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# taz.de -- Experte über illegalen Vogelfang: „12 kleine Vögel bringen 100 …
> Zugvögel fliegen im Herbst gen Süden, zum Beispiel nach Zypern. Doch dort
> werden viele illegal gefangen. Vogelschützer Shialis erklärt, was helfen
> würde.
Bild: Diese Mönchsgrasmücke auf Zypern hat eine Leimrute mit einem Ast verwec…
taz: Herr Shialis, Hunderte Millionen Zugvögel verlassen jetzt im Herbst
ihre Brutgebiete in Mitteleuropa für den Winter in Richtung Süden. Dabei
durchqueren sie Mittelmeerländer oder bleiben dort, zum Beispiel in Zypern.
Doch da werden sie illegal gefangen. Was passiert konkret?
Tassos Shialis: Der illegale Vogelfang in Zypern ist ein dauerhaftes
Problem. Der Fang erfolgt auf zwei Arten: erstens mit Leimruten. Eine Rute
von etwa 70 Zentimetern Länge wird mit Leim bestrichen und horizontal
zwischen die Baumäste gelegt. Der Fallensteller wartet, bis sich ein Vogel
drauf setzt und kleben bleibt. Das tun die Vögel zuhauf. Denn Leimruten
unterscheiden sich kaum von normalen Ästen. Klebt der Vogel auf einer Rute
mit seinen Füßen, kippt er vornüber. Beginnt er zu flattern, verkleben auch
seine Flügel, der Schwanz, sogar der Kopf, wenn er sich mit dem Schnabel
befreien will. Oft hängt der Vogel Stunden an der Leimrute. Die zweite
Fangmethode ist eine mit Fangnetzen. Um die Zahl der gefangenen Vögel zu
maximieren, verwenden die Fallensteller Elektro-Lockgeräte, die die Rufe
der Vogelarten nachahmen. Beide Fangmethoden sind gemäß europäischem und
nationalem Recht verboten.
taz: Welche Vogelarten sind betroffen?
Shialis: Die Fallensteller zielen auf die Mönchsgrasmücke. Ihr
wissenschaftlicher Name ist Sylvia atricapilla, sie ist ein bis zu 15
Zentimeter langer und nur rund 17 Gramm schwerer Singvogel. Außerdem haben
sie es auf andere kleine Zugvögel wie den Würger, Fliegenschnäpper sowie
Grasmückenartige abgesehen. Die Fangsaison für diese Arten ist der Herbst.
In der letzten Dekade wurde die Fangzeit im Frühjahr zum Glück auf fast
null reduziert. Der illegale Vogelfang findet hierzulande jedoch auch im
Winter für Arten wie Drosseln statt, die hier überwintern.
taz: Was geschieht mit den gefangenen Vögeln?
Shialis: Gefangene Vögel werden von den Fallenstellern getötet, um sie
illegal zum Verzehr zu verkaufen. Gegrillt oder mariniert als
„Ambelopoulia“ aufgetischt gelten sie in Zypern als Delikatesse. Abnehmer
sind Restaurants und Privatleute. Im Zwölfer-Pack, also ein Dutzend dieser
kleinen Vögel, bringt der Fang bis zu 100 Euro ein! Der Umsatz aus
illegalem Vogelfang wird auf rund zehn Millionen Euro pro Jahr geschätzt.
taz: Wie viele Vögel werden illegal gefangen?
Shialis: Jedes Jahr werden Hunderttausende Vögel getötet. [1][In der
Republik Zypern] (die de facto nur den Süden der Insel kontrolliert, Anm.
d. Red.) haben wir zehn Fanggebiete ausgemacht. Wie wir in unserem jüngsten
Bericht aufführen, sind im Herbst 2023 in unserem Erhebungsgebiet
schätzungsweise rund 435.000 Vögel getötet worden. Im gesamten Inselsüden
dürften es rund 580.000 getötete Vögel gewesen sein. Diese Zahl umfasst
alle getöteten Vögel, auch jene, die nicht verkauft und daher weggeworfen
werden.
taz: Weggeworfen?
Shialis: Nach unseren Beobachtungen, Funden und anderen Quellen sind 157
verschiedene Vogelarten auf Zypern betroffen. Davon zählen 90 zu den
gefährdeten Vogelarten. 42 dieser Arten werden zum Verzehr angeboten. Die
übrigen Vogelarten, also 115, werden getötet und einfach weggeworfen.
Beispielweise die Eule: Ihre Befreiung aus der Falle kostet den
Fallensteller zu viel Zeit, die Eule kann ihn mit ihren Klingen zudem
verletzen. Also tötet sie der Fallensteller sofort und wirft sie weg.
taz: Wer sind die Täter?
