| # taz.de -- Griechen und Türken auf Zypern: „Pyla ist nicht Palästina“ | |
| > Im letzten Sommer sorgte ein Straßenstreit auf Zypern für weltweites | |
| > Aufsehen. Manche befürchteten einen neuen Krieg. Wie sieht es dort heute | |
| > aus? | |
| Bild: Unter friedlichem Himmel: Der Ort Pyla auf Zypern, in dem Griechen und T�… | |
| Pyla taz | Osman Mustafa, 85 Jahre alt, frisch rasiert, adrett gekleidet, | |
| die Hände gefaltet, strahlt eine angenehme Ruhe aus. In seiner kleinen | |
| Schneiderei direkt am Dorfplatz von Pyla rattert eine alte Nähmaschine der | |
| legendären Firma Singer. Bedient wird sie von einer älteren Frau, einer | |
| Usbekin. Osman Mustafa schaut ihr gelassen bei ihrem Schaffen zu. | |
| Als Osman Mustafa geboren wurde, war Zypern noch eine britische | |
| Kronkolonie. Er ist ein türkischer Zypriot. „Ob Christen oder Muslime: Wir | |
| sind alle Menschen“, sagt er. Osman Mustafa sagt dies auf Griechisch. Das | |
| ist typisch. Denn die älteren Zyperntürken im Ort sprechen beide Sprachen: | |
| türkisch und griechisch. Wie eh und je sitzen und plaudern sie mit ihren | |
| griechisch-zypriotischen Nachbarn in den Kaffeehäusern und Tavernen im Ort. | |
| Das ist bei den Jüngeren im Ort anders. Cankut Findik, 28, Dreitagebart, | |
| ist gerade nach Hause gekommen. Der Webdesigner wohnt noch im Haus seiner | |
| Eltern am Ortseingang von Pyla. Obgleich er in Larnaka im Süden der Insel | |
| arbeite, könne er kein Griechisch, räumt Cankut Findik ein. Das sei typisch | |
| für seine Generation der jüngeren Zyperntürken, hebt er hervor. Dennoch | |
| lebe man friedlich mit der anderen Volksgruppe zusammen. | |
| ## Einziger zypriotischer Ort mit gemischter Bevölkerung | |
| Das Dorf Pyla (türkisch: Pile) ist ein Unikum. Pyla ist in Zypern der | |
| einzig noch verbliebene gemischte Ort mit griechischen und türkischen | |
| Zyprioten. Das kam so: Im Sommer 1974 stoppen die türkischen Soldaten kurz | |
| vor Pyla. Der Ort, rund eintausend Einwohner, liegt im äußersten Südosten | |
| von Zypern. Aufgrund seiner Nähe zum besetzten Norden wird Pyla der | |
| Pufferzone zugeschlagen. Die „Grüne Linie“, das Niemandsland, zieht sich | |
| quer durch die Insel. | |
| Pyla hat einen griechisch-zypriotischen und einen türkisch-zypriotischen | |
| Bürgermeister. Vor der einen Grundschule weht die blauweiße griechische | |
| Flagge, einen Steinwurf davon entfernt vor der anderen Grundschule jene mit | |
| dem roten Halbmond. Neben drei orthodoxen Kirchen gibt es eine Moschee. | |
| Bewacht wird Pyla/Pile von der multinationalen UN-Friedensmission für | |
| Zypern (UNFICYP). Das Leben auf dem Dorfplatz verfolgen die „Blauhelme“ vom | |
| Dach einer Taverne. Gewöhnlich gilt für sie: die Zeit totschlagen. Keine | |
| besonderen Vorkommnisse. | |
| Doch urplötzlich haben die UN-Soldaten an einem brütend heißen Tag Mitte | |
| August vorigen Jahres alle Hände voll zu tun. „Kräfte für | |
| Spezialoperationen“, so die zyperntürkische Nachrichtenseite „Haber | |
| Kibris“, [1][rammen auf einem weitläufigen Gelände in der Pufferzone von | |
| Pyla mit Bulldozern die in Reih und Glied geparkten weißen Jeeps mit den | |
| Großbuchstaben „UN“ auf der Vordertür]. Dann fangen sie an, auf dem | |
| Sandboden festgemachte Stacheldrahtrollen zu beseitigen und greifen die | |
| versammelten UN-Soldaten an. Ein Unding. Drei UN-Soldaten werden verletzt. | |
| [2][Die verstörenden Bilder gehen um die Welt]. | |
| ## Straßenausbau als Konfliktanlass | |
| Der „Außenminister“ der „Türkischen Republik Nordzypern“, Tahsin | |
| Ertuğruloğlu, verteidigt später das gewaltsame Vorgehen. Eine 11,6 | |
| Kilometer lange Straße solle von der im Inselnorden gelegenen Ortschaft | |
| Arsos (türkisch: Yigitler) bis nach Pyla „verbessert und ausgebaut“ werden, | |
