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# taz.de -- Berlusconi und Italien: Italien fliegt weiter auf ihn
> Scusi? In Mailand soll der Flughafen den Namen von Silvio Berlusconi
> tragen. Wenn es um den verstorbenen Politiker geht, scheint Amnesie zu
> herrschen.
Bild: Flügel für Berlusconi bereits im Wahlkampf 2022: Matteo Salvini und Gio…
Rom taz | Bitte anschnallen. Wir beginnen den Landeanflug auf den Airport
Malpensa-Berlusconi“: Wer per Flug nach Mailand reist, könnte künftig mit
dieser Durchsage rechnen. Die zuständige Luftfahrtbehörde Enac gab kürzlich
bekannt, dass Mailands größter Flughafen in Zukunft den Namen des vor gut
einem Jahr verstorbenen Unternehmers, Milliardärs und Politikers tragen
wird. Sie folgte damit einem entsprechenden Vorstoß der rechten Regierung
von Giorgia Meloni, zu der auch die Berlusconi-Partei Forza Italia gehört,
die dies im Eilverfahren durchgepeitscht hatte.
Viele dürfte sich der Magen umdrehen: wirklich Berlusconi? Wer Palermo
ansteuert, landet auf dem Flughafen Falcone-Borsellino, benannt nach den
beiden von [1][Cosa Nostra] im Jahr 1992 ermordeten
Antimafia-Staatsanwälten Giovanni Falconi und Paolo Borsellino. Reisende
nach Rom kommen auf dem Airport Leonardo da Vinci an, der in seinem Namen
an die geniale Ausnahmeerscheinung der Renaissance erinnert. Der Flughafen
von Venedig ist nach dem Weltreisenden Marco Polo benannt, seinem
berühmtesten Sohn.
Berlusconi ist zweifellos ein berühmter Sohn der Modestadt Mailand, er
stand viele Jahre an der Spitze des Fußballvereins AC Milan. Und war er
nicht auch ein Genie? Seine Fans sehen das so. Sie dürften ob der
Namensentscheidung zufrieden nicken. Schon als junger Mann hatte Berlusconi
es zum schwerreichen Immobilienunternehmer gebracht und sich in den
Achtzigerjahren als [2][Medientycoon] durchgesetzt, der mit seinen drei
Unterhaltungssendern Italiens privaten TV-Markt monopolisierte. 1994 erfand
er sich dann noch einmal völlig neu, diesmal als Politiker, der mit Forza
Italia eine eigene Partei gründete. Und wieder gelang ihm
Außergewöhnliches: Viermal war er Ministerpräsident, zuletzt bis 2011, und
brachte es damit auf insgesamt fast neun Jahre in diesem Amt. Niemand war
in Italien nach 1945 so lange an der Regierung wie er, sein Einfluss wirkt
bis heute nach.
Schon an den Methoden des Unternehmers Berlusconi ließ sich mäkeln. Seinen
unternehmerischen Aufstieg finanzierte er aus dunklen Quellen – bis heute
weiß niemand, woher die Unsummen kamen, die er bei Kapitalerhöhungen auf
die Bank trug – in Cash. Er legte Hunderte Millionen Euro in ausländischen
Schwarzfonds an, aus denen er wiederum die Bestechung von Politikern und
später auch von Richtern zahlte. Und er unterhielt über Jahre hinweg
stabile Beziehungen zur Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Ein Boss
arbeitete in Mailand auf seinem Anwesen, angeblich als „Stallknecht“.
## Ein Vorbild für viele Populisten
Auch der Politiker Berlusconi bediente sich gern unorthodoxer Methoden. Um
den Hals aus der Schlinge seiner zahlreichen Prozesse zu ziehen, erließ
seine Regierung ein Gesetz nach dem anderen, mit denen er die Arbeit der
Staatsanwälte durchkreuzte. Zur Sicherung von Parlamentsmehrheiten kaufte
er die Stimmen von Politikern aus dem gegnerischen Lager.
Zu Hause kam Berlusconi so über die Runden. Im Ausland trug ihm das einen
denkbar schlechten Ruf ein. Dieser war endgültig ruiniert, als ab 2009 die
[3][„Bunga-Bunga“-Skandale] ans Licht kamen. Bekannt wurde, dass der
mittlerweile über 70-Jährige regelmäßig Sexpartys mit ganzen Bataillonen
von für ihre Dienste üppig bezahlten jungen Frauen feierte, unter ihnen
auch Minderjährige. Das Genick brach ihm politisch aber ein anderer Fall:
Im Jahr 2013 erhielt er vier Jahre Haft wegen Steuerbetrugs, die er zwar
nicht verbüßen musste, doch zugleich entzog ihm das Plenum des Senats wegen
des Urteils sein Mandat. Es war der einzige Fall, in dem Berlusconi
letztinstanzlich verurteilt wurde.
Seinen Platz in den Geschichtsbüchern hat Berlusconi dennoch sicher: als
Proto-Populist, der schon 1994 die Regierung einer westlichen Demokratie
übernahm und der dabei vieles vormachte, was andere später kopieren
sollten. Da wäre vorneweg die Art und Weise, wie sich der Milliardär als
Mann des Volkes inszenierte, der gegen das alte politische Establishment
aufsteht. Er komme aus dem „Schützengraben der Arbeit“, erklärte Berlusco…
1994, und wolle dem schändlichen Treiben der „Politikaster“ endlich ein
Ende setzen.
