend-forscht-Projekt in | |
| meiner Heimatstadt Furtwangen im Schwarzwald eine professionelle | |
| Wetterstation aufgebaut. Dazu gehört in erster Linie die typische weiße | |
| Wetterhütte mit Messinstrumenten für Temperatur und Luftfeuchte. Die | |
| Niederschläge sammelt ein Regenmesser nach DIN-Norm, oft schlicht nach | |
| seinem Erfinder „Hellmann“ benannt. | |
| Auch tägliche Messungen der Schneehöhe liegen von Anfang an lückenlos vor. | |
| Etwas später kamen Messungen von Wind und Sonneneinstrahlung hinzu. Mit dem | |
| Fortschritt der Messtechnik hielt auch die Elektronik zunehmend Einzug: Ein | |
| Regensensor erfasst heute neben der Menge auch die Niederschlagsart, der | |
| mechanische Windmesser ist einem Ultraschallsensor gewichen. | |
| Die nunmehr 45 Jahre umfassenden Messreihen geben tiefen Einblick in die | |
| Veränderungen des Klimas. Unter dem Titel „Protokoll des Klimawandels“ ist | |
| jetzt eine Analyse mit zahlreichen Grafiken und etwas Statistik als | |
| Taschenbuch erschienen. Einige Trends erweisen sich als statistisch | |
| hochsignifikant – und doch lässt sich bisher nicht alles, was man an | |
| Klimaänderungen vermuten könnte, anhand der Daten zweifelsfrei belegen. | |
| [1][Unverkennbar ist der Anstieg der Temperatur]. Damit zeigt die | |
| Schwarzwälder Wetterstation exemplarisch, was Klimaforscher weltweit in | |
| ähnlicher Weise beobachten. Im Messzeitraum wurde es pro Jahrzehnt um etwa | |
| 0,5 Grad wärmer. Dieser Wert ergibt sich, wenn man über die | |
| Jahresmitteltemperaturen der vorliegenden Zeitspanne eine Trendlinie legt – | |
| in der Statistik „lineare Regression“ genannt. | |
| ## Die Nächte sind wärmer | |
| Der Temperaturtrend ist unabhängig von der Jahreszeit. An anderer Stelle | |
| jedoch zeigt der Anstieg der Temperatur eine bemerkenswerte Schlagseite: | |
| Die Nächte haben sich stärker erwärmt als die Tage. Zwar haben auch die | |
| warmen und heißen Tage über die Jahrzehnte zugenommen, doch viel | |
| drastischer haben die kalten Nächte abgenommen; Tage mit Frost sind | |
| deutlich seltener geworden, ebenso Tage mit strengem Frost unter minus 10 | |
| Grad Celsius. Auch in Sommernächten kühlt es nicht mehr so stark ab wie in | |
| früheren Jahrzehnten. | |
| Entsprechend ist auch die Temperaturschwankung im Verlauf des Tages heute | |
| im Durchschnitt geringer als früher. Während die Tageshöchsttemperatur im | |
| Mittel um 0,2 Grad pro Jahrzehnt zunahm, erhöhte sich die nächtliche | |
| Tiefsttemperatur pro Dekade um durchschnittlich 0,6 Grad. Die Höchst- und | |
| Tiefsttemperatur haben sich im Schwarzwald also um fast ein halbes Grad | |
| angenähert. | |
| Alle Datenreihen, die mit der Temperatur zusammenhängen, spiegeln die | |
| globale Erwärmung wider: Der erste Frost trat im Mittel jede Dekade um 4,6 | |
| Tage später auf, die Frostperiode endete parallel dazu 3,1 Tage früher. | |
| Entsprechend begann die Vegetationsperiode im Mittel jedes Jahrzehnt 5,5 | |
| Tage früher und die Zahl der Vegetationstage stieg um 8,6 je Dekade. Heute | |
| werden damit in den Höhenlagen des Schwarzwaldes Früchte reif, an die vor | |
| Jahrzehnten nicht zu denken war. | |
| Zugleich nahmen die Schneemengen ab. Die Zahl der [2][Wintersporttage] – | |
| solche mit mehr als 30 Zentimeter Schneedecke – sank jedes Jahrzehnt um | |
| rund fünf. Die mittlere Schneehöhe an dem gut 950 Meter hoch gelegenen | |
| Standort ging pro Dekade im Durchschnitt um 17 Prozent zurück; der Tag, an | |
| dem die letzten Schneereste registriert wurden, ereignete sich jedes | |
| Jahrzehnt rund eine Woche früher. | |
| Schwieriger sind hingegen [3][Veränderungen bei den Niederschlagsmustern | |
| auszumachen]. Die Regenmengen im Frühjahr, Sommer und Herbst zeigen zwar | |
