# taz.de -- Die Wahrheit: Am Tag der wunschlosen Enge | |
> Die Wohnung ist verschwunden, nur der Garten ist noch da, in dem sich | |
> etliche mit unverständlichen Tätigkeiten beschäftigte Menschen aufhalten. | |
Vieles hatte sich verändert, auf nichts war Verlass. Der Hauseingang befand | |
sich fast nie an derselben Stelle, und hatte ich ihn endlich gefunden, | |
wusste ich nicht, was mich als Nächstes erwartete. Zu meiner Wohnung ging | |
es oft nach unten, mal über Treppen, mal über eine Rutschbahn, genauso gut | |
konnte der Weg auch in die Höhe führen. | |
An dem Tag, von dem hier die Rede sein soll, empfing mich eine breite, | |
geradlinig über mindestens zwei Stockwerke aufragende Treppe aus hellem | |
Holz. Ich fühlte mich, nebenbei bemerkt, an ein Kino erinnert, das ich in | |
meiner Jugend gekannt hatte. Mir blieb nichts anderes übrig, als Stufe um | |
Stufe hinter mich zu bringen. Am oberen Ende der Treppe gelangte ich in | |
einen Garten. Wo zum Teufel war jetzt wieder meine Wohnung? | |
Die endlosen Veränderungen von allem und jedem zerstörten allmählich meinen | |
Lebenswillen. Wenigstens hatte ich, was mich selbst betraf, den Eindruck, | |
unverändert die Person zu sein, die zu sein ich gewohnt war. | |
In dem Garten hielten sich etliche mit unverständlichen Tätigkeiten | |
beschäftigte Menschen auf. Dabei erzeugten sie ein lautes Summen, wie ich | |
noch keines gehört hatte. Von früher wusste ich: „Etwas summt entsprechend | |
den Voraussetzungen seiner Manifestation.“ Und weiter: „In seinem eigenen | |
Zustand erschafft es ein sogenanntes Leben“ (oder Skelett?). | |
Eine Frau, die ich als die Witwe meines ältesten Freunds zu erkennen | |
glaubte, kam auf mich zu und sagte: „Es wäre uns eine große Freude, wenn | |
Sie uns die Ehre gäben, an unserer heutigen Feier zum Tag der wunschlosen | |
Enge teilzunehmen.“ Sie schien meine Gedanken zu kennen, denn sie fuhr | |
fort: „Sie könnten selbst ein Summen sein.“ | |
„Nein“, widersprach ich, „ich brauche kein Summen zu sein. Es genügt mir, | |
damit verbunden zu sein wie beispielsweise das äußere Bewusstsein mit dem | |
Ohr.“ – „Dabei entstehen menschliche Gedanken, die als Abfall bezeichnet | |
werden können.“ – „Ich bin nun einmal ein Mensch.“ „Das sind wir nic… | |
sprach die vermeintliche Witwe meines ältesten Freunds. | |
Zweifellos meinte sie damit die im Garten Versammelten und mit | |
unverständlichen Tätigkeiten Beschäftigten. Ich überlegte, ob ich die | |
Einladung trotzdem annehmen sollte. ‚Es geschähe aus purer Höflichkeit‘, | |
dachte ich, ‚viel lieber wäre ich in meiner Wohnung, wo es nicht summt.‘ | |
Doch die musste ich erst einmal finden. | |
Bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, trat der Konditor vor mit den | |
Worten: „Weitere Informationen sind fertig: Wir leben von der Hand im Mund. | |
Das hat uns die Ziege gesagt.“ Die Frau, die unmöglich die Witwe meines | |
ältesten Freunds sein konnte, schwärmte: „Die Hand nährt uns. Sie gibt uns | |
vom Dach des Herrn.“ | |
Was „die Ziege“ ihnen aber verschwiegen hatte, war, dass die Hand im Mund | |
die Worte würgte und den Schlund schloss. Mehr kann ich nicht zu der Sache | |
mitteilen. Es tut mir aufrichtig leid. | |
30 Jul 2024 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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