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# taz.de -- Frust auf der Bonner Klimakonferenz: Regel 16 ist die große Delete…
> Unser Autor fragt sich, ob es nicht schön wäre, beim internationalen
> Klimaschutz noch mal komplett von Vorne beginnen zu können.
Bild: Mit dem Wissen von heute noch mal neu anfangen
Der letzte Abend auf der [1][Klimakonferenz in Bonn]. Draußen lockt endlich
mal ein warmer Frühlingsabend, aber im Kongresszentrum regiert immer noch
der Irrsinn namens „Klimaverhandlungen“. Nach zehn Tagen Basar und
Kuhhandel mit einigen kleinen Fortschritten (Merke: Die schmelzenden
Gletscher bewegten sich inzwischen schneller als die Verhandlungen) sammeln
Beobachter und Delegierte die Ergebnisse ein. Finanzen: Naja. Ehrgeiz: Au
weia. Anpassung: Besser als gar nichts. Und CO2-Minderung? „Regel 16“, sagt
ein Experte.
Seufz. Regel 16 bedeutet: Nichtlösung. Das heißt also: Maximaler Frust für
die armen VerhandlerInnen, die seit zehn Tagen und manchen Nächten in
drögen Sitzungen wachgeblieben sind, sich von pappigen Sandwiches, legendär
schlechtem Kaffee und dem Ärger über die Gegenseite ernährt haben, sich
durch Berge von Dokumenten und die immer gleichen Wortmeldungen gekämpft
haben – und nun vor dem Nichts stehen. Denn Regel 16 in der UN-Sprache
bedeutet: Weil die Verhandler sich auf nichts einigen können, wird alles,
was seit Beginn der Konferenz in diesem Bereich verhandelt wurde, ungültig,
gelöscht, verschwindet spurlos.
Es ist praktisch eine Art großer „Delete“-Taste. Der Filmriss nach zehn
Tagen Delirium, mit Kater, aber ohne Rausch davor. Man versteht, warum
manche Delegierte an so einem Abend eine extra große Flasche
Frustschutzmittel in sich hineinkippen.
Wobei die Idee natürlich charmant ist. Einfach zu sagen: Hey, was in den
letzten zwei Wochen passiert ist – Schwamm drüber. Wir vergessen es und
fangen einfach in ein paar Monaten wieder am Nullpunkt an. Vielleicht
klappt es ja diesmal besser. Einfach alle Worte, Taten, Vorschläge,
Ablehnungen, Verletzungen auslöschen. Ein magischer Trick, den wir in
meiner Jugend, die sich in der Prä-Harry-Potter-Zeit abspielte, „Trick 17“
nannten. Ein Trick, mit dem einfach alles möglich war.
## Eine Delete-Taste würde manche Ehen retten
Eine solche Korrekturtaste würde wahrscheinlich manche Ehe retten. Von
[2][Ampelkoalitionen] ganz zu schweigen. Erst die Teller mit Wut und Wucht
an die Wand schmeißen, dann „Artikel 16!“ rufen und später lachend
gemeinsam die Scherben aufkehren. Vielleicht sollten wir auch ein bisschen
Artikel 16 für die anstehenden Wahlen in Deutschland auf Vorrat legen.
Gern auch im großen Rahmen: Ich beantrage Regel 16 für die globalen
Treibhausgasemissionen ab, sagen wir, 1960. Genauso für die Vernichtung der
Wälder, die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten, die Ausbreitung der
Plastikscheiße, das Anwachsen der Chlorchemie, die Freilandversuche mit
Gentechnik, die teure Sackgasse der Atomenergie: Schwamm drüber, das können
wir besser und versuchen es nochmal. Am besten sogar mit dem Wissen von
heute und mit den Lösungen, die wir inzwischen gefunden haben: zum Beispiel
Erneuerbare statt Kohle, [3][nachhaltige Landwirtschaft], Biotopschutz,
finanzieller Ausgleich, Beteiligung der Betroffenen.
Das hieße, aus Fehlern klug werden, aber die Folgen der Fehler nicht tragen
zu müssen. Moment, vielleicht würden wir dann doch nicht so klug? Und
würden uns mit vollem Risiko in jeden Unsinn stürzen, weil wir einfach den
großen Radiergummi rausholen könnten.
Vielleicht wäre dieser Freifahrtschein für sorgenfreien Unsinn doch nicht
so eine gute Lösung. Vielleicht würde bei uns Regel 16 als „Trick 17“ nach
hinten losgehen. Denn der hieß schon damals „Trick 17 – mit
Selbstüberlistung“.
28 Jun 2024
## LINKS
[1] /UN-Zwischenkonferenz-in-Bonn-startet/!6011647
[2] /Regierungserklaerung-von-Olaf-Scholz/!6019972
[3] /Bauernverband-ueber-Agrarpaket-der-Ampel/!6016454
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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