# taz.de -- Schutzquote für Afghanen: Bloß nicht nach Brandenburg | |
> Die Schutzquote für Afghanen ist bundesweit hoch – nur in | |
> Eisenhüttenstadt nicht. Warum, kann das Bundesamt für Migration nicht | |
> wirklich erklären. | |
Bild: Erschöpfte Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt… | |
Eisenhüttenstadt taz | Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 | |
wird den meisten afghanischen Flüchtlingen, die in Deutschland Asyl | |
beantragen, vom Bundesamt für Migration (Bamf) ein Schutzstatus | |
zugesprochen: Sie bekommen Asyl oder werden als Flüchtling nach der Genfer | |
Konvention anerkannt, man gibt ihnen subsidiären oder wenigstens | |
Abschiebeschutz. Die sogenannte „Schutzquote“ für Afghanen stieg nach dem | |
Sieg der Islamisten in Kabul auf fast 100 Prozent. | |
Doch kürzlich fiel einem Rechtsberater der Arbeiterwohlfahrt (AWO) | |
Berlin-Mitte auf, dass Afghanen, die für ihr Asylverfahren in die | |
Bamf-Außenstelle Eisenhüttenstadt verteilt wurden, inzwischen wieder oft | |
abgelehnt werden. Um der Sache auf den Grund zu gehen, stellte Nicolas | |
Chevreux eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgsetz (IFG). [1][Und | |
siehe da]: In allen Bamf-Außenstellen betrug die „Schutzquote“ im ersten | |
Quartal 2024 zwischen 85 und 100 Prozent, in den meisten sogar zwischen 94 | |
und 100 Prozent. In Eisenhüttenstadt lag sie bei 51 Prozent. Die einzige | |
andere Ausnahme war Nürnberg, aber da gab es auch nur 2 Fälle. In | |
Eisenhüttenstadt waren es 194. | |
Die taz fragte bei der Behörde nach: Wie kann es sein, dass in Brandenburg | |
– und nur dort – die Schutzquote für Afghanen auf einmal steil abfällt? | |
Die Antwort des Bamf: „In den in Brandenburg im 1. Quartal bearbeiteten | |
Asylverfahren von Antragstellenden aus der Islamischen Republik Afghanistan | |
war festzustellen, dass es sich zum Großteil um allein reisende, junge, | |
gesunde und arbeitsfähige Männer handelte.“ Bei vielen von ihnen sei nach | |
„sorgfältiger Einzelfallprüfung“ davon auszugehen, dass sie ihr | |
Existenzminimum im Heimatland sichern könnten. | |
## Nur junge Männer in Eisenhüttenstadt? | |
Den AWO-Rechtsexperten hat das nicht überzeugt – im Gegenteil. „Das kann | |
nicht sein“, sagt er, denn zum einen habe das Geschlecht überhaupt keinen | |
Einfluss auf die Verteilung der Asylbewerber innerhalb Deutschlands. In | |
Eisenhüttenstadt müssten daher prozentual genauso viele alleinstehende | |
Männer zu finden sein wie – sagen wir – in Karlsruhe (Schutzquote im ersten | |
Quartal 2024: 100 Prozent). | |
Zum anderen, fragt Chevreux, selbst wenn man annehmen würde, dass in | |
Eisenhüttenstadt viel mehr alleinstehende, junge Männer aus Afghanistan | |
Asyl suchen würden als anderswo: „Wie will das Bamf erklären, dass die | |
Schutzquote mancherorts bei 100 Prozent ist? Dass dort keine Männer leben?“ | |
Zum Beispiel in Gießen, wo im ersten Quartal 2024 genau 1.241 Fälle | |
entschieden wurden – und 99,7 Prozent Schutz bekamen. Darunter sollen keine | |
„allein reisenden, jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männer“ gewesen | |
sein? | |
Auch die Asylexpertin von Amnesty International in Deutschland, Sophie | |
Scheytt, findet die Sache merkwürdig. „Wenn sich die Schutzquote plötzlich | |
halbiert, bedarf es dafür einer guten Begründung“, sagt sie auf | |
taz-Anfrage. Die Erklärung des Bamf halte sie allerdings für | |
„unzureichend“. „Das Amt müsste schon erklären, warum sich die Zuteilung | |
der Flüchtlinge auf einmal geändert haben sollte.“ | |
Das aber dürfte schwierig werden. Denn offenkundig hält das Bamf | |
statistisch gar nicht fest, wie die demografische Aufschlüsselung der | |
Asylbewerber aus Afghanistan nach Geschlecht, Alter „und danach, ob sie | |
allein oder als Teil einer Familie reisen“, aussieht. Chevreux hatte nach | |
der Antwort des Bamf genau dies mit einer weiteren IFG-Anfrage | |
