# taz.de -- Siedler in Jerusalem: Hass auf alles Nichtjüdische | |
> Siedler wollen Jerusalems Altstadt judaisieren. Davon bedroht sind | |
> Palästinenser, Araber und Armenier. Sie erleben nahezu täglich Gewalt. | |
Bild: Gedenken an die vom israelischen Militär erschossene Journalistin Shirin… | |
Das weiche Licht des frühen Abends lag über dem griechisch-orthodoxen | |
Friedhof am Rande der Jerusalemer Altstadt. Das schwere Tor war | |
geschlossen. Doch als ich meinen Wunsch durch die schwere graue Eisentür | |
rief, das Grab von [1][Shirin Abu Akleh] sehen zu wollen, öffnete sich das | |
Tor wie von Zauberhand. Den Wärter freut’s, wenn die Königin seines | |
Friedhofs Besuch bekommt. Die [2][Al-Jazeera-Reporterin], erschossen vom | |
israelischen Militär, hat ein prächtiges Marmorgrab, mit einem Foto, als | |
spräche sie noch vom Bildschirm, und einem marmornen Mikrofon. | |
Als sie beerdigt wurde, vor gut einem Jahr, läuteten die Kirchenglocken der | |
Altstadt, selbst die tiefe Glocke der deutschen Benediktinerabtei, die an | |
den Friedhof grenzt, stimmte ein. Das Läuten erinnerte daran, dass die | |
Altstadt an ihren Bewohnern gemessen überwältigend palästinensisch ist – | |
und ausgestattet mit israelischen Überwachungskameras auf Schritt und | |
Tritt. | |
Die Annexion Ostjerusalems mitsamt der Altstadt vor 44 Jahren war für den | |
Rest der Welt immer null und nichtig, und nun steht seit dem | |
[3][Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs] obendrein fest: Die | |
Besatzung an sich ist völkerrechtswidrig. Man bewegt sich also in der | |
Altstadt zwischen allerlei fröhlich-touristischem Tand in einem doppelt | |
illegal überschriebenen Raum. | |
Von Shirin Abu Aklehs Grab war es ein kurzer Fußweg zum armenischen | |
Viertel, wo Aktivisten in einem Protestcamp ausharren, zum eigenen Schutz | |
ihrerseits mit Überwachungskameras nach allen Seiten. Wie andere | |
christliche Gemeinden zuvor kämpfen die Armenier gegen aggressive | |
Siedlergangs, die Geschäftsleute bedrohen und Priester bespucken. Länger | |
als ein halbes Jahr besteht schon das Camp, ein Unterstand aus Pressplatten | |
mit Sofas, Fernseher, allerlei Slogans und einer historischen Karte, auf | |
der die Fluchtrouten des Genozids verzeichnet sind – eine führte nach | |
Jerusalem. Draußen aus Bauschutt ein kleiner symbolischer Berg Ararat. | |
## „Ich bin Jerusalemer“ | |
Manche der Aktivisten betrachten sich als armenische Palästinenser, bei | |
Israels Staatsgründung 1948 wurden auch viele Armenier vertrieben. Andere | |
sagen, so wie Hagop Djernazian, der Sprecher des Camps: „Ich bin | |
Jerusalemer, Jerusalem ist meine Identität.“ Der 24-Jährige spricht | |
armenisch, arabisch, hebräisch, englisch, ein Mitkämpfer am Tisch obendrein | |
Französisch. „Als kleine Minderheit kommunizieren wir mit allen, so | |
funktioniert Jerusalem.“ Die Siedler, sagt Hagop Djernazian, wollen | |
hingegen die Altstadt judaisieren. Und die aggressiven Jungen, die | |
sogenannte Hügeljugend, seien dazu erzogen worden, vor niemandem Respekt zu | |
haben. | |
Mein Rundgang führt mich weiter in die Kettentorstraße, eine schmale Gasse, | |
in der sich kurz vor einem bewachten Durchgang zum Tempelberg die | |
Khalidiyya-Bibliothek befindet. International bekannt beherbergt sie eine | |
der weltgrößten Sammlungen alter islamischer Handschriften. Der | |
