# taz.de -- 50 Jahre Zypern-Teilung: Eine Insel, keine Lösung | |
> Nach einer türkischen Offensive am 20. Juli 1974 wird Zypern zweigeteilt. | |
> Bis heute bestimmt die Trennung den Alltag der Menschen. | |
Kaimakli, Famagusta und Lefkosa taz | Die Sirenen heulen. Um 8.20 Uhr | |
ertönen sie an diesem brütend heißen Montag in Kaimakli, einem | |
nordöstlichen Vorort von Zyperns Hauptstadt Nikosia. Kein Mensch auf der | |
Straße reagiert. Das Leben geht seinen gewohnten Gang. Die Leute wissen: | |
Heute ist keine Gefahr. Das war vor – auf den Tag genau – 50 Jahren ganz | |
anders. Die Sirenen erinnern an den Staatsstreich vom 15. Juli 1974. Die | |
Putschisten wollen die Vereinigung mit Griechenland. Den Putsch führen die | |
zyprische Nationalgarde und Mitglieder der berüchtigten EOAKA-B, einer | |
ultranationalistischen paramilitärischen Organisation der Zyperngriechen, | |
auf Geheiß der Athener Militärjunta durch. Ihr Ziel ist es, Zyperns | |
gewählten [1][Präsidenten Erzbischof Makarios III.] zu stürzen. | |
Makarios steht im Streit mit den Athener Obristen. Kompromisslos fordert er | |
die Selbstbestimmung der Völker, den Abzug der griechischen Offiziere von | |
Zypern und übt harsche Kritik an der Athener Militärdiktatur. Den USA ist | |
der „Fidel Castro des Mittelmeers“, der sich der Bewegung der Blockfreien | |
Staaten anschließt, sowieso nicht geheuer. Die Supermacht will zwar keinen | |
Krieg zwischen zwei Nato-Mitgliedern, Griechenland und der Türkei, den | |
beiden Garantiemächten der noch jungen Republik Zypern. Sehr wohl wollen | |
die USA aber die Absetzung von Erzbischof Makarios. Hinter den Kulissen | |
unterstützt die CIA den Staatsstreich der Griechen und eine türkische | |
Invasion auf der Insel, um die Rolle der Türkei, ein Schwergewicht in der | |
Nato, in der Region zu stärken. Gekonnt setzt Washington Akteure aller | |
Seiten als Werkzeuge und Schachfiguren ein. | |
Die Ereignisse überschlagen sich. Erzbischof Makarios flieht nach Paphos im | |
Inselsüden. Nach einer abenteuerlichen Flucht erreicht Makarios New York. | |
Dort nimmt er am 19. Juli an der Sitzung des UN-Sicherheitsrats teil. | |
Unverhohlen prangert er die Athener Junta an, wirft ihr ohne Umschweife | |
eine Invasion vor. Am 20. Juli 1974 greift die Türkei auf Zypern ein. | |
Ankara beruft sich auf Artikel 4 des Garantievertrags zu Zypern. Türkische | |
Truppen landen im Morgengrauen im Norden der Insel. Im Eiltempo besetzt das | |
türkische Militär in der [2][Operation Attila]etwa sieben Prozent der | |
Inselfläche. In einer zweiten Offensive, Attila II, bringen die türkischen | |
Truppen vom 14. bis 18. August weitere 30 Prozent der Inselfläche unter | |
ihre Kontrolle. | |
50 Jahre später empfängt der Zyperngrieche Pater Marios im Herzen von | |
Kaimakli in seinem kleinen Beichtzimmer im Untergeschoss der mächtigen | |
Kirche Aghios Polydoros. Er ist ein großgewachsener Mann, mit einem für | |
orthodoxe Priester typischen Rauschebart. Soeben hat ihm eine | |
Mitvierzigerin ihre Sünden gebeichtet. „Wer beichtet, muss Reue zeigen. Wir | |
Priester sind nur der Überbringer der Erlösung von den Sünden“, sagt der | |
62-Jährige. Der Namensgeber der Kirche in Kaimakli, ein Händler, der lange | |
nach seinem Tod heilig gesprochen wurde, sei 1794 von den türkischen | |
Herrschern erhängt worden, erklärt er. „Er wollte kein Muslim sein, sondern | |
Christ bleiben. Dafür brachten ihn die Türken um“, erzählt der Pater | |
ehrfürchtig. Zum 20. Juli 1974 erzählt er: Die türkische Armee wollte | |
damals Kaimakli komplett erobern. Jedoch ohne Erfolg. Nur die Ackerflächen, | |