herausbekommen wollen. [2][Und bekam am 24. Juni folgende Antwort]: Man | |
müsse ihm mitteilen, „dass die von Ihnen begehrten Informationen dem | |
Bundesamt leider nicht vorliegen“. | |
## Demografische Daten gibt es nicht | |
Das aber heißt: Die erste Erklärung, in Eisenhüttenstadt seien im | |
fraglichen Quartal besonders viele „allein reisende, junge, gesunde und | |
arbeitsfähige Männer“ im Verfahren gewesen, kann nicht stimmen. Denn laut | |
seiner zweiten Antwort weiß das Bamf dies ja gar nicht. „Das Bamf sollte | |
den plötzlichen Abfall der Schutzquote gründlich untersuchen und zeitnah | |
eine überzeugende Begründung nachliefern“, so Scheytt. | |
Was aber könnte sonst die Abweichung erklären? Den Gedanken, es könnte an | |
der Person liegen, die über die Anträge entscheidet, schließlich sind es | |
einzelne „Entscheider“, die jeden Antrag prüfen und dann ihr Urteil fälle… | |
weist das Bamf empört zurück. „‚Persönliche Befindlichkeiten‘ im Rahme… | |
Entscheidungsfindung der weisungsgebundenen Entscheidenden kommen hier | |
selbstverständlich nicht zum Tragen, was durch die externe und interne | |
Qualitätssicherung garantiert wird und bei Verstößen auch dienstrechtliche | |
Konsequenzen nach sich ziehen würde“, so ein Sprecher zur taz. | |
Das mit der „Qualitätssicherung“ ist aber so eine Sache. Eisenhüttenstadt | |
ist schon in früheren Jahren durch besonders niedrige Anerkennungsquoten | |
aufgefallen. Als 2018 die Bremer Bamf-Außenstelle bundesweit am Pranger | |
stand, weil sie angeblich Hunderte Asylanträge ohne ausreichende Gründe | |
bewilligt habe, deckte der Brandenburger Flüchtlingsrat einen ganz anderen | |
„Bamf-Skandal“ in Eisenhüttenstadt auf. | |
[3][Dort lag damals die Anerkennung für verschiedene Herkunftsländer | |
auffällig unterhalb der bundesdurchschnittlichen Schutzquote.] Kirstin | |
Neumann vom Brandenburger Flüchtlingsrat erklärte seinerzeit, die Qualität | |
der Brandenburger Entscheidungen sei oftmals mangelhaft, viele würden | |
später vor Gericht kassiert. Ein Rechtsanwalt für Migrationsrecht in | |
Frankfurt (Oder) bestätigte das damals. | |
## Nach dem Mord von Mannheim | |
Und heute? „Auch aktuell scheint es Qualitätsmängel bei den | |
Asylentscheidungen zu geben“, mit schnellen Verfahren, ohne ausreichende | |
Asylverfahrensberatung vor der mündlichen Anhörung, so Neumann. „Das führt | |
zwangsläufig zu Verfahrensfehlern, die dann in langwierigen | |
Gerichtsverfahren korrigiert werden müssen.“ | |
Die Frage bleibt: warum jetzt? Warum geht die Schutzquote nach unten, | |
obwohl sich die politische Situation in Afghanistan eher noch | |
verschlechtert hat? Für Neumann drängt sich der Eindruck auf, dass die | |
verschärfte Abwehrpolitik in Migrationsfragen, die Brandenburg in den | |
letzten Monaten fahre, „vor dem Bamf keinen Halt macht“. | |
Zu befürchten ist, dass die nach dem Polizisten-Mord in Mannheim auch in | |
Berlin und Brandenburg lauter werdenden Forderungen aus der Politik, | |
Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan wieder aufzunehmen, die Lage | |
für afghanische Flüchtlinge allgemein unsicherer macht. Chevreux sagt, er | |
habe den Eindruck, dass seit ein, zwei Monaten auch in Berlin die Zahl der | |
Ablehnungsbescheide steigt, zumindest kämen mehr Menschen damit in seine | |
Beratungsstelle. Er bekomme auch mehr Anfragen von Menschen, die bereits | |
Schutz bekommen haben: „Viele haben Angst, dass der zurückgenommen wird und | |
sie abgeschoben werden.“ | |
2 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://fragdenstaat.de/anfrage/schutzquote-fuer-asylbewerber-innen-aus-afg… | |
[2] https://fragdenstaat.de/anfrage/demografischen-aufschluesselung-der-asylbew… | |
[3] /Zwei-Bamf-Aussenstellen-im-Vergleich/!5508993 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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