# taz.de -- Bauunternehmer Richard Lugner tot: Sie nannten ihn „Mörtel“ | |
> Narr, Dadaist, Schlawiner: Richard Lugner, das Wiener Opernball-Original, | |
> ist mit 91 Jahren gestorben. Ein Nachruf. | |
Bild: Sein letzter großer Auftritt: Erst im Juni hatte Lugner zum sechsten Mal… | |
Gerade noch war Wien geschockt von einem offenbar nur durch viel Glück | |
[1][vereitelten Terroranschlag auf Taylor-Swift-Konzerte], dann im Taumel | |
von zigtausenden Swifties, die die Stadt in ein dreitägiges | |
[2][Love&Peace-Festival verwandelten]. Tag darauf die Schock-Schlagzeile: | |
Richard Lugner ist gestorben, der schrullige Bauunternehmer und | |
Shopping-Mall-König, ein Wiener Original. | |
„Mörtel“ hat man ihn genannt, das Kies-Beton-Gemisch zu seinem Spitznamen | |
gemacht. Nun also: La Mort de Mörtel. 91 Jahre wurde er alt. Fit wie ein | |
Turnschuh war der Baumeister schon länger nicht mehr, aber er hüpfte immer | |
noch am Parkett herum. Weniger als Society-Löwe, mehr als Society-Kasperl. | |
Ein bisschen gibt es jetzt Staatstrauer, aber mit ironischem Zwinkern. Die | |
Wiener haben ja den Ruf, nichts gänzlich ernst zu nehmen. Richard Lugner | |
war das Monument dieser Charaktereigenschaft. | |
Als Unternehmer war er erfolgreich und ein Arbeitstier, aber seit bald | |
vierzig Jahren führte er ein Leben für die Klatschspalten. Zum Wiener | |
Opernball lud er meist weibliche (Ex-)Weltstars ein und machte eine Show | |
daraus, dabei ging es immer etwas schlüpfrig zu. Ivana Trump, Sophia Loren, | |
Sarah Ferguson, Farrah Fawcett, Andie MacDowell, Pamela Anderson, Ornella | |
Muti – die Liste der jährlichen, üppig bezahlten Ball-Begleiterinnen ist | |
endlos. | |
## Ehen als Geschäftsmodell | |
Nicht jährlich, aber beinahe jährlich, heiratete Lugner unter entzückter | |
Anteilnahme des Publikums junge Frauen, denen er zärtliche Tiernamen | |
verpasste: Mausi, Bambi, Bienchen … Diese Ehen waren wohl nicht | |
unwesentlich ein Geschäftsmodell. Geld gegen Werbewirkung. Die ersten | |
Dates, die Hochzeit, die Scheidungen, das alles wurde zelebriert. Zur Show | |
gehörte dazu, dass die Partnerschaften öffentlich ausgebreitet wurden. | |
Nicht nur in der Yellow-Press. Im Trash-TV gab es „Die Lugners“ im | |
Reality-Serien-Format mit hohem Fremdschäm-Faktor. | |
Bei all dem machte er sich mit Freude zum Affen. „Schamgrenzen kennt Lugner | |
nicht“, schrieb das Nachrichtenmagazin profil. Zweimal trat er bei | |
Bundespräsidentschaftswahlen an, 1998 holte er sogar über neun Prozent. Er | |
war eine Art Dadaist des Mainstreams. Er gab öffentlich den Trottel, war | |
aber eine schlaue Person. | |
Die Erfolgskultur, die Erfolg sichtbar verkörpern muss, er überzog sie bis | |
zur Persiflage. Die Aufmerksamkeitsökonomie, Lugner trieb sie so weit, bis | |
es weh tat. Aber zugleich tat es nie richtig weh, er war mehr wie der Clown | |
im Zirkus, der sich extra peinlich benahm, damit die anderen eine Freude | |
haben. All das hatte immer einen doppelten Boden, unterlief jede | |
Eindeutigkeit. | |
## Männerfantasie als Lachnummer | |
Das Frauenbild, das er mit seinen Mausis und Bambis transportierte, war so | |
übertrieben unterirdisch, dass es schon eine aufklärerische Persiflage auf | |
überkommene Frauenbilder war. Der alte Geldsack und die jungen Frauen, man | |
konnte das als Verniedlichung von Quasi-Prostitution lesen, aber auch als | |
Entlarvung der endemischen Prostitution im Aufmerksamkeits-Kapitalismus. | |
Die Männerphantasien verwandelte er in Lachnummern. | |
Was immer Lugner tat, es war stets Schlawinertum und eine subversive Note | |
dabei. Als volkstümelnder Baumeister holte er den Trash und den schlechten | |
Geschmack in den Opernball, wofür ihn bis weit in die neunziger Jahre die | |
bürgerliche Schnöselgesellschaft noch hasste. Er entlarvte die Lebenslügen | |
der „Stützen der Gesellschaft“, brach die Regeln der „besseren Leute“, | |
stolperte durch die Kulissen bourgeoiser Distinguiertheit. | |
Heute ist fast vergessen, dass das auch eine Provokation war. Denn am Ende | |
liebten ihn alle irgendwie – und sei es nur für seinen Irrwitz, seine | |
Narrenhaftigkeit und seine Bereitschaft, ein Leben als vollendete | |
Kunstfigur zu leben. Lustigkeit und Menschenfreundlichkeit blitzten bei ihm | |
immer durch. Lugner mochte die Leute, also wurde er zurückgemocht. | |
„Ich habe immer eine gute Menschenkenntnis gehabt“, sagte er einmal. Und | |
nach einer längeren Pause: „Also bei Männern.“ | |
12 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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