die die Bewohner von Kaimakli bis dahin bewirtschafteten, brachten sie | |
unter ihre Kontrolle. | |
Nach der türkischen Offensive wird Zypern geteilt. Rund 160.000 | |
Zyperngriechen werden aus dem Inselnorden in den Inselsüden vertrieben, | |
Tausende Zyperntürken verlassen den Inselsüden in Richtung Norden. Die | |
Zyperngriechen kontrollieren den Inselsüden, die Zyperntürken den | |
Inselnorden. Das ist bis heute so. Die 1983 ausgerufene „Türkische Republik | |
Nordzypern“ wird nur von der Türkei anerkannt. Die Republik Zypern wird | |
2004 EU-Mitglied und tritt 2008 der Eurozone bei. Die letzten bilateralen | |
Gespräche zur [3][Lösung der Zypernfrage] scheitern Mitte 2017. Die Türkei | |
will eine Zwei-Staaten-Lösung, das lehnt die Republik Zypern jedoch | |
vehement ab. Der Inselnorden zählt 350.000 Bewohner, die Türkisch sprechen | |
und fast alle Muslime sind. Der Süden hat 900.000 Bewohner, die Griechisch | |
sprechen und fast alle orthodox sind. Nikosia ist die letzte geteilte | |
Hauptstadt der Welt. | |
„1974 fand auf Zypern eine ethnische Säuberung statt“, unterstreicht Pater | |
Marios. Das habe nicht nur die Zyperngriechen betroffen, die aus dem Norden | |
in den Süden flohen. Er kenne eine türkischzypriotische Familie aus Paphos, | |
einer Stadt im Südwesten des Landes. „Sie wollten nicht weg. Sie haben | |
geweint, als sie ihr Haus verlassen mussten.“ Es gab aber auch eine Zeit, | |
da waren die Fronten weniger verhärtet. „Wir lebten friedlich mit den | |
Zyperntürken zusammen. Wir waren Freunde“, erinnert sich Pater Marios. Das | |
war vor [4][den Unruhen 1963], in denen die Gewalt zwischen griechischen | |
Zyprioten und türkischen Zyprioten erstmals gewaltvoll eskaliert. Dann habe | |
die Türkei den Zyperntürken immer mehr die Marschrichtung vorgegeben, sagt | |
er. | |
Der Westen habe Ankara dabei freie Hand gelassen, die Türkei „aufgeweckt | |
und angestachelt, auf Zypern aktiv zu werden“, ätzt er. Für den Geistlichen | |
ist damals wie heute klar: „Die Türkei will sich ganz Zypern einverleiben. | |
Ihr Motto lautet: ‚Die Insel gehört uns!‘ Werde diesem Bestreben nicht | |
Einhalt geboten, seien hernach Kreta oder andere Regionen dran, fürchtet | |
Pater Marios. „Die Lösung des Zypernkonflikts ist nicht eine Sache zwischen | |
Zyperngriechen und Zyperntürken, sondern hat vor allem mit der Türkei und | |
ihrem stetigen Expansionsdrang zu tun.“ | |
Der Umstand, dass die Flagge der „Türkischen Republik Nordzypern“ (TRNC) | |
von den dortigen Behörden an den Hängen des Berges Pentadaktylos in einer | |
riesigen Gesamtfläche nachgebildet wurde, um überall sichtbar zu sein, ist | |
für Pater Marios bloß „ein Provisorium“. Der Pfarrer übt sich in Geduld. | |
„Wir haben auf Zypern 300 Jahre Osmanenherrschaft überstanden. Wieso sollen | |
dann 50 Jahre viel sein?“ | |
Famagusta (griechisch: Ammochostos) ist eine pulsierende, | |
55.000-Einwohner-Stadt an Zyperns Ostküste. Hier lebt Deniz Altiok, nur 50 | |
Kilometer Luftlinie von Kaimakli und Pater Marios entfernt. Die junge | |
Zyperntürkin und den altgedienten orthodoxen Priester aus Kaimakli trennt | |
die von der UN bewachte „Grüne Linie“, eine Pufferzone zwischen dem | |
Inselnorden und Inselsüden. Dabei hat Altiok als Kind türkischer Zyprioten, | |
die schon seit Generationen auf Zypern leben, den gleichen Pass wie Pater | |
Marios: jenen der Republik Zypern, die Freizügigkeit in der EU inbegriffen. | |
Wer jedoch erst nach Zyperns Teilung vom türkischen Festland in den | |
