# taz.de -- Frankreich vor der Wahl: Ein Trend nach rechts | |
> Am 30. Juni und 7. Juli muss Frankreich ein neues Parlament wählen. | |
> Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg könnte die extreme Rechte an die | |
> Macht kommen. | |
Bild: Die Rassemblement National mit Marine Le Pen und Jordan Bardella hat gute… | |
Mit diesen Wahlen hatte niemand gerechnet. Selbst enge und langjährige | |
Weggefährten von Emmanuel Macron haben eingestanden, dass sie überrumpelt | |
waren, als der Staatschef am Abend des 9. Juni die sofortige Auflösung der | |
Nationalversammlung und die vorzeitige Neuwahl in zwei Durchgängen am 30. | |
Juni und 7. Juli ansetzte. Eigentlich sollte das Mandat der bisherigen | |
Abgeordneten bis 2027 dauern. Dann steht auch die nächste | |
Präsidentschaftswahl an. | |
Doch die [1][schwere Niederlage seiner Partei bei der Europawahl] war für | |
Macron Anlass genug, um nun alles auf eine Karte zu setzen. Er wolle den | |
Bürgerinnen und Bürgern mit ihrem Wahlrecht das Wort erteilen und so | |
„Klarheit“ schaffen. Bei der Präsidentschaftswahl im April 2022, die ihm | |
eine zweite Amtszeit bescherte, hat er in der Nationalversammlung seine | |
absolute Mehrheit verloren. Im Senat haben mittlerweile die oppositionellen | |
Konservativen und Zentristen das Sagen. | |
Zwar gelang es ihm noch, wenn auch um den Preis heftiger Konflikte, | |
[2][eine Rentenreform] und ein Immigrationsgesetz gegen den Widerstand von | |
links durchzusetzen. Seine zuletzt von Premierminister Gabriel Attal | |
geführte Regierung war aber ständig bedroht, einem Misstrauensantrag der | |
Oppositionsfraktionen zu erliegen. Innenpolitisch sank die Dynamik auf | |
den Nullpunkt. Macron konzentrierte sich auf die Europa- und Außenpolitik. | |
## Schwerer Irrtum | |
Die meisten Beobachter sind der Ansicht, dass Macron mit der Auflösung des | |
Parlaments einen schweren Irrtum begangen habe, der so in die | |
Geschichtsbücher eingehen werde. Sein früherer Premierminister Edouard | |
Philippe, der mit seiner Partei Horizons bereits die Präsidentschaftswahlen | |
von 2027 anpeilt, erklärte den Macronismus bereits für „tot“. | |
Der Präsident selbst erhofft sich durch die Neuwahlen eine regierungsfähige | |
Mehrheit von Abgeordneten, die seine Politik unterstützen. Alle Umfragen | |
prophezeien indes das Gegenteil: Rund 36 Prozent der 49 Millionen | |
Wahlberechtigten wollen dieses Mal dem rechtsextremen Rassemblement | |
National (RN) die Chance geben, anstelle der ungeliebten Macronisten das | |
Land zu regieren. | |
Spitzenkandidat des RN ist der 28-jährige Jordan Bardella. Der hat seine | |
Positionen zu Rentenreform und doppelter Staatsbürgerschaft mehrfach | |
revidiert. Was klar ist: In Schulen soll wieder mehr Disziplin eingeführt | |
werden, öffentliche Fernseh- und Rundfunksender sollen privatisiert und | |
kritische Stimmen damit ausgeschaltet werden. Asylbewerber*innen | |
sollen systematischer abgeschoben, Grenzkontrollen verstärkt werden. | |
Sozialhilfe und Studienbeihilfen können entzogen werden, wenn Kinder | |
mehrfach straffällig werden. | |
Unerwartet für Macron und seine Berater, die ihn zum Wahlpoker ermutigt | |
hatten, kam der fast reibungslose Zusammenschluss der linken Parteien zu | |