Da wäre auch die polarisierende Rhetorik und Angstmache. Zeitlebens führte
Berlusconi seinen Feldzug gegen die „Kommunisten“, die ihm angeblich an die
Freiheit und den Italienern ans Portemonnaie wollten. Zur Polarisierung
trug auch bei, dass Berlusconi immer dann, wenn er wie im Jahr 2006 Wahlen
verlor, ohne jeden Beweis „Wahlbetrug!“ rief und keck behauptete, ihm sei
der Sieg gestohlen worden.
## Berlusconi hatte schon immer ein Herz für Rechte
Und da wäre schließlich das Verhältnis zur Justiz. „Politisch verfolgt“ …
er, behauptete Berlusconi jedes Mal, wenn gegen ihn Anklage erhoben wurde,
sei es wegen Richterbestechung, wegen Steuerbetrugs oder Bilanzfälschung.
Deshalb trachtete er danach, die Justiz zu beschneiden. Bis zu seinem Tod
führte Berlusconi quasi 30 Jahre lang einen Dauerkrieg gegen die Justiz.
In allen diesen Punkten, wie auch aufgrund seines #metoo-reifen Umgangs mit
Frauen, erinnert der Italiener sehr an Donald Trump. So wie dieser heute
konnte sich Berlusconi dabei immer über eine Anhängerschaft freuen, die
über seinen Machismo hinwegsah und ihm die Opfernummer von der angeblich
verfolgten Unschuld abnahm.
Schon 1994 öffnete Berlusconi für seine erste Regierungsbildung der
Vorgängerpartei der Postfaschisten, die heute durch Ministerpräsidentin
Giorgia Meloni vertreten werden, und den harten Rechtspopulisten der Lega
die Tür zu einer Allianz. Im Wahlkampf 2022 erklärte er seine Forza Italia
dennoch plötzlich zum „Bollwerk gegen die Populisten“, gar zur „gemäßi…
Kraft“ der proeuropäischen rechten Mitte – eine erstaunliche Volte, denn
dieses vorgebliche Bollwerk trat im Wahlkampf weiter in einem Bündnis an
der Seite von Melonis Fratelli d’Italia und Matteo Salvinis Lega an, und
sitzt heute mit ihnen in einer Regierungskoalition.
Dass diese Regierung jetzt dafür gesorgt hat, dass der Flughafen Malpensa
nach Berlusconi benannt wird, ist nur konsequent. Nach seinem Tod im
vorigen Jahr erhielt er ein Staatsbegräbnis, die Regierung Meloni ordnete
einen Tag Staatstrauer an. Diese Ehre war zuvor keinem anderen
Ministerpräsidenten nach dem Ableben zuteilgeworden. Man kann es auch so
sagen: Von einer Amnestie hatte er zuvor zwar nicht profitiert, wohl aber
von der Amnesie eines Teils der italienischen Wählerschaft rechts von der
politischen Mitte.
## Nach dem Berlusconi-Airport ist vor der Berlusconi-Brücke
Damit ist es der Ehrungen jedoch keineswegs genug. Die Tochter, Marina
Berlusconi, kündigte bereits an, sie wolle innerhalb des familiären
Medienimperiums den „Silvio-Berlusconi-Verlag“ gründen, welche dem
„freiheitlichen Denken“ gewidmet sein solle. Zwar konnte ihr Vater mit den
bürgerlichen Freiheiten nie viel anfangen – so sperrte er sich, stets an
der Seite der katholischen Kirche stehend, gegen die Homoehe wie gegen die
Selbstbestimmung von Patienten über ihr Lebensende oder die Liberalisierung
bei der künstlichen Befruchtung. Die eigene Freiheit aber war ihm durchaus
immer wichtig. Insbesondere die Freiheit, Gesetze zu brechen und straflos
davonzukommen.
Da passt es bestens, dass seine Forza Italia auch nach Berlusconis Tod
innerhalb der Meloni-Koalition diverse Justizreformen anschiebt, die den
Staatsanwälten weitere Steine in den Weg legen sollen. Zum Beispiel will
sie den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs abschaffen oder Abhörmaßnahmen
gegen Verdächtige einschränken. Völlig klar, dass diese Partei ihre
Vorhaben ihrem Gründungsvater „widmet“.
Lega-Chef und Verkehrsminister Matteo Salvini treibt zudem energisch das
Projekt voran, eine geplante Mega-Brücke bei Messina nach Silvio Berlusconi
zu benennen. Die Brücke, die in Zukunft Sizilien mit dem italienischen
Festland verbinden soll, war eines jener pharaonischen Vorhaben, die
Berlusconi schon im Jahr 2001 auf die Agenda seiner damaligen Regierung
gesetzt hatte. In diesem Fall würde – angesichts der zu erwartenden Bauzeit
– auch die gesetzlich vorgesehene Norm eingehalten, die vorschreibt, dass
Straßen oder Bauwerke frühestens zehn Jahre nach dem Tod einer
Persönlichkeit nach dieser benannt werden dürfen.
Im Falle des Flughafens Mailand-Malpensa wurde dieses Gesetz einfach
übergangen. Deshalb hoffen die Mitte-links-Parteien im Regionalparlament
der Lombardei, dass ihre Einsprüche vor Gericht Erfolg haben könnten. Im
Internet setzen Zehntausende ihre Unterschrift unter Petitionen, die die
Umbenennung verhindern sollen.
Und in den sozialen Medien werden Alternativvorschläge gemacht: Man könne
den Flughafen doch auch „Bunga-Bunga-Airport“ taufen.
29 Jul 2024
## LINKS
[1] /Kampf-gegen-Cosa-Nostra/!5993281
[2] /Macht-und-Medien-nach-Berlusconis-Tod/!5938646
[3] /Bunga-Bunga-Prozess/!5017176
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Silvio Berlusconi
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