Inselnorden entweder auf Anordung aus Ankara oder freiwillig kam, ist aus | |
Sicht der Republik Zypern ein „Epikos“ („Siedler“). Ihm und seinen | |
Nachfahren wird daher – anders als bei Altiok und Co. – die | |
Staatsangehörigkeit der Republik Zypern verwehrt. Die türkischen Siedler im | |
Inselnorden samt ihren Nachfahren sollen über 100.000 Bewohner sein. Bei | |
der Suche nach einer Lösung im Zypernkonflikt ist die Staatsangehörigkeit | |
ein großer Konfliktpunkt. | |
Ihr Vater sei kurz vor Kriegsausbruch von seiner Heimatstadt Paphos in den | |
Inselnorden geflohen, erzählt Deniz Altiok. „Er ahnte, dass etwas passieren | |
würde. Er wollte nicht kämpfen, für keine Seite. Er wollte nicht Teil des | |
Konflikts werden“, sagt die 31-Jährige. Ihre Mutter, eine überzeugte Linke, | |
stammt aus Larnaka im Inselsüden. Zum Zeitpunkt der Ereignisse im Sommer | |
1974 auf Zypern sei sie Studentin in der Türkei gewesen. Deniz’ Mutter | |
leistete dort Widerstand gegen die türkische Militärjunta, während in ihrer | |
Heimat Zypern die Athener Obristen ihr Unheil trieben. „Meine Familie | |
glaubte immer an den Frieden. Das hat mich stark geprägt“, sagt Deniz | |
Altiok. | |
Als Deniz Altiok 1993 zur Welt kam, war die „Türkische Republik Nordzypern“ | |
(TRNC) schon zehn Jahre alt – für die Zyperngriechen schlicht ein | |
„Pseudo-Staat“. Sie studierte in Kent Jura. Erst im Süden Englands, als sie | |
mit Zyperngriechen an der Universität in direkten Kontakt kam, wurde ihr | |
die Teilung Zyperns bewusst. „Ich hatte nie eine Grenze im Kopf. Die | |
Zyperngriechen sind hingegen in ihrem Narrativ aufgewachsen. Für sie sind | |
wir Zyperntürken die Bösen. Anfangs war ich verärgert. Ich fragte mich: | |
Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich falsch aufgewachsen?“ Mit der Zeit | |
näherten sie sich jedoch an. „Wir wurden sehr enge Freunde, waren gemeinsam | |
mit den Zyperngriechen in der Zyprischen Studentenschaft.“ | |
Nach ihrem Studium kehrt sie nach Zypern zurück, tritt seither für | |
Migranten und Menschen aus der LGBTQIA-Community ein. Sie fungiert in der | |
Plattform für Menschenrechte mit Sitz in Nord-Nikosia, das türkisch Lefkosa | |
heißt, als Koordinatorin im Programm Anti-Trafficking und | |
[5][Flüchtlingsrechte]. Die Lösung des Zypernkonflikts sei für die | |
Zyperntürken „keine Priorität mehr“, offenbart Altiok. Das gelte auch für | |
sie. Früher sei die Suche nach einer Lösung hierzulande das Thema Nummer | |
eins gewesen. „Das ist vorbei. Wir sind zwar mit der aktuellen Situation | |
nicht zufrieden. Zugleich tun wir aber nichts, um die Dinge zum Besseren zu | |
verändern. Nicht auf der Straße, nirgendwo.“ Sie habe ihre Hoffnung auf | |
eine Lösung verloren. | |
Im Inselnorden treibe der Alltag die Menschen um, so Deniz Altiok. „Wir | |
werden immer ärmer. Wir versuchen nur zu überleben, irgendwie durch den Tag | |
zu kommen.“ Vor allem die galoppierende Inflation belastet. Sie resultiert | |
aus dem enormen Wertverlust der türkischen Lira, im Norden Zyperns die | |
offizielle Währung. Geht es mit der türkischen Lira bergab, dann ist auch | |
der Norden Zyperns unmittelbar davon betroffen. | |
Omac Cin treiben andere Dinge um. In seinem weitläufigen Verkaufsraum in | |
einem unscheinbaren Gebäude in Lefkosa stehen schicke Sofagarnituren, | |
hochwertige Betten, massive Tische, bunte Stühle. Der 59-Jährige macht es | |
sich auf einem Sofa gemütlich. Er verkaufe eingeführte Möbel, habe zudem | |
eigene Fertigungsstätten, sagt er. Die importierte Ware komme aus der | |
Türkei, seine produzierten Möbel verkauft er nur im Inselnorden. „Ich würde | |
