| # taz.de -- Kindesentführung nach Russland: Nicht ohne ihre Tochter | |
| > Ein Mann entführt seine Tochter aus der Ukraine. Zwei Jahre sucht die | |
| > Mutter nach ihnen. Dann entscheidet ein deutsches Gericht. | |
| Bild: Zerstörte Wohnhäuser in Saporischschja | |
| An einem grau bewölkten Morgen im Mai hält Valeriia O. ein letztes Mal | |
| Ausschau nach dem Mann und dem Mädchen, denen sie seit zwei Jahren | |
| hinterherjagt. So lange hat sie ihren Ex-Freund und ihre gemeinsame Tochter | |
| gesucht, in der Ukraine, in Russland, in Deutschland. O. ist feindlichen | |
| Soldaten entkommen, sie hat Raketeneinschläge überlebt, sie hat ihr Leben | |
| in Russland aufs Spiel gesetzt. | |
| An diesem Freitagmorgen steht sie im Amtsgericht von Wipperfürth, | |
| Nordrhein-Westfalen – 21.112 Einwohner, Hallenbad, Schwarzpulvermuseum –, | |
| umklammert mit beiden Armen einen Ordner voller Dokumente und starrt durch | |
| ein Fenster auf den Parkplatz vor dem Gebäude. Heute wird ein Richter in | |
| diesem Amtsgericht entscheiden, ob Valeriia O. ihr Kind von ihrem Ex-Freund | |
| zurückbekommt. Aber dafür müssen Vater und Tochter hier unbedingt | |
| erscheinen. | |
| Um neun Uhr beginnt die Verhandlung. Um 8.46 Uhr sind weder der Mann noch | |
| das Mädchen zu sehen. | |
| „Das ist gar nicht gut“, sagt eine Frau, die Valeriia O. zu diesem Prozess | |
| begleitet und die ihr geholfen hat, ihre Tochter in Deutschland zu finden. | |
| O.s Anwältin ist ebenfalls hier, sie versucht die beiden Frauen zu | |
| beruhigen. „Punkt 9 wird er kommen“, sagt sie. Die Anwältin hat dafür | |
| gesorgt, dass Valeriia O. vor ihrer Tochter im Gericht ist. Damit die | |
| beiden sich vor der Verhandlung auf jeden Fall sehen. | |
| Vier Minuten später, vielleicht sind es auch fünf, sieht Valeriia O. ihr | |
| Kind tatsächlich auf dem Parkplatz vor dem Gericht. Sie trägt Jeansjacke, | |
| Turnschuhe und auf dem Rücken einen kleinen Rucksack, die langen | |
| dunkelblonden Haare sind zu einem Zopf gebunden. Sie läuft an der Hand | |
| eines Mannes durch die Sicherheitsschleuse ins Gericht. Dieser Mann ist | |
| nicht ihr Vater. Es ist ihr [1][Verfahrensbeistand], so etwas wie ein | |
| Anwalt für das Kind. In dem Sorgerechtsstreit soll er das Beste für | |
| Valeriia O.s Tochter durchsetzen. Die lächelt ihrer Mutter verhalten zu, | |
| hebt steif die rechte Hand und winkt. Langsam läuft sie auf ihre Mutter zu. | |
| O. nimmt das Mädchen in den Arm und küsst es. Erst einmal, dann immer | |
| schneller, fünf, zehn, zwanzig Mal. | |
| Der Verfahrensbeistand nimmt das Kind wieder an die Hand und führt es zu | |
| einer Bank. Kurze Zeit später betritt auch der Vater das Gerichtsgebäude, | |
| ein großer Mann mit breitem Kreuz und unbewegter Miene. An der Seite seiner | |
| Anwältin läuft er an der Mutter vorbei, ohne sie anzusehen. | |
| Der Richter öffnet die Tür zum Gerichtssaal und bittet herein. | |
| In den kommenden drei Stunden wird dieser Richter versuchen, die Frage, bei | |
| wem die Tochter von Valeriia O. und ihrem Ex-Freund künftig leben soll, wie | |
| einen ganz normalen Sorgerechtsstreit zu behandeln. Wie einen von | |
| tausenden, die deutsche Gerichte jährlich beschäftigen. Es wird ihm nicht | |
| ganz gelingen. Denn erstens ist dieser Streit ein besonders hässlicher – | |
| Valeriia O. wirft ihrem Ex-Freund Kindesentführung vor, der behauptet | |
| hingegen, er habe seine [2][Tochter vor einem Krieg retten] wollen. Und | |
| zweitens berührt dieser Fall einen der bedeutsamsten Konflikte der | |
| Gegenwart, den Versuch Russlands, die gesamte Ukraine einzunehmen. | |
| Die Geschichte von Valeriia O. handelt von ihrer Suche nach der Tochter | |