Shialis: Bei den Tätern handelt es sich zum einen um Menschen von vor Ort,
die Vogelfallen für den privaten Verzehr aufstellen oder um die Beute zu
verkaufen. Darüber hinaus sind [2][Täter aus der organisierten
Kriminalität] im Vogelfang aktiv. Sie betreiben den illegalen Vogelfang im
großen Stil. Das ist ein einträgliches Geschäft, an dem sich Banden
beteiligten, die zum Beispiel auch in den Drogenhandel verstrickt sind.
taz: Sie kämpfen gegen die Vogel-Mafia. Werden Sie bedroht?
Shialis: Ja. Wir und andere Vogelschützer laufen ständig Gefahr, bedroht zu
werden. Als ich mit Begleitern in einem Buschland war, um nach Beweisen für
den Vogelfang zu suchen, widerfuhr uns mal Folgendes: Plötzlich tauchte ein
kräftiger Mann auf, der schimpfte. Erst als ich die Klinge im Sonnenlicht
glitzern sah, die er hinter seinem Rücken in der Hand hielt, wurde mir
klar, wie ernst die Lage war. Breit und streitlustig schritt der Mann den
Weg entlang und beschimpfte uns weiter. Die Messerklinge ließ er immer
wieder kurz aus ihrem Holzgriff herausschnappen. Dieser Mann war ein
Fallensteller, er wollte eindeutig keine Gesellschaft haben. „Was macht ihr
hier?“, fragte er. „Ihr seid auf meinem Land“, fügte er in drohendem Ton
hinzu. Ich bat um Entschuldigung und sagte, wir wüssten nicht, dass das
sein Land ist, wir würden jetzt gehen. Der Mann ließ uns zu unserem
Geländewagen gehen, murmelte aber: „Ich sollte Sie wirklich nicht gehen
lassen.“ Wir fuhren davon.
taz: Was tun Sie gegen den illegalen Vogelfang?
Shialis: Wir führen Kampagnen durch. Sie basieren auf drei Säulen:
systematische Überwachung, politische Überzeugungsarbeit, Aufklärung. Wir
orten Fallenstandorte und melden sie den Behörden, damit sie die Straftäter
fassen. Wir haben einen Lernbereich im Freien unter dem Namen „Thkio
Mosfilies“, das heißt „Zwei Weißdorne“, in einem Gebiet eingerichtet, wo
massiv Vogelfänge stattfinden.
taz: Gibt es Erfolge in diesem Kampf?
Shialis: Ja. Die Strafverfolgungsbehörden arbeiten besser [3][mit
Vogelschützern wie uns] zusammen. Dennoch ist die Zahl der gefangenen Vögel
in unserem Erhebungsgebiet im Herbst 2023 im Vergleich zum Vorjahr abermals
gestiegen, nachdem seit 2016 ein erfreulicher Rückgang der Fangmengen
festzustellen war. Dies betrifft maßgeblich die Methode mit den Fangnetzen.
Dazu tragen die seit 2017 verhängten happigen Strafen für deren illegale
Verwendung bei. Die Geldstrafen beginnen bei 2.000 Euro.
taz: Gelten diese Strafen für alle Fangarten?
Shialis: Leider ist dies beim Einsatz von Leimruten nicht der Fall. Denn
die Geldbußen für die Tötung von bis zu 50 Vögeln mit Leimruten sind im
Dezember 2020 von 2.000 Euro auf 200 Euro drastisch gesenkt worden. Das ist
lächerlich niedrig, auf keinen Fall abschreckend. Wie gesagt: Ein
Zwölfer-Pack kleiner Vögel bringt rund 100 Euro. Das macht bei 48 Vögeln,
also vier Zwölfer-Packs, in Summe 400 Euro. Die Geldbuße dafür ist halb so
hoch. So ist die Fangmethode mit der Leimrute faktisch entkriminalisiert
worden.
taz: Was ist zu tun?
Shialis: Die Geldstrafen sind für alle Vögel – unabhängig von der
Tötungsmethode oder der Vogelart – auf 2.000 Euro zu erhöhen. Ferner muss
der Kampf gegen die organisierte Kriminalität im Vogelfang verstärkt
werden. Unsere Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden muss noch
besser werden. Mehr Aufklärung ist nötig. Die Einstellung der Gesellschaft
zu dieser illegalen Aktivität muss sich ändern.
9 Oct 2024
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## AUTOREN
Ferry Batzoglou
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