meine Möbel gerne auch im Inselsüden verkaufen. Das geht aber nicht.“ Die | |
simple Logik: Produkte aus Nordzypern dürfen nicht in den Inselsüden, die | |
übrige EU und fast überall auf der Welt ausgeführt werden, weil die | |
„Türkische Republik Nordzypern“ außer für die Türkei gar nicht als Land | |
existiert. Dabei hat Omac Cin einträgliche Geschäfte in neuen, viel | |
größeren Absatzmärkten als im Niemandsland Nordzypern bitter nötig. Der | |
bisher boomende Immobiliensektor, ein wichtiger Pfeiler der Wirtschaft im | |
Inselnorden, ist in unruhiges Fahrwasser geraten. | |
Denn Zyperns Behörden gehen zuletzt hart gegen Personen vor, die im Norden | |
Zyperns Immobilien verkaufen oder bebauen. Diese Immobilien gehören trotz | |
der faktischen Teilung der Insel weiter ihren rechtmäßigen | |
zyperngriechischen Eigentümern, die im Sommer 1974 aus ihren Häusern im | |
Inselnorden in den Inselsüden flohen. Zuletzt blühte das Geschäft mit | |
diesen Liegenschaften im Norden, sehr zum Verdruss der rechtmäßigen | |
zyperngriechischen Eigentümer. Sie wollen nicht, dass ihr altes Eigentum im | |
Inselnorden von anderen illegal erworben oder genutzt wird. | |
Erst kürzlich wurde eine 49-jährige Deutsche auf dem Flughafen von Larnaka | |
verhaftet, die im Immobilienmarkt im Norden Zyperns aktiv ist. Ferner nahm | |
die zyprische Polizei den israelischen Geschäftsmann Simon Mistriel Aykut | |
fest, ein großer Fisch in der Branche. „Das ist ein Erdbeben in unserer | |
Immobilienbranche“, legt Möbelverkäufer Cin den Finger in die Wunde. Die | |
Turbulenzen treffen ihn mit voller Wucht. Ohne neue Wohnungen braucht man | |
keine neuen Möbel. Cin bleibt nun buchstäblich auf seiner Ware sitzen. | |
Die Missstände in Sachen Liegenschaften im Inselnorden sind auf der Suche | |
nach einer Lösung im Zypernkonflikt ein zweiter chronischer Streitpunkt | |
zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken. Umgekehrt könnte eine Lösung im | |
Zypernkonflikt diese Missstände abstellen. Doch ein Einvernehmen ist nicht | |
in Sicht. | |
Die Öffnung der Republik Zypern für Waren aus dem Inselnorden wäre in | |
seinen Augen der erste Schritt, um die Teilung der Insel endlich zu | |
überwinden, so der Vorschlag von Unternehmer Cin. „Wir würden mehr Geld | |
verdienen und so zum Süden aufschließen. Nur so können wir auf gleicher | |
Augenhöhe mit den Zyperngriechen zusammenleben.“ Andernfalls bestünde für | |
die Zyperntürken die Gefahr, vom bevölkerungsreichen und wohlhabenden Süden | |
„geschluckt“ zu werden. | |
Cins Sicht der Dinge hat Gewicht. Er ist Präsident der | |
türkischzypriotischen und zugleich Co-Präsident der gemeinsamen türkischen | |
und türkischzypriotischen Handelskammer. Einer Zweistaatenlösung erteilt | |
Cin eine Absage. „Zypern ist zu klein, um zwei Staaten Platz zu bieten.“ | |
Eine baldige Lösung im Zypernkonflikt sieht er nicht. Gleichzeitig betont | |
er: „Einen Krieg zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken wie 1974 darf es | |
nie wieder geben.“ | |
Die gleißende Sonne, die genau 50 Jahre nach dem Putsch auf Zypern | |
unbarmherzig auf Kaimakli brennt, geht gerade unter. Eine Mauer, etwa vier | |
Meter hoch, wirft immer längere Schatten. Verfallene Gebäude, eine | |
unbebaute Fläche, überall Unkraut, das keiner jätet, ein Stoppschild. Die | |
Georgios-Griva-Digeni-Straße, benannt nach dem Gründer der EOAKA-B, der | |
Putschisten, endet hier, an der Grünen Linie zwischen Groß-Kaimakli und | |
Klein-Kaimakli. Für Tasos Lamnisos alias X.YPNO, das auf Griechisch „Ich | |