| einen leicht abnehmenden Trend, der aber ist zu diffus, um als statisch | |
| signifikant gewertet zu werden. Im Winter blieben die Niederschlagsmengen | |
| im Beobachtungszeitraum konstant. | |
| Die Regensummen sind nur eine Art der Betrachtung. Ein anderer Aspekt ist | |
| die Frage, ob die Extreme zugenommen haben – ob es also mehr Trockenphasen | |
| und zugleich mehr Starkregen gab. Global gilt das als gesichert, doch bei | |
| diesem Nachweis kommt die Statistik einer einzelnen Station an ihre | |
| Grenzen. | |
| Eine relevante Messgröße in diesem Kontext könnte die höchste Tagesmenge an | |
| Regen sein, die pro Jahr ermittelt wurde. Dieser Parameter aber liegt – bei | |
| erheblichen Schwankungen der Einzelwerte – ohne erkennbaren Trend im Mittel | |
| bei etwa 70 Litern pro Quadratmeter. Auch die Anzahl der Starkregentage, | |
| die mit mindestens 30 Litern pro Quadratmeter definiert sei, hat sich über | |
| die Jahrzehnte nicht signifikant verändert. | |
| Nun ist das alles natürlich noch kein Beleg dafür, dass | |
| Starkregenereignisse nicht doch zugenommen haben könnten. Denn die | |
| Regenmengen der Wetterstation liegen nur als Tageswerte lückenlos vor. | |
| Überflutungen aber hängen naturgemäß auch stark davon ab, in welchem | |
| Zeitraum die Regenmengen niedergehen – ob in einer Stunde oder über den Tag | |
| verteilt, macht einen erheblichen Unterschied. Von daher muss man hier | |
| feststellen, dass die Auflösung der Daten für weitergehende Aussagen | |
| schlicht nicht ausreicht. | |
| Zugleich sind auch sommerliche Dürren mit den verfügbaren Daten schwer zu | |
| greifen. Analysiert man die Trockenphasen im Verlauf der Jahrzehnte, so ist | |
| bei alleiniger Betrachtung der Niederschlagsdaten keine relevante | |
| Veränderung erkennbar. Die längste Phase im Jahr ohne messbaren Regen liegt | |
| im Mittel bei rund 15 Tagen – praktisch unverändert. | |
| Allerdings kann Dürre in der Natur auch dann zunehmen, wenn die Regenmengen | |
| konstant bleiben. Denn Dürre resultiert nicht allein aus geringen | |
| Regenmengen, sondern erheblich auch aus der Höhe der Verdunstung. Bei | |
| steigenden Temperaturen können daher selbst bei unveränderten Regenmengen | |
| Dürren häufiger werden. Die vorliegenden Messungen könnten ein Indiz dafür | |
| sein, dass der Effekt der zunehmenden Verdunstung im Schwarzwald als | |
| Ursache von Trockenheit überwiegt. | |
| Leichte Trends zeigen sich auch bei der Sonneneinstrahlung, die im | |
| Fachjargon Globalstrahlung genannt wird. Die Einstrahlung ist – mit | |
| umgekehrtem Vorzeichen – auch ein Maß für die Bewölkung. Im Frühjahr, | |
| Sommer und Herbst belegen die Messreihen im Beobachtungszeitraum eine | |
| leichte Zunahme der Solareinstrahlung, doch dieser Trend ist noch zu | |
| diffus, um als statistisch signifikant zu gelten. Im Winter blieb die | |
| Einstrahlung, und damit das Maß der Bewölkung, über die Jahrzehnte | |
| unverändert. So gibt es manche Trends, die auf Basis der Messdaten | |
| augenscheinlich gegeben sind. Doch die entscheidende Frage ist immer, ob | |
| die Entwicklung dermaßen deutlich ist, dass sie kaum zufällig aufgetreten | |
| sein kann. | |
| Statistische Analysen, die sehr strenge Signifikanzkriterien ansetzten, | |
| ergaben, dass nur 10 der 44 analysierten Messgrößen einen signifikanten | |
| Trend zeigen. Sie haben ausnahmslos mit der Temperatur zu tun. Ob sich die | |
| Trends bei den Niederschlägen so weit festigen werden, dass sie irgendwann | |
| statistisch als gesichert gelten können, wird die Frage der kommenden Jahre | |
| sein. | |
| 7 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
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