| sagt er. UNFICYP verurteilt die Angriffe sofort aufs Schärfste. Mit Erfolg. | |
| Der Straßenstreit verläuft buchstäblich im Sande. | |
| Polydoros Georgiou, ein griechischer Zypriot, Jeanshose, Jeansjacke, für | |
| seine achtzig Jahre noch sehr rüstig, steht an diesem wunderbar lauen | |
| Sonntagmorgen im Dezember auf der Ladefläche seines Pritschenwagens. Die | |
| Bäume in seinem Garten habe er schon zurückgeschnitten, sagt er. Nun | |
| entsorgt er die abgestorbenen Äste auf einer Anlage an einer breiten | |
| Straße, die vom Ortskern von Pyla zu einer großen orthodoxen Kirche führt. | |
| Hätte die Lage im Sommer brenzlig werden, womöglich eskalieren können? | |
| Drohte in Zypern ein neuer Krieg, fast fünfzig Jahre nach Zyperns | |
| faktischer Teilung? „Ochi, ochi“ („Nein, Nein“), erwidert Polydoros | |
| Georgiou prompt. „Hier sind die Vereinten Nationen. Die sorgen für Ruhe.“ | |
| ## Friedliche Koexistenz | |
| Am anderen Ende von Pyla sieht Georgios Kaoullas, 58, Vollbart, | |
| extrovertierter Typ, die Causa Straßenstreit genauso. „Wir sind hier nicht | |
| in Gaza! Pyla ist nicht Palästina“ Im Ort selbst habe man von dem Vorfall | |
| in der Pufferzone gar nicht mitbekommen, beteuert der Dorfbewohner, ein | |
| griechischer Zypriot. Ohne Umschweife stellt Kaoullas klar: Die beiden | |
| Volksgruppen verständen sich im Ort sehr gut. Die Koexistenz funktioniere. | |
| Er legt noch eine Schippe drauf. Für ihn sei Pyla ein „Vorbild für ganz | |
| Zypern“. | |
| Der ominöse Straßenstreit von Mitte August in Pyla/Pile sei bloß „eine | |
| Eintagsfliege“ gewesen, pflichtet ihm Cankut Findik, der junge Webdesigner, | |
| bei. Bewohner aus Pyla seien gar nicht daran beteiligt gewesen, hebt er | |
| hervor. „Das war alles nur ein Medienspektakel. Völlig aufgebauscht. Sonst | |
| nichts“, so Cankut Findik. Sein Vater Hussein Findik nickt. Andere | |
| Dorfbewohner sehen das genauso, fragt man sie danach. | |
| ## Schmuggel vereint zypriotische Griechen und Türken | |
| Da gibt es noch etwas, was Zyperngriechen und Zyperntürken in Pyla vereint: | |
| Der Schmuggel blüht. Der Nährboden dafür ist ideal: Eine Schachtel | |
| Zigaretten kostet im Süden Zyperns happige fünf Euro. Demgegenüber ist sie | |
| im Norden, wo die türkische Lira die offizielle Währung ist, für | |
| umgerechnet nur 2,30 Euro zu haben. Ferner sind Treibstoffe, Lebensmittel, | |
| Getränke und allerlei Haushaltsartikel im Norden, einen Katzensprung von | |
| Pyla entfernt, deutlich billiger als im Süden. | |
| Tag für Tag pendeln Menschen von Pyla in den Norden, um dort günstig | |
| einzukaufen. Das Einzige, was sie dafür brauchen: eine von den | |
| türkisch-zypriotischen Behörden ausgestellte Auto-Versicherung. Sie kostet | |
| etwa 200 Euro im Jahr. Sonstige Kontrollen? Fehlanzeige. Sowohl | |
| zyperngriechische als auch zyperntürkische Polizisten haben keinen Zutritt | |
| zu dem Dorf in der Pufferzone. Für Schmuggler, ob kleine oder große Fische, | |
| heißt das: Freie Bahn! | |
| Ferner liegt Pyla auf der Migrantenroute. [3][Geflüchtete nutzen den Weg | |
| von Zyperns Norden nach Pyla, um in die EU zu gelangen]. Im Ort würden | |
| einhundert Dienstmädchen und Pflegekräfte aus Vietnam und von den | |
| Philippinen arbeiten, vielleicht noch mehr, offenbart ein Bewohner Pylas, | |
| der lieber anonym bleiben will. Er zeigt auf zwei Spielhöllen. In Pyla gibt | |
| es viele davon. Im Süden der Insel sind sie verboten, in Pyla floriert | |
| hingegen die Glücksspielbranche. Unübersehbar. Der Pufferzone sei Dank. | |
| 10 Feb 2024 | |
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| [1] /Eine-Strasse-auf-Zypern-und-der-Krieg/!5950741 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ferry Batzoglou | |
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