# taz.de -- Erfolg migrantischer Arbeiterkinder: Dein Kind ist kein Gastarbeite… | |
> Einige heute erfolgreiche PoC hatten es einst schwer. Ihre Kinder haben | |
> es einfacher. Zeit für einen Privilegien-Check, findet unsere | |
> Kolumnistin. | |
Bild: Schulkinder stehen auf der Bühne und spielen Querflöte | |
Viele meiner Freund*innen oder langjährigen Kolleg*innen haben Kinder | |
und ich liebe es, sie aufwachsen zu sehen und bei den wichtigen Ereignissen | |
dabei zu sein: Geburtstage, Einschulung, Schultheateraufführung. Ich feuere | |
sie auf dem Weg durchs Leben an. | |
Wenn Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, fühle ich so eine | |
sentimentale Wärme. Ob ich will oder nicht. Wenn eines dieser Kinder auf | |
der Bühne steht, eine kleine Filmrolle hat oder sich für | |
Theaterwissenschaften einschreibt, spüre ich so eine Art Sekundärstolz und | |
selbstverständlich biete ich meine Unterstützung an. Wir sind ja fast | |
Familie und ich kenn’ mich aus. | |
Aber bis zu welchem Punkt ist das angemessen? Wie lange feiert man die | |
Erfolge solcher Kinder und ab wann ist der richtige Zeitpunkt, einfach nur | |
mit den Augen zu rollen und ihnen zu sagen, was sie sind: Nepo-Babies. | |
Privilegierte Nepo-Babies, die einen riesigen Vorsprung im Leben haben, | |
weil ihre Eltern ihnen alle möglichen Türen aufgestoßen haben. | |
Ich bin auf der Seite dieser Kinder, denn ich bin auf der Seite ihrer | |
Eltern. Deren Kämpfe brachten ihnen Titel ein, die niemand haben will, die | |
aber doch von Bedeutung sind: Sie waren das einzige Arbeiterkind, [1][die | |
erste Schwarze], die erste Muslima, der einzige Geflüchtete, die erste | |
Person of Color, die dieses Elite-Stipendium erhalten, jenen Literatur- | |
oder Theaterpreis gewonnen oder diesen Chefposten in einer | |
Kulturinstitution erreicht haben. | |
Sie sind als Marginalisierte und Außenseiter*innen gestartet, hatten | |
weniger finanzielle Unterstützung, haben für ihre Eltern übersetzt oder | |
konnten nicht in die Theater-AG, weil sie auf ihre Geschwister aufgepasst | |
haben. Ihr kennt all diese Geschichten, denn sie haben Bücher darüber | |
geschrieben und Filme gemacht. | |
## Deine Tochter ist keine von uns | |
Im Kampf gegen Diskriminierung, für Inklusion und Chancengleichheit betonen | |
wir oft, dass wir das für nachfolgende Generationen machen. Glasdecken, | |
Barrieren und Hürden sollen eingerissen werden, damit unsere Kinder es | |
einmal besser haben. „Unsere Kinder“ hieß damals, als wir in unseren | |
Zwanzigern waren noch, zukünftige junge Leute of Color, oder jüngere | |
Menschen mit [2][Diskriminierungserfahrungen]. Jetzt sind da tatsächlich | |
eigene Kinder. | |
Wenn eins davon direkt auf einer staatlichen Schauspielschule angenommen | |
wird, nachdem der Mutter das verwehrt blieb und sie sich ewig durch | |
[3][Klischeerollen] in Vorabendserien gequält hat, um endlich | |
Anspruchsvolles für gute Gagen spielen zu können, nehmen wir das gern als | |
politischen Erfolg. | |
Denn es gibt gesellschaftliche Fortschritte, die dazu führen, dass für | |
Kinder wie uns heute alles ein kleines bisschen zugänglicher wäre. Die | |
Sache ist: Deine Tochter ist keine von uns. Sie ist die Tochter einer | |
Regisseurin und eines Autors. Dass ihr Berufseinstieg so unkompliziert | |
verläuft, hat wenig mit politischen Veränderungen zu tun, sondern mehr | |
damit, wer ihre Eltern sind. | |
Ja, du kannst stolz sein, dass dein Kind einen Job an diesem renommierten | |
Theater hat und es ist super, wenn da mehr PoC arbeiten, aber du bist nicht | |
nur Türke, sondern auch Dramaturg und dein Kind ist kein Gastarbeiterkind. | |
Dass es dort arbeitet, heißt nicht, dass es migrantische Arbeiterkinder | |
jetzt leichter haben. Es heißt, dass du erfolgreich bist und deinem Kind | |
einen guten Start ermöglicht hast. Früher haben wir über solche Leute | |
gelästert. Lasst uns bitte wieder damit anfangen, sobald sie aus dem Haus | |
sind. | |
28 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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