wache auf“ bedeutet, ist das die ideale Kulisse. Der 25-jährige hat einen | |
Lockenkopf, trägt eine Halskette, dunkles T-Shirt, kurze Hose, und ist | |
Rapper. Was ihn von anderen unterscheidet: Er singt im zyprischgriechischen | |
Dialekt. Es ist ein Ein-Mann-Auftritt. Er spielt Synthesizer, trägt | |
Gedichte vor. Freunde, Bekannte, antifaschistische Mitstreiter lauschen. | |
Nach einer Viertelstunde ist sein Auftritt vorbei. Applaus brandet auf. | |
„Mir ist es wichtig, im zyprisch-griechischen Dialekt zu rappen, nicht in | |
Neugriechisch, das in Hellas gesprochen wird. Wir Zyprer sprechen im Alltag | |
alle den Dialekt. Das tue ich in meinen Liedern“, sagt er. Immer wieder | |
setzt sich der Rapper mit Zyperns Teilung auseinander. In einem seiner | |
Lieder heißt es: „Teufel, Teufel, Teufel. Sie werden uns verraten. Sie | |
werden uns nie vereinen.“ Mit „sie“ meint er die Machthaber, die die | |
Teilung der Insel nicht beseitigen. | |
Der Rapper will keine Grenze auf Zypern. „Die Grenze ist völlig ausgedacht. | |
Das ist ein Land“, sagt er. „Wir sind eingepferchte Schafe. Gehe ich in den | |
Norden, muss ich meinen Pass zeigen, als ob ich ein Tourist wäre, der das | |
Ausland besucht. Absurd.„Die Teilung führe dazu, dass die Menschen im | |
Norden und jene im Süden „in ihren eigenen Blasen leben“, nicht in Kontakt | |
kommen. „Für viele im Süden existiert der Norden praktisch nicht“, klagt | |
er. „Nur wenn beide Seiten aus ihren Fehlern lernen, kann eine Lösung im | |
Zypernkonflikt gefunden werden. Uns trennt nichts. Zyperngriechen, | |
Zyperntürken, die Türken, alle Bewohner Zyperns, egal woher sie stammen, | |
sind Zyprer. Zypern war immer ein Schmelztiegel verschiedener Ethnien, | |
Sprachen, Religionen und Kulturen.“ | |
Um die Lösung im Zypernkonflikt zu erreichen, stünden alle Seiten in der | |
Verantwortung, findet der 25-jährige. „Wir Zyperngriechen aber mehr, weil | |
wir die Mehrheit sind.“ Leider sei er nicht zuversichtlich, dass er ein | |
vereintes Zypern erleben werde. Chancen dafür habe es gegeben. Sie seien | |
aber nicht genutzt worden. | |
Zum Beispiel der [6][Annan-Plan], benannt nach dem früheren | |
UN-Generalsekretär Kofi Annan. Der Anfang 2004 vorgelegte Entwurf sah ein | |
Hybridmodell aus einem Bundesstaat (Forderung der Zyperngriechen) und einer | |
Union zweier souveräner Staaten (Forderung der Zyperntürken) vor. Der Plan | |
scheiterte. Während 65 Prozent der Zyperntürken den Annan-Plan in einer | |
Volksabstimmung befürworteten, lehnten ihn 76 Prozent der Zyperngriechen | |
ab. | |
Die Teilung ist zum Dauerzustand avanciert. Politisch. Geostrategisch. | |
Ökonomisch. Gesellschaftlich. Sprachlich. Kulturell. So wundert es nicht, | |
dass sich derweil ein eher abschätziger Spruch im Neugriechischen | |
eingebürgert hat: „Mach es nicht zypriotisch!“ Will heißen: „Komme zu e… | |
Ende!“ Die Gespräche zur Lösung des Zypernkonflikts liegen derweil auf Eis. | |
Im Inselnorden ist der 20. Juli der „Feiertag des Friedens und der | |
Freiheit.“ Der Präsident der Türkischen Republik Nordzypern (TRNC), Ersin | |
Tatar, wird mit seinem engen Verbündeten, den türkischen Staatspräsidenten | |
Recep Tayyip Erdoğan, die alljährliche Militärparade im Inselnorden | |
verfolgen. Der 64-Jährige ist in Nikosia, im damals noch vereinten Zypern, | |
geboren. Er ist Chef der nationalkonservativen UBP. | |
## 40.000 türkische Streitkräfte auf der Insel | |
Die Militärparade hat Symbolkraft. Dass „auf der Insel seit einem halben | |
Jahrhundert kein Blut und keine Tränen geflossen“ seien, sei auf die | |
