# taz.de -- Luisa Neubauer über Europawahl: „Viele kleine Hebel bewirken gro… | |
> Die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer ist enttäuscht von den | |
> Europawahl-Ergebnissen. Dennoch ist sie überzeugt: Die Menschen haben | |
> nach wie vor Interesse an Klimaschutz. | |
Bild: „Klimaschutz ist Menschenrecht, den müsste es auch dann geben, wenn ni… | |
taz: Hallo Luisa Neubauer, die Europawahl kann als klare [1][Absage der | |
Wähler:innen an mehr Klimaschutz] verstanden werden. Die Grünen sind | |
gerade bei jungen Wähler:innen abgestürzt, rechte Parteien haben deutlich | |
hinzugewonnen. Was bedeuten die Wahlergebnisse für die Klimabewegung? | |
Luisa Neubauer: Das ist jetzt erst mal ein Hot Take. Woher kommt diese | |
Interpretation? Seit vier Jahren erklärt man nun, dass das Klima nicht mehr | |
Thema ist. Gleichzeitig sehen wir, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung | |
Klimaschutz umsetzen will und sich Sorgen über die Folgen der Klimakrise | |
macht. Was sich verändert, ist, dass viele neue Krisen dazugekommen sind, | |
die die Menschen auch besorgen. Jetzt gibt es ein Problem: Wenn man sich | |
zwar massivst um die Folgen der Klimakrise sorgt, aber das Gefühl hat, dass | |
keine große Partei dieser Sorge gerecht wird, kommen die Wähler:innen in | |
ein demokratisches Dilemma. Im Zweifel orientiert man sich in seiner | |
Wahlentscheidungen dann an anderen Themen. | |
In vielen Medien wird pauschal erklärt, die Menschen hätten kein Interesse | |
mehr an Klimaschutz. Dabei wäre es doch der Job der medialen Besprechung, | |
die Widersprüche einer solchen Wahl zu besprechen und anzuerkennen, dass | |
Menschen mehrere Krisen gleichzeitig wichtig finden können. Ich finde die | |
Wahlergebnisse besorgend, wir müssen aber vor allem einen besseren Umgang | |
mit ihnen finden und auch medienethische Debatten dazu führen. Übrigens: | |
Klimaschutz ist Menschenrecht, den müsste es auch dann geben, wenn niemand | |
ihn einfordert. | |
Richtig, viele Menschen fühlen sich in ihrer Sorge um die Klimakrise nicht | |
ausreichend parlamentarisch repräsentiert. Kann eine Parteigründung, wie | |
etwa die der Letzten Generation, helfen, das zu ändern? | |
Die Letzte Generation ist ja nicht mit einem seriösen | |
Parteigründungsgedanken in die Wahl gegangen, sondern eher aus einem | |
aktivistischen Motiv. Das ist zwar völlig legitim. Was für eine absurde | |
Idee aber, die Verantwortung für Klimaschutz auf eine einzige Partei zu | |
reduzieren. Die Klimakrise ist die existenziellste Krise unserer Zeit. Zu | |
meinen, wir könnten die komplexeste und gefährlichste aller Krisen mit den | |
Ideen einer einzigen Partei lösen, ist doch naiv. Wir brauchen dafür alle | |
Vorschläge und Ideen aus dem vollständigen demokratischen Spektrum. Was | |
ganz offensichtlich nicht funktioniert: Die eine Partei soll das Klima | |
retten, und alle anderen machen es weiterhin kaputt. | |
Vor der Europawahl 2019 konnte [2][Fridays for Future] sehr viele Menschen | |
mobilisieren, Millionen Menschen gingen auf die Straße, um für mehr | |
Klimaschutz zu demonstrieren. Mittlerweile sind die Proteste abgeebbt, | |
deutlich weniger Menschen demonstrieren für das Klima. Kann man den Erfolg | |
der Klimabewegung anhand der Zahl Demonstrierender messen? | |
Erst einmal ist uns ja auch in diesem Jahr gelungen, sehr viele Menschen zu | |
mobilisieren. Fridays for Future hat die Demokratieproteste Anfang des | |
Jahres mit geprägt und mit vielen anderen Millionen von Menschen auf die | |
Straßen gebracht. Gleichzeitig erleben wir sich überschneidende Krisen, die | |
an Kräften von allen zerren. Es ist aufwendiger als noch 2019, Menschen zu | |
motivieren, für Klimaschutz auf die Straße zu gehen, gerade weil die Lage | |
so aussichtslos wirkt. | |
Die allermeisten Kinder haben große Sorgen hinsichtlich der Klimakrise, | |
aber immer weniger Hoffnung. Das ist nicht einfach ein Privatproblem | |
unserer Bewegung. Dass solche politische Hoffnungslosigkeit an der | |
ökologischen Front herrscht, ist ein demokratischer Missstand und | |
[3][sollte allen Parteien zu denken geben]. Daraus rührt ja auch ein | |