einer Wahlunion mit dem historisch aussagekräftigen Namen [3][„Nouveau | |
Front Populaire“ (Neue Volksfront)]. Damit knüpfen sie an die Volksfront | |
von 1936 an. Damals machten Kommunisten, Sozialisten und Linksliberale vor | |
dem Hintergrund des Faschismus in Europa gemeinsam Wahlkampf und gewannen | |
die Parlamentswahlen. | |
## Polarisierung | |
Nun einigten sich Sozialisten (PS), Grüne (EELV), Kommunisten (PCF) und die | |
Linkspartei La France Insoumise (LFI) über Nacht mit kleineren | |
Organisationen auf Einheitskandidaturen in allen 577 Wahlkreisen. Ihr | |
Programm: die Forderung eines Mindestlohns von 1.600 Euro netto pro Monat | |
und weitere Forderungen im Interesse der Werktätigen. Umfragen gehen für | |
die Volksfront von Stimmanteilen von 27 bis 29 Prozent aus, für die | |
Macronisten von noch ungefähr 20 Prozent. Deutlich ist dabei vor allem die | |
verschärfte Polarisierung zwischen der extremen Rechten und der vereinten | |
Linken. | |
Doch die Prozentzahlen reichen nicht, eine eindeutige Prognose abzugeben. | |
Mit dem französischen Mehrheitswahlrecht, das in jedem der 577 Wahlkreise | |
für den Sitzgewinn im ersten Durchgang 50 Prozent der Stimmen erfordert | |
sowie bei einer Stichwahl mit zwei, drei oder manchmal sogar vier | |
Finalisten (es braucht 12,5 Prozent der im Wahlkreis eingeschriebenen | |
Wahlberechtigten) eine relative Mehrheit, müssen sich am Ende viele | |
Wähler*innen, deren Wunschkandidat*in nicht mehr im Rennen ist, für ein | |
kleineres Übel oder sogar zwischen Pest oder Cholera entscheiden. | |
Auf dieses Dilemma setzt Macron. Er warnt seine Landsleute vor den | |
„Extremen“ von rechts und links und vor eventuellen katastrophalen Folgen | |
für das Land und den Alltag der Leute. Er versichert in einem von den | |
Zeitungen publizierten offenen Brief, er selbst schließe einen Rücktritt | |
vor Ende seiner Amtszeit im Jahr 2027 aus. Denn bei diesen Wahlen gehe es | |
nicht um ihn, sondern um die politische Ausrichtung der künftigen | |
Regierung. | |
Macron selbst steht nicht zur Wahl. Er ist dem Parlament auch nicht | |
rechenschaftspflichtig. Seine Aufgabe als Präsident wird es sein, einer | |
Person aus der stärksten Fraktion der Nationalversammlung den Auftrag zur | |
Regierungsbildung zu erteilen. | |
## Kompliziert und spannungsreich | |
Ob nun, wie erwartet, die Rechtspopulisten siegen oder, was weniger | |
wahrscheinlich ist, die linke Volksfront: In jedem Fall steht Frankreich | |
eine sogenannte Kohabitation bevor, das heißt eine komplizierte und | |
spannungsreiche Koexistenz zwischen dem Staatschef Macron und einem | |
Ministerkabinett, das aus seinen bisherigen Gegnern besteht. Diese | |
Kohabitation engt sowohl den Handlungsspielraum der Regierung als auch die | |
Macht des Präsidenten ein. | |
Dieser könnte die Verabschiedung von Gesetzen verzögern und vor allem | |
Verfassungsänderungen verhindern. Der Präsident bleibt praktisch alleine | |
für die Außenpolitik zuständig, er unterschreibt und garantiert | |
grundsätzlich internationale Verträge. Auch die Verteidigung gehört zu | |
seiner „reservierten Domäne“, er verfügt als Oberbefehlshaber der | |
Streitkräfte über die Atommacht. | |
28 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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