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# taz.de -- Im Schatten der Nazi-Kolonie: Nichtstun am Limit
> Im Urlaub sinkt das Energieniveau schlagartig. Wahrscheinlich soll das so
> sein. Die Institution Urlaub an sich ist problematisch.
Bild: Was der Urlaub so mit einem macht: Kühe auf Rügen
Ungefähr zwei Stunden habe ich heute auf einen Starrwettkampf mit einer Kuh
verwendet. So lange schon latscht ihre Herde nämlich schon ziellos zwischen
meinem Ferienhausbalkon und dem Kleinen Jasmunder Bodden herum. Die Kühe
stören meinen Fotobeweis vom absoluten Nichtstun, weil sie immer genau dann
komische Sachen machen, wenn sonst alles stimmt. Vor allem halt diese eine.
Dieser Bodden ist ein Gewässer, falls Sie das nicht wissen. Seit man ihn
achtzehnhundert-irgendwas durch einen Damm von der Ostsee getrennt hat, ist
er eine Art Binnensee [1][auf der Insel Rügen] – und bietet trotzdem auch
noch einen hinreichend idyllischen Meerblick-Ersatz.
Es ist insgesamt sehr schön hier, sehr friedlich und abgesehen von den
Rindern eben auch angenehm ereignislos. Vielleicht sogar ein bisschen
ereignisloser, als mir gut tut. Meine eigentlich nur noch zum allerletzten
Feinschliff mit in den Urlaub genommene Kolumne war vorhin das erste Opfer
dieser sonderbaren Stimmung. Ich habe sie nämlich gelöscht.
Dabei war’s im Grunde ein spitzenmäßiger Text über das strukturschwache
Bremen: wütend und bissig und trotzdem mit einer irre lustigen Pointe am
Ende. Sogar der Titel war gut und Polizeigewalt kam auch drin vor. Allein:
Das alles fühlt sich nicht mehr richtig an hier draußen auf der Insel.
Nichts ist mir gerade egaler als der beschissene Schienenersatzverkehr um
Bremen – überhaupt habe ich keine Energie mehr, mich über irgendwas
aufzuregen.
## Schleichende Erosion
Und das ist auf dreierlei Weise schade: um meine Arbeitszeit, weil der
erste Text ja fast fertig war. Ums Honorar natürlich noch mehr und ein
bisschen eben auch um Ihre Zeit, weil Sie nun statt dieser abgefahrenen
Krawallstory nur noch der schleichenden Erosion meines Hirns nach
wochenlanger Überbelastung folgen können.
Wobei immerhin noch eine Geschichte darüber abfällt, was man sich für einen
Extrastress macht, wenn und weil es auf Pausen zugeht. Oder ist das am Ende
nur bei mir so? Dass ich mich in solchen Phasen über zwei schlaflose Wochen
auf den Kopf stelle, um dafür hinterher wenigstens mal eine halbe so
richtig frei zu haben?
Falls Sie das jedenfalls auch so machen, dann wissen Sie ja, dass dieser
Plan niemals aufgeht. Weil Sie am Ende doch wieder so einen Irrsinn
veranstalten, wie eben eine im Grunde fertige Kolumne durch irgendeinen
Quatsch mit Kühen zu ersetzen, den Sie dann doch nicht auf den Punkt
bekommen, weil diese Tiere Ihnen überhaupt nichts getan haben und unterm
Strich halt einfach nur kuhmäßig existieren.
## Unterbrechung des Elends als sinnstiftenden Fetisch
Es ist leider so: Urlaub macht selbstgerecht. In der abklingenden
Erschöpfung bleibt das marode Selbst als eine gebrochene und schutzlose
Märtyrer:in der Arbeit zurück, die nichts anderes mehr vermag, als ihre
Umgebung eben damit vollzutexten. Ob die das nun will oder nicht. Keine
Ahnung, wer sich diesen Mist ausgedacht hat, aber es kann schlicht nicht
funktionieren, die bloße Unterbrechung des Elends zu seinem sinnstiftenden
Fetisch aufzubauen.
Ehrlich gesagt, habe ich natürlich schon eine Ahnung, wer sich das
ausgedacht hat. Lässt man Kühe und Bodden nämlich kurz mal links liegen,
ist auf der anderen Seite Prora zu entdecken, [2][wo die Nazis den
Massentourismus erfunden haben]. „Kraft durch Freude“ und so weiter: 20.000
Deutsche sollten sich genau hier gleichzeitig für Führer, Volk und
Vaterland im Akkord entspannen, bis ihnen Arbeitsmoral und Wehrfähigkeit
wieder aus den Ohren spritzen.
Wenn ich so drüber nachdenke, ist es vielleicht doch gar nicht so schlecht,
im Urlaub wenigstens ein bisschen zu arbeiten, bevor man auf dumme Gedanken
kommt. Ich geh gleich rüber und guck mir Prora als mahnendes Beispiel an.
Und wenn das Wetter noch besser wird, gibt’s dann noch Strand,
Kreidefelsen, Insel-Brauerei, Segelboot, Hiddensee, Feuersteinfeld … Lieber
ein dichtes Programm als gar keinen Stress. Und dann kann die Kuh
meinetwegen auch weiter mein Stillleben zertrampeln.
8 Jul 2024
## LINKS
[1] /Wahlkreis-der-Kanzlerin/!5797226
[2] /Ruegen-vor-der-Wahl-in-MV/!5331506
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
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