massiver Vertrauensverlust in die Klimakompetenzen der Politik. Wenn sich | |
da nichts ändert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Menschen | |
resigniert von Klimaschutzfragen abwenden. | |
Was war 2019 denn anders? | |
Man muss sich bewusst machen, dass wir 2019 in einer ganz anderen Welt | |
gelebt haben. Die damalige Wahl mit der jetzigen gleichzusetzen, macht | |
genauso wenig Sinn wie bei der diesjährigen Fußball-EM ein identisches | |
2006-Sommermärchen zu erwarten. | |
2019 gab es noch nicht diese Form des antiökologischen Populismus, der | |
jetzt von weiten Teilen der Opposition, aber auch Teilen der FDP betrieben | |
wird. Und zu viele Medien machen mit, indem sie evidenzlose, ausgedachte | |
Thesen zur Klimakrise weiterverbreiten. | |
Vor fünf Jahren konnten wir als Klimabewegung rechtspopulistische Kräfte | |
mit Massenprotesten überrumpeln. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Diese | |
rechten Akteure mobilisieren nun neue Gelder und Kräfte. Auch, weil sie | |
erkannt haben, wie viel wir als Klimabewegung schon erreicht haben. Das | |
macht es definitiv schwerer zu gewinnen. Gleichzeitig haben wir aber auch | |
deutlich mehr Möglichkeiten der Beteiligung. 2019 war der Straßenprotest | |
für viele Menschen der einzige Weg, sich für Klimagerechtigkeit | |
einzubringen. Mittlerweile haben sich die strukturellen Möglichkeiten | |
deutlich erweitert: Es gibt mehr nachhaltige Studiengänge, Unternehmen und | |
Möglichkeiten, sich im Stadtteil zu engagieren. | |
Im Wahlkampf warben die großen Parteien hauptsächlich mit Frieden und | |
Demokratie, dagegen spielte Klimaschutz kaum eine Rolle. Müssen Klimaschutz | |
und Demokratieschutz nicht stärker zusammen gedacht werden, jetzt, wo | |
rechte Akteure verstärkt in Antiklimaschutz-Kampagnen investieren? | |
Ich glaube, es wird unterschätzt, wie sehr Rechtspopulisten von der | |
Klimakrise profitieren. In jeder Krise kapitalisieren diese Akteure die | |
Sorgen und Ängste der Menschen brachial. Sie machen Stimmung gegen „die da | |
oben“, gegen „die anderen“ oder eben auch gegen die Klimafraktion. Im | |
Moment können wir beobachten, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die | |
Regierung, gerade durch diese Instrumentalisierung von Krisen durch | |
Rechtspopulisten, sinkt. So sinkt dann natürlich auch die Möglichkeit | |
demokratischer Regierungen, Klimaschutz umzusetzen. Das heißt, die Qualität | |
demokratischer Prozesse bestimmt ganz massiv, wie erfolgreich wir in Sachen | |
Klimaschutz sein werden. Klimaschutz und Demokratieschutz überhaupt | |
auseinander zu denken, ist ein großer Fehler. | |
Nach den Wahlen wird viel über die Auswirkung sozialer Medien auf die | |
Wahlergebnisse gesprochen. Vor allem rechte Akteure sind auf Tiktok und Co | |
erfolgreich. Was tut die Klimabewegung, um da mithalten zu können? | |
Wichtig ist präzise zu benennen, worüber wir da eigentlich sprechen. Hinter | |
vielen rechtsradikalen Influencern auf Tiktok stehen hoch finanzierte | |
Maschinerien. Das sind keine Aktivist:innen, die in ihrer Freizeit ein | |
bisschen rechte Propaganda machen. Das heißt, man kann das gar nicht auf | |
dieselbe Stufe stellen und sagen, linke Aktivist:innen sollten mal ein | |
bisschen mehr auf Tiktok machen. Das sind Erwartungen, die dem | |
Kräfteverhältnis in keinster Weise gerecht werden. | |
Fridays for Future hat vor ungefähr vier Monaten eine große Kampagne auf | |
Tiktok gestartet, die unerwartet erfolgreich war. Wir haben Menschen | |
ermutigt, sich für demokratische Inhalte in den sozialen Medien einzusetzen | |
und gezeigt, wie man online solidarisch und wehrhaft sein kann. Wir haben | |
damit teilweise über 100 Millionen Views generiert, an vielen Tagen wurden | |
wir auf Tiktok mehr geklickt als die AfD. Das alleine ist aber nur | |
Symptombekämpfung von rechtem Populismus. Dahinter stellt sich ja eine | |
riesengroße demokratische Grundfrage: Wie kann verhindert werden, dass | |
Plattformen massenweise für rechtspopulistische und faschistische Inhalte | |
und Klimaleugnung missbraucht werden? | |
Wie können junge Menschen, die ihre Hoffnung auf mehr Klimaschutz verloren | |
haben, neue Motivation finden, politisch aktiv zu bleiben? | |