| durch drei Länder – erst in der Ukraine, später in Russland, zuletzt in | |
| Deutschland. Es ist eine Geschichte darüber, wie diejenigen, die ihr | |
| eigentlich helfen sollen – die ukrainische Polizei und der Grenzschutz – | |
| erst zulassen, dass der Vater sich mit dem Kind versteckt und dann mit ihm | |
| das Land verlässt. | |
| Es ist eine Geschichte darüber, wie schwierig es für deutsche | |
| Richter:innen sein kann, das [3][Kindeswohl zu definieren] – die | |
| zentrale Kategorie, nach der Gerichte hierzulande entscheiden, welchem | |
| Elternteil das Sorgerecht zugesprochen wird. Was bedeutet Kindeswohl in | |
| einem Krieg? | |
| ## Wer darf bestimmen? | |
| Und nicht zuletzt geht es hier um eine Frau, die es gewohnt ist, zu | |
| organisieren, die Kontrolle zu haben und der diese Kontrolle über ihr | |
| eigenes Leben genommen wird. Valeriia O. leitet seit Jahren eine | |
| Hilfsorganisation, die ukrainische Frontstädte mit Shampoo, Brot und | |
| Plätzen für Kinderbetreuung versorgt. Sie arbeitet mit dem Europarat, den | |
| Vereinten Nationen und der Botschaft der USA. Am Ende ihrer zweijährigen | |
| Suche ringt O. mit den deutschen Richtern darum, wo sie und ihr Kind leben, | |
| und wer darüber bestimmen kann. | |
| Valeriia O. ist 29 Jahre alt, als der Krieg Ende Februar 2022 ihre Stadt | |
| Tokmak im Südosten der Ukraine erreicht. Eigentlich lebt sie mit ihrer | |
| Tochter zusammen. Von deren Vater hat sich O. vor Jahren getrennt. Er hatte | |
| ein kriminelles zweites Leben, nur durch Zufall hatte sie davon erfahren. | |
| Es gab einen ukrainischen Haftbefehl gegen ihn, darin steht etwas von | |
| organisiertem Diebstahl und dass er sich den Ermittlungen entzog. Ab und an | |
| sehen sich Vater und Tochter jedoch, und vor Russlands Großinvasion machen | |
| sie zusammen Urlaub am Asowschen Meer. | |
| Als russische Truppen Tokmak am 26. Februar angreifen, flieht O. mit ihrem | |
| Lebensgefährten in ein Haus, das Freund:innen gehört. Zu siebt sind sie | |
| dort mit zwei Neugeborenen. Ein Foto zeigt Valeriia O. mit einem der Babys | |
| im Arm, sie lächelt in die Kamera. Meist verstecken sie sich im Keller, | |
| zwischen Gläsern mit eingekochtem Essen. Über sich hören sie, wie Ukrainer | |
| und Russen miteinander kämpfen, die Kalaschnikows, die Panzer. Immer wieder | |
| fällt der Strom aus, es gibt kein Wasser. Per Telefon vereinbart sie mit | |
| ihrem Ex-Freund, dass er mit der gemeinsamen Tochter nach Norden fährt, | |
| nach Saporischschja. Die russische Armee ist nicht bis zu der Großstadt | |
| vorgedrungen und er hat eine Wohnung dort. Valeriia O. will so bald wie | |
| möglich nachkommen, das ist der Plan. Es wird zwei Jahre dauern, bis sie | |
| ihr Kind wiedersieht. | |
| O. erzählt von diesen Tagen in einem Berliner Café, an einem verregneten | |
| Morgen im März 2024. Zu dieser Zeit weiß sie bereits, dass ihre Tochter nun | |
| in Deutschland lebt, in Nordrhein-Westfalen. Sie weiß auch, dass sie um | |
| ihre Tochter kämpfen muss, vor einem deutschen Gericht. Deswegen ist sie | |
| nach Bonn gezogen. Berlin ist an diesem Tag nur ein Zwischenstopp. Nach dem | |
| Treffen fährt sie weiter in die Ukraine, nach Saporischschja, ein paar | |
| Angelegenheiten für ihre Hilfsorganisation regeln, neue Kleidung holen. | |
| Drei Tage wird sie mit dem Zug dorthin unterwegs sein. Nach einer Woche | |
| wird sie zurück nach Deutschland kommen. | |
| Valeriia O. hat den Kampf um ihr Kind lückenlos dokumentiert. In einem | |
| dicken Ordner trägt sie Papiere mit sich herum: Gerichtsurteile, Mails, | |
| Anwaltsschreiben, Pässe, Screenshots von Chatnachrichten, verschriftlichte | |
| Telefonanrufe. Auf diesen Dokumenten basiert diese Recherche, ebenso wie | |
| auf Gesprächen mit