# taz.de -- Investitionen in der Ukraine: Hightech zwischen Maisfeldern | |
> Die Bundesregierung will privates Kapital für den Wiederaufbau | |
> mobilisieren. Der Konzern Bayer ist seit Jahren in der Ukraine und will | |
> bleiben. | |
Bild: Der Chef der Saatgutfabrik im ukrainischen Dorf Potschuiky, Dmytro Sherep… | |
Kyjiw/Potschuiky taz | Es brummt. Kommt man näher, zerfällt das Brummen in | |
verschiedene Geräusche aus mehreren Richtungen. Die rund 50 Meter hohe | |
Sortieranlage einer Saatgutfabrik im ukrainischen Dorf Potschuiky, rund | |
anderthalb Autostunden westlich von der Hauptstadt Kyjiw, könnte noch | |
lauter sein, erklärt Dmytro Sherepitko. Der 38-Jährige ist Fabrikleiter | |
und kennt jede Schraube. Gerade ist keine Saison, deshalb kann man sich auf | |
dem Areal auch besser bewegen, weil nicht ständig ein 40-Tonner zur | |
Anlieferung fährt. | |
Das Dörfchen ist typisch für die Region zwischen Kyjiw und Schytomyr: | |
sanftwellige Landschaft, hier und da ein kleiner See. Die Böden sind gut | |
und so strotzt die Vegetation zum Sommeranfang vor Kraft. Bäume und Äcker | |
in sattem Grün. Am Straßenrand weiden Kühe und Ziegen. Auf den hölzernen | |
Telefonmasten füttern Storchenpaare ihren Nachwuchs. | |
Die riesigen Bauten der Saatgutfabrik könnten kein größerer Kontrast sein. | |
Die Fabrik gehört zu Bayer Ukraine. Der deutsche Konzern ist in der Ukraine | |
seit vielen Jahren aktiv und mit mehreren Sparten vertreten, darunter | |
Pharma und Landwirtschaft. Zu letzterem gehört auch die Saatgutfabrik. | |
2018 wurde die Fabrik eröffnet mit zwei Trockenanlagen. Nach Beginn der | |
großangelegten Invasion entschied sich Bayer, nicht nur zu bleiben, sondern | |
am Standort weitere 60 Millionen Euro unter anderem in eine dritte | |
Trockenanlage zu investieren. Dazu kommen noch die Landmaschinenbasis und | |
Luftschutzkeller für die Mitarbeiter. Es ist einer der größten einzelnen | |
ausländische Privatinvestition seither. Inzwischen ist die Trockenanlage | |
fertig und kann zur nächsten Ernte eingesetzt werden. | |
## Riesiger Fön | |
Betritt man die Anlage, hat sie fast etwas von einem Kirchenschiff. Ein | |
langer Gang in der Mitte, rechts und links sind mehrere Stockwerke hohe, | |
siloartige Behälter mit Gitterboden. Nach der Ernte werden die Maiskolben | |
eingefüllt, von unten wird warme Luft wie durch einen riesigen Fön | |
eingepresst. Die Energie kommt aus der Biomasse übrig gebliebener Kolben. | |
Das mache nicht nur autark, sondern spare auch CO2, erklärt Sherepitko. Die | |
Elektrizität für den Fön komme aus dem Netz. | |
In dieser Saison konzentriere man sich aus Gründen der Nachfrage auf Mais. | |
Aber die Anlage könnte auch Saatgut für andere Pflanzen wie Sonnenblumen | |
oder Raps herstellen. Die Felder liegen in der Umgebung. In diesem Jahr | |
sind es 3.500 Hektar. Die Transportwege sollen kurz sein. Den Bauern stellt | |
die Fabrik die nötigen Maschinen zur Verfügung. | |
In diesem Jahr werden 19 verschiedene Sorten angebaut: runde und flache | |
Körner in verschiedenen Größen und mit verschiedenen Eigenschaften. Der | |
Schwerpunkt ist Futtermais. „Alles entspricht europäischen Standards“, sagt | |
er. Denn gut die Hälfte des Saatguts bleibt nicht in der Ukraine, sondern | |