Die Frage ist schon Teil der Antwort: Solange ich Hoffnung suche, habe ich | |
offensichtlich noch nicht aufgegeben, bin noch nicht resigniert oder | |
zynisch und das ist schon mal viel wert. Diese Frage zu stellen ist also | |
schon der erste Schritt. Und meiner Erfahrung nach kommt Hoffnung vor allem | |
dann, wenn ich losgehe und aktiv werde, statt auf der Couch zu sitzen und | |
zu warten, dass die Hoffnung mir in den Schoß fällt. Hoffnung hat man nicht | |
einfach, Hoffnung macht man. Aktiv werden kann man in Sachen Klimaschutz | |
mittlerweile überall: in der Schule, der Uni, in Vereinen und Initiativen. | |
Überall da erlebt man, dass radikale Zuversicht da ist. | |
In der Klimakrise gibt es ein gewisses Dilemma der Maßstäbe: Man denkt | |
schnell, die Klimakrise ist so groß und wir sind so klein. Da entsteht das | |
Missverständnis, dass es den einen Hebel gibt, der so groß ist wie die | |
Klimakrise, der umgestellt werden muss. Den Hebel gibt es aber nicht. | |
Stattdessen aber ganz, ganz viele kleine Hebel, die zusammengenommen große | |
Dinge bewirken. Wir sind jetzt also sehr gut beraten, die vielen, vielen | |
kleinen Hebel in Gang zu bringen. | |
Wie kann diese Hoffnung auch medial präsenter werden? | |
Ehrlich gesagt war ich selten so frustriert über die öffentliche | |
Besprechung der Klimakrise, wie ich das jetzt gerade bin. Man muss zwar | |
auch anerkennen, dass es inzwischen mehr Medienkompetenz gibt, was die | |
Klimaberichterstattung betrifft. In vielen Redaktionen sehe ich | |
fantastische Leute, die sich hoch informiert einsetzen wollen, damit besser | |
über die Klimakrise berichtet wird. Aber die Gesamtdynamik medialer | |
Berichterstattung über die Klimakrise ist unerträglich. Dahinter steht die | |
aus meiner Sicht ungeklärte Frage, welche ethische Verantwortung Medien | |
eigentlich in der Klimakrise tragen. | |
Was würdest Du Dir also vom Journalismus wünschen? | |
Wenn der Journalismus sich als vierte Gewalt versteht, die die Demokratie | |
verteidigt, würde ich anmerken, dass die Demokratie nicht nachhaltig | |
verteidigt werden kann, solange der Planet abbrennt. Es wäre in meinen | |
Augen eine medienethische Verpflichtung, die Klimarealität mit ins Zentrum | |
des eigenen Schaffens zu stellen. Aus eigener Überzeugung, völlig | |
unabhängig von Politik und Aktivismus. | |
Das wäre in keiner Weise eine unkritische Herangehensweise an Klimaschutz. | |
Aber man würde sich ehrlich machen und anerkennen, dass die größte aller | |
Zumutungen für die Menschen und die größte aller Belastungen für eine | |
Demokratie der Klimaschutz ist, der nicht kommt. Man würde anfangen, | |
konsequent zu intervenieren, wenn die Politik Klimaleugnung oder | |
-verdrängung verbreitet. Man würde aufhören, eine Realität zu simulieren, | |
in der das Klima auf uns wartet, wenn wir gerade keine Zeit haben. | |
18 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Gruende-fuer-Erfolge-bei-der-EU-Wahl/!6015067 | |
[2] /FFF-Aktivistin-ueber-Europawahl/!6015051 | |
[3] /Die-Gruenen-nach-der-Europawahl/!6015050 | |
## AUTOREN | |
Joscha Frahm | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Letzte Generation | |
Luisa Neubauer | |
GNS | |
Wir retten die Welt | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
TikTok | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Frust auf der Bonner Klimakonferenz: Regel 16 ist die große Delete-Taste | |
Unser Autor fragt sich, ob es nicht schön wäre, beim internationalen | |
Klimaschutz noch mal komplett von Vorne beginnen zu können. | |
Anklage gegen Letzte Generation: Klimabewegung solidarisiert sich | |
Mitglieder der Letzten Generation sind wegen Bildung einer kriminellen | |
Vereinigung angeklagt. Aktivist*innen sehen Kriminalisierung. | |
Globaler Klimastreik ohne Deutschland: Bewegung lanciert EU-Wahlkampf | |
Fridays for Future hat die Europawahlkampagne gestartet – anstatt am | |
globalen Klimastreik teilzunehmen. Eine BIPoC-Klimagruppe demonstrierte | |
trotzdem. | |
TikTok-Debatte in Deutschland: Rein oder aus | |
Deutsche Politiker*innen fordern eine strengere Regulierung von | |
TikTok. Dabei sollten sie besser anfangen, dort mitzumischen. |