Präsenz der „türkischen Friedenstruppen“ zurückzuführen, hebt Ersin Tat… | |
hervor. Die Türkischen Streitkräfte auf Zypern, in der Eigenbezeichnung | |
Türkische Friedenstruppe auf Zypern, unterstehen mit ihren geschätzt 40.000 | |
Soldaten den türkischen Streitkräften. | |
Während die fortwährende massive Präsenz der türkischen Streitkräfte im | |
Inselnorden für die TRNC-Politelite unerlässlich ist, ist sie für die | |
Zyperngriechen neben der heiklen Sache türkische Siedler und Immobilien im | |
Inselnorden ein dritter Knackpunkt bei der Suche nach einer Lösung im | |
Zypernkonflikt. | |
Der Hardliner Tatar vertritt die Position, wonach es „die Realität sei, | |
dass es zwei getrennte Völker und zwei getrennte Staaten auf der Insel | |
gibt“. Erdoğan sieht das genauso. Denn nur ein souveräner TRNC-Staat ist | |
ein Baustein für sein im Westen weitgehend unbeachtetes Projekt der | |
Schaffung und Erweiterung einer Türkischen Welt, in der sich die türkische | |
Einflusssphäre vom Mutterland Türkei aus auf alle Gebiete erstreckt, in der | |
das Türkische präsent ist oder Turkvölker leben. | |
Das Konzept ähnelt der unter Putin forcierten Russischen Welt (Russki Mir). | |
Die organisatorische Struktur für Erdoğans Projekt wurde bereits | |
geschaffen. In der 2009 gegründeten Organisation der Turkstaaten (OTS) mit | |
Hauptsitz in Istanbul, deren Mitglieder die Türkei, Aserbaidschan, | |
Kasachstan, Kirgistan sowie Usbekistan sind, genießt die „Türkische | |
Republik Nordzypern“ einen Beobachterstatus. | |
Unterdessen lehnt der Präsident der Republik Zypern, Nikos Christodoulidis, | |
eine Zweistaatenlösung auf Zypern strikt ab. In seinem Amtssitz in Nikosia | |
wird er am 20. Juli unter Anwesenheit des griechischen Premiers Kyriakos | |
Mitsotakis eine Rede halten. Den Tenor gab Christodoulidis, der gerade | |
fünfzig Jahre alt ist und Zyperns erster Präsident aus der | |
Nachkriegsgeneration ist, bereits im Vorfeld preis: „Die Zyprer warten | |
geduldig, sie hoffen, sie kämpfen“, sagte er kürzlich bei einer Rede. | |
Wer glaubt, die Zyperngriechen hätten eine geschlossene Meinung in der | |
Causa Zypern, der irrt gewaltig. Einer im November 2022 veröffentlichten | |
Umfrage des zyprischen Staatssenders RIK zufolge sprachen sich 36 Prozent | |
der Befragten für ein Staatsmodell auf Zypern aus, wie es im Annan-Plan | |
vorgesehen war. | |
Ferner wollten 18 Prozent zwei unabhängige Staaten, 14 Prozent plädierten | |
für einen einheitlichen Staat, 13 Prozent waren für die Beibehaltung des | |
Status quo und sechs Prozent favorisierten einen Staatenbund zweier | |
souveräner Staaten. Zwei Prozent sprachen sich für einen Status quo ante | |
aus (wie vor 1974), falls erforderlich mit Gewalt. | |
Die Sirenen werden abermals heulen. Am Samstag, dem 20. Juli, um Schlag | |
5.30 Uhr werden sie daran erinnern, dass türkische Truppen im Morgengrauen | |
vor genau 50 Jahren in den Inselnorden einfielen. Das Leben wird seinen | |
gewohnten Gang gehen. In ganz Zypern. | |
20 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zypern.de/beruehmtheiten/erzbischof-makarios-3/ | |
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Atilla_(Turkish_Invasion_of_Cyprus) | |
[3] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-europalexikon/177377/zypernfrage/ | |
[4] /Blutiges-Weihnachten-in-Zypern/!5980828 | |
[5] /Gefluechtet-und-gestrandet-auf-Zypern/!5982018 | |
[6] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-7-2010-5413_EN.html | |
## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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