US-palästinensische Historiker Rashid Khalidi, dessen Buch „Der | |
Hundertjährige Krieg um Palästina“ soeben auf Deutsch erschien, entstammt | |
dieser Familiendynastie und hat hier geforscht. | |
Beim Anblick brüchiger Manuskripte denke ich an meine Besuche in Timbuktu, | |
wo vor Jahren wertvolle Handschriften vor Islamisten gerettet wurden. Hier | |
droht ein Fanatismus anderer Art: Er zielt auf die Immobilie, nicht die | |
Schriften. Siedler besetzten einen Flügel des Khalidiyya-Komplexes, indem | |
sie mit gefälschten Besitzdokumenten wedelten und unter den Augen der | |
Polizei Türschlösser aufbrachen. Es bedurfte eines Gangs zum Gericht, um | |
die Hooligans loszuwerden. Sie ließen ihre Tora-Bände zurück, kletterten | |
auf die Dächer und spuken weiter bedrohlich herum. | |
Die Khalidis stellten über Jahrhunderte Richter an osmanischen | |
Gerichtshöfen, eine Familie von Notabeln und Intellektuellen, so erklärt | |
sich das immense Schrifterbe. Ich versuche, mit den Polizisten am nahen | |
Checkpoint über diese Geschichte zu reden, immerhin stehen sie jeden Tag | |
vor den Gebäuden. Beim Stichwort Gerichte sagen sie interessiert: „Unsere | |
Gerichte?“ Nein, arabische! Sie lächeln überlegen. Sich etwas | |
jahrhundertealtes Arabisches vorzustellen, noch dazu in Schriftform, fügt | |
sich nicht in ihr Weltbild. Annektierte Subjekte haben keine zu | |
respektierende Kulturgeschichte. | |
## „Möge es niederbrennen“ | |
Beim Siedlerterror paart sich dieses Gefühl kultureller Überlegenheit mit | |
der Phantasie eines ultimativen Berechtigtseins – beides zusammen macht | |
skrupellos. „Brennt es nieder“, der Schlachtruf gilt mal einem Dorf in der | |
Westbank, mal einer UN-Vertretung in Jerusalem. „Möge es niederbrennen“ | |
wurde dieser Tage auch beim Überfall auf die Armenian Tavern gerufen, ein | |
alteingesessenes Restaurant in der Nähe des armenischen Konvents, wenige | |
Meter vor einer Polizeistation. [4][Mit Hoodies über Schläfenlocken | |
versprühten sie Pfefferspray und zerschlugen Mobiliar. Sie kamen zweimal in | |
einer Woche.] | |
Jeder einzelne dieser Vorfälle wirkt obskur, kaum des Berichtens wert. Doch | |
sie verbinden sich zu einem Mosaik, einem Mosaik des Hasses auf alles | |
Nichtjüdische. Und da dies alles ja jüdisches Territorium sei, wie | |
Netanjahu sagt, fühlen sich die jungen Hasstäter befugt zu vertreiben, wer | |
da nicht hingehört. Einige israelische Menschenrechtsverteidiger nennen | |
diese Mentalität faschistisch. | |
Ein Solidaritätsdinner neben dem symbolischen Berg Ararat, weiches | |
Abendlicht. Die armenischen Aktivisten bekommen Unterstützung aus der | |
jüdischen wie der palästinensischen Zivilgesellschaft, denn sie stehen für | |
ein humanes, multikulturelles Jerusalem. Dem Haager Völkerrecht zu Macht | |
verhelfen kann wohl nur Druck von außen. Aber nichts geht ohne | |
gemeinschaftliches Handeln von unten. Ein Moment der Hoffnung neben dem | |
Ararat aus Bauschutt. | |
24 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Aufklaerung-nach-Tod-von-Journalistin/!5856080 | |
[2] /Israel-schliesst-Bueros-von-Al-Jazeera/!6008515 | |
[3] /IGH-zur-israelischen-Besatzung/!6022440 | |
[4] /Gewalt-im-Westjordanland-und-Jerusalem/!5888211 | |
## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
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