# taz.de -- Zyperns Außenminister Kombos: „Die Teilung überwinden“ | |
> Seit 50 Jahren ist Zypern zweigeteilt. Außenminister Konstantinos Kombos | |
> über Ansätze zur Konfliktlösung und Zyperns Rolle in einer explosiven | |
> Region. | |
Bild: Eine junge Frau legt Blumen auf den Gräbern getöteter Soldaten nieder | |
taz: Herr Außenminister, jedes Jahr heulen am 15. Juli und 20. Juli die | |
Sirenen in der Republik Zypern. Sie sollen an den Staatsstreich am 15. Juli | |
1974 und den Einmarsch türkischer Truppen in den Norden der Insel erinnern. | |
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Sirenen hören? | |
Konstantinos Kombos: Das sind Tage voller Trauer. Jede Familie auf Zypern | |
hat Erlebnisse und Erinnerungen aus diesen Tagen. Leider hat eine große | |
Zahl unserer Mitbürger Verluste zu beklagen. Tote, Vermisste. Menschen | |
wurden entwurzelt. Das sind Tage der Reflexion. Der Frage, wie es so weit | |
kommen konnte. Das ist kein historisches Ereignis ohne Folgen, sondern hat | |
eine andauernde Teilung ergeben. Wir werden uns nie damit abfinden. Dieser | |
Zustand ist nicht nachhaltig. Wir haben weiter für eine Gesamtlösung zu | |
kämpfen. | |
Weshalb ist der heutige Zustand nicht nachhaltig? | |
Erstens muss das Narrativ aus unseren Köpfen verschwinden, dass es sich | |
beim Zypernkonflikt um einen eingefrorenen Konflikt („frozen conflict“) | |
handelt. Das ist eine sehr gefährliche Situation, die auf Zypern herrscht. | |
Im besetzten Norden der Insel sind 40.000 türkische Soldaten stationiert, | |
in Angriffsstellung gegen uns. Ferner ereignen sich Zwischenfälle in der | |
Pufferzone und auf dem Meer in der Ausschließlichen Wirtschaftszone der | |
Republik Zypern. Es kann jeden Moment ein Aufflammen geben. | |
[1][Zypern ist seit 1974 de facto geteilt.] Die letzten Gespräche zwischen | |
griechischen und türkischen Zyprioten zur Lösung des Zypernkonflikts sind | |
2017 gescheitert. Warum ist bis heute keine Lösung erzielt worden? | |
Aus einer Reihe von Gründen. Zuallererst hat das mit dem Starrsinn der | |
Türkei zu tun. Bei allem Respekt gegenüber den Anführern der türkischen | |
Zyprioten über all die Jahre: Deren Position im Zypernkonflikt wird in | |
Ankara festgelegt. Zweitens wird die Causa Zypern immer komplexer, je mehr | |
Zeit verstreicht. Die Zeit läuft gegen uns. Die deutsche Teilung, die bis | |
zur Wiedervereinigung 40 Jahre andauerte, hat uns allen deutlich gemacht: | |
Man darf nicht aufgeben. | |
Was wollen Sie? | |
Die Teilung überwinden. Wir wollen nicht mit der Teilung leben. Dafür | |
brauchen wir die Hilfe der EU und befreundeter Staaten wie Deutschland, um | |
den Starrsinn der anderen Seite zu brechen. Wir sind bereit, die | |
Verhandlungen an jenem Punkt wieder aufzunehmen, die 2017 in Crans-Montana | |
ein sehr fortgeschrittenes Stadium erreicht hatten, um so die erzielten | |
Annäherungen zu bewahren. Die Verhandlungen können nur im vom | |
UN-Sicherheitsrat gesetzten Rahmen erfolgen. Solange sich die andere Seite | |
(die türkisch-zypriotische; Anm. d. Red.) außerhalb dieses Rahmens bewegen | |
will, untergräbt sie automatisch die Bemühungen um eine Lösungsfindung. Es | |
geht hier nicht nur um Zypern. Verlässt jemand diesen Rahmen, wird damit | |
das Ergebnis eines Angriffs, einer illegalen Invasion in ein Land | |
legitimiert. Es würde so ein Präzedenzfall geschaffen, der solche | |
Vorgehensweisen für anderswo bereits geschaffene Zustände im Nachhinein | |
legitimiert und zugleich den Weg für Nachahmer von derartigen Aggressionen | |
in der Zukunft ebnet. | |
Sie lehnen die Beibehaltung des Status quo auf der Insel – sprich: der | |
Teilung – ab. Wie soll aus Ihrer Sicht das zukünftige Staatsmodell Zyperns | |
aussehen? Ein Einheitsstaat, ein Staatenbund zweier souveräner Staaten, die | |
Rückkehr zu dem Status quo ante, wie vor 1974? Etwas anderes? | |
Wir sagen ganz klar: Es soll ein bizonaler, bikommunaler und föderaler | |
Bundesstaat geschaffen werden mit politischer Gleichstellung gemäß den | |
Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates. Alles andere bewegt sich außerhalb des | |
durch den UN-Sicherheitsrat verbindlich vorgegebenen Rahmens. | |
Gibt es für Sie nur diese Option? Die türkischen Zyprioten und Ankara | |
plädieren öffentlich mit Nachdruck für eine Zweistaatenlösung. | |
Ja, es gibt für uns nur diese Option. Schon dieses Staatsmodell (bizonaler, | |
bikommunaler, föderaler Bundesstaat; Anm. d. Red.) stellt für die | |
griechischen Zyprioten einen schmerzhaften Rückzieher dar. Der Rahmen des | |
UN-Sicherheitsrats kann nicht von irgendeinem Dritten verändert werden. Nur | |
der UN-Sicherheitsrat selber kann dies tun. | |
Diese Regierungsform als Lösung im Zypernkonflikt ist doch schon einmal | |
gescheitert! Das sah bereits 2004 der sogenannte Annan-Plan vor. Während | |
die türkischen Zyprioten dem Plan in einer Volksabstimmung mit 65 Prozent | |
der Stimmen zustimmten, lehnten ihn die griechischen Zyprioten mit 76 | |
Prozent ab. Wieso halten Sie daran fest? | |
Nicht das Modell der Regierungsform, also die Formel einer bizonalen und | |
bikommunalen Föderation, ist abgelehnt worden. Es gab unterhalb der | |
Staatsform eine Vielzahl von Regelungen. Wer gegen den Annan-Plan stimmte, | |
tat dies aus jeweils aus verschiedensten Gründen. Nicht das Modell der | |
Regierungsform wurde abgelehnt. Im Referendum ist ein komplexer Sachverhalt | |
auf ein ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ heruntergebrochen, sehr vereinfacht worden. Sie | |
werden sich nun fragen: ‚Warum bestehen Sie auf eine Neuaufnahme der | |
Verhandlungen?‘ | |
Genau. | |
Weil wir nicht untätig bleiben können. Und dies, obgleich die andere Seite | |
auf eine Zweistaatenlösung pocht. Die Frage ist, wie ist die andere Seite | |
dazu zu bewegen, in den vom UN-Sicherheitsrat gesetzten Rahmen | |
zurückzukehren. Das hängt nicht von uns ab. Allerdings hat der | |
UN-Generalsekretär in diesen international bewegen Zeiten mit großen | |
Konflikten das Thema Zypern erneut auf seine Agenda gesetzt und entfaltet | |
Aktivitäten. Wir sehen darin ein Fenster. | |
Wie sehen Sie die Rolle Zyperns an der [2][konfliktgeladenen Nahtstelle | |
zwischen Orient und Okzident]? | |
Wir sehen uns als nützliche Brücke. In Krisen, aber nicht nur. Beispiel: | |
Wir haben Evakuierungen von Bürgern aus Drittstaaten verwirklicht, wie im | |
Fall des Sudans oder dem Libanon. Wir pflegen ausgezeichnete Beziehungen zu | |
unseren Nachbarn Israel, Ägypten und Jordanien. Bereits 1988 haben wir | |
Palästina anerkannt. Wir starten zudem eine strategische Kooperation mit | |
den USA. Sie beruht auf sechs Grundpfeilern, darunter in den Bereichen | |
Bildung, Forschung und Technologie. Das ist keine militärische Kooperation, | |
wir sind zudem nicht Mitglied der Nato. Nach dem 7. Oktober hat unser | |
Staatspräsident Nikos Christodoulidis der internationalen Gemeinschaft nach | |
großen Bemühungen die Option eines humanitären Seekorridors zur Lieferung | |
von Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung in Gaza eröffnet. Anfangs waren | |
wir mit dem Vorschlag alleine auf weiter Flur. Man sagte uns: ‚Liebe | |
Zyprer, das funktioniert nicht.‘ Wir haben unbeirrt daran festgehalten – | |
und das geschafft. Das ist keine kleine Sache. | |
Ende voriger Woche ist das US-Schiff „Cape Trinity“ mit Hilfsgütern von | |
Larnaka aus zum israelischen Hafen Ashdod losgefahren, obgleich eine von | |
den USA gebaute, am 16. Mai in Betrieb gegangene temporäre Landungsbrücke | |
vor der Küste Gazas derweil wetterbedingt zerstört ist. Bleibt der | |
Seekorridor bestehen? | |
Wir sagen: Ja, es kann weitergehen. Den Seekorridor von Larnaka aus gab es | |
bereits vor dem Bau des Piers vor der Küste Gazas. Das ist die Rolle | |
Zyperns: Wir wollen die Rolle der EU in der Region stärken. Für uns ist der | |
Zypernkonflikt eine Existenzfrage. Wir sehen uns indes nicht als ein | |
monothematisches Problem, sondern sind Teil der Lösung der Probleme in der | |
Region. Wir sind als EU-Außenposten ein Stabilitätsanker. | |
[3][Hisbollah-Chef Hasan Nasrallah hat im Juni erstmals Zypern gedroht.] | |
Wie Nasrallah sagte, könnte die Hisbollah Zypern „als in den Krieg | |
verwickelt betrachten“, falls es Israel erlauben werde, seine Flughäfen und | |
Stützpunkte für Angriffe gegen den Libanon zu nutzen. Wie sehen Sie das? | |
Das entbehrt jeglicher Grundlage. Wir sind 40.000 türkischen Soldaten im | |
besetzten Inselnorden in Angriffsstellung gegen uns ausgesetzt. Das ist | |
schon genug. Wir haben zu keinem Zeitpunkt offensive operative militärische | |
Einsätze von unserem Staatsgebiet gegen irgendein Land in der Region | |
zugelassen, und wir werden das niemals tun. Schon seit Jahren und mit sehr | |
vielen Partnern führt unsere Nationalgarde militärische Übungen auf unserem | |
Staatsgebiet durch. Mit operativen Einsätzen gegen irgendein Land hat das | |
aber nicht das Geringste zu tun. Speziell mit dem Libanon pflegen wir seit | |
Jahrzehnten engste und freundschaftliche Beziehungen. | |
Was ist mit den zwei britischen Militärbasen auf Zypern? Die Briten fliegen | |
von dort aus Angriffe auf die Huthi-Rebellen im Jemen. | |
Darauf haben wir keinen Einfluss. Deswegen darf Zypern nicht zur | |
Zielscheibe werden. | |
Thema Migration: Zypern hat gemessen an seiner Bevölkerung die meisten | |
Schutzsuchenden in der EU. Wie sieht die Situation aktuell aus? | |
In den letzten 15, 16 Monaten sind weniger Neuankömmlinge über die Türkei | |
und den Inselnorden zu uns gekommen, dafür kommen mehr auf dem Seeweg | |
maßgeblich über den Libanon. Das ist nur mit der EU zu bewältigen. Wir | |
danken der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat das | |
Problem erkannt. Sie ist mit unserem Staatspräsidenten Christodoulidis in | |
den Libanon gereist, wir haben in kurzer Zeit den | |
EU-Libanon-Flüchtlingsdeal auf den Weg gebracht. Die EU muss das Übel an | |
der Wurzel packen. Es ist falsch zu glauben, dass Zypern weit von Brüssel | |
weg ist und dies das übrige Europa nicht betrifft. | |
Hat Nikosia von der Leyen bei ihrer Wiederwahl unterstützt? | |
Das haben wir. Namentlich unser Präsident. Frau von der Leyen hat bei einer | |
Reihe von Themen eine Effizienz an den Tag gelegt. Dafür bekunden wir | |
unsere Genugtuung. | |
29 Jul 2024 | |
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Ferry Batzoglou | |
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