wird exportiert. Im eigenen Labor wird laufend die Qualität überprüft. | |
Die Fabrik beschäftigt rund 120 feste Mitarbeiter:innen. Dazu kommen | |
besonders in der Erntezeit von August bis Oktober rund 250 Saisonkräfte. | |
Alles ist modern und sauber. Die Kantine bietet ausgewogene Kost. Die Büros | |
haben höhenverstellbare Tische. Und es gibt einen Pausenraum mit | |
Tischtennisplatte. In der Umgebung ist die Fabrik der größte Arbeitgeber | |
und engagiert sich auch. So wurde der Bau eines neuen Krankenhauses | |
finanziert, die Straße ins Dorf ausgebaut und der lokalen Schule bezahlt | |
die Fabrik einen Englischlehrer. | |
## Privates Kapital | |
[1][Solche Investoren wünscht man sich in der Ukraine]. Anfang Juni hatte | |
in Berlin die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz stattgefunden. Auf der | |
zweitägigen Veranstaltung kamen mehr als 2.000 Vertreter aus Wirtschaft, | |
internationalen Fördereinrichtungen und der Zivilgesellschaft zusammen. | |
Dabei sollte privates Kapital für den Wiederaufbau des von Russland | |
angegriffenen Landes aktiviert werden. | |
Nach Aussagen von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) seien mehr | |
als 100 Vereinbarungen zwischen Regierungen und Unternehmen unterzeichnet | |
worden. So sei eine Allianz zur Finanzierung von kleinen und mittelgroßen | |
ukrainischen Unternehmen geschlossen worden. Diese gelten als Rückgrat der | |
ukrainischen Wirtschaft. | |
Sie tragen nach Angaben der Bundesregierung zu zwei Drittel der | |
Wertschöpfung in der Ukraine bei und schaffen mehr als 80 Prozent der | |
Arbeitsplätze dort. „Einer der wirksamsten Hebel für den Wiederaufbau sind | |
vergünstigte Finanzierungen für kleine und mittlere ukrainische | |
Unternehmen“, sagte Schulze. Diese könnten sich die wegen der Inflation | |
hohen Zinssätze von 20 bis 25 Prozent nicht leisten. | |
Tatsächlich gab es auf der Konferenz nicht nur Willensbekundungen. Ein | |
wichtiges Instrument der Bundesregierung ist dabei die Kreditanstalt für | |
Wiederaufbau (KfW). Sie habe auf der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in | |
Berlin Verträge im Volumen von rund 190 Millionen Euro abgeschlossen. | |
## Arbeitsplätze sichern | |
Dabei gehe es um neue Zusagen zur Reparatur und Wiederherstellung der | |
Energie-Infrastruktur, Berufsbildung und kommunalen Infrastruktur, teilte | |
die KfW mit. Hohe Relevanz habe aber auch die Förderung privater | |
Unternehmen, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten, Arbeitsplätze zu | |
sichern und Einkommen zu generieren. | |
Oliver Gierlichs ist der Chef von Bayer Ukraine. Der 57-Jährige Kölner ist | |
seit 2020 im Land und hat in seiner Managerkarriere beispielsweise in | |
Mexiko oder der Elfenbeinküste schon Erfahrungen gesammelt, von | |
Regimewechseln bis zu Währungsturbulenzen. In die Ukraine habe ihn | |
seinerzeit die Neugier auf Osteuropa getrieben. | |
„Ich bin beeindruckt, wie dynamisch sich das Land entwickelt hat.“ Für | |
viele Ukrainer sei Polen der Vergleichsmaßstab. Anfang der 1990er Jahre | |
waren die Länder wirtschaftlich in etwa auf demselben Niveau, die | |
Strukturen ähnlich. „Diese Entwicklung wie in Polen wünschen sich die | |
Menschen hier auch.“ | |
Gierlichs ist seit März auch Präsident der Deutschen Auslandshandelskammer | |
in Kyjiw. Und hat so gewissermaßen auch einen Überblick über andere | |
Industrien und Sektoren. Die Intention der Wiederaufbaukonferenz findet er | |
richtig. Ausländische Investitionen stärken die Wirtschaft, was wiederum | |
mehr Steuereinnahmen für den Staat generiere. Außerdem sei es auch ein | |
Zeichen an die Menschen, dass es in der Ukraine eine Zukunft gebe. | |
## Einige Baustellen | |
Aber wenn es ins Detail geht, sieht er dann doch noch so einige Baustellen, | |
sowohl auf ukrainischer als auch auf internationaler Seite. Um wirklich | |
mehr ausländisches Kapital anzulocken, müsste dieses gegen Kriegsschäden | |
aller Art abgesichert sein. Jedoch die Bedingungen dafür seien noch nicht | |
überzeugend. Die Ukraine locke zwar mit Steuerrabatten bei Investitionen. | |
„Aber überwiegend für neue Unternehmen, nicht so sehr für die, die bereits | |
im Land sind.“ | |
Auch der Arbeitsmarkt macht Probleme. Viele Menschen sind geflüchtet, und | |
die Armee zieht immer mehr Männer zum Wehrdienst ein. Dabei sei Bayer noch | |
begünstigt. „Als Unternehmen der kritischen Infrastruktur können wir die | |
Hälfte unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im wehrfähigen Alter | |
zurückstellen lassen.“ | |
Aber das gelte immer nur für sechs Monate und dazwischen verursache der | |
bürokratische Prozess Lücken. Er nennt ein Beispiel aus der Pharmasparte: | |
Nach ukrainischem Recht müsse jede Charge eines Medikaments zertifiziert | |
werden. „Wenn unsere Pharmazeutin mobilisiert wird, steht der ganze Prozess | |
still.“ | |
Eigentlich meint er, gehe es beim Wiederaufbau auch nicht darum, | |
buchstäblich etwas wiederaufzubauen. Man müsse in die Zukunft denken und es | |
gleich besser machen. Da gehe es um erneuerbare Energien, aber auch um | |
Produktions- und Baustandards. Das alles müsse auch bei Ausschreibungen | |
berücksichtigt werden. | |
## Attraktives Investitionsziel | |
„Wenn immer nur das billigste Angebot gewinnt, wird das nicht nachhaltig | |
sein.“ Bei der Sanierung und dem Neubau von Wohnungen sei in einem Land wie | |
der Ukraine mit kalten Wintern und heißen Sommern eine gute Isolation | |
nötig. „Sonst kostet das nachher wieder Energie.“ | |
Einer von Gierlichs Wünschen ist unlängst zumindest näher gerückt – näml… | |
[2][der Beginn der Beitrittsgespräche zur Europäischen Union]. Der | |
perspektivisch bessere Zugang zum EU-Markt mache die Ukraine auch als | |
Investitionsziel attraktiver. Und die europäischen Standards sollen auch | |
bei der Korruptionsbekämpfung helfen. Dabei gebe es nach wie vor Probleme, | |
aber auch deutliche Fortschritte. | |
Er hofft, dass die Mitgliedsländer nicht in egoistische Sichtweisen | |
zurückfallen und verweist dabei auf die monatelangen Blockaden der Grenze | |
durch polnische Landwirte und Trucker. Natürlich dürften im Falle einer | |
Mitgliedschaft auch hohe Summen in die ukrainische Landwirtschaft fließen, | |
aber die Mittel habe Polen für seine Landwirte vor 20 Jahren auch gern von | |
Brüssel angenommen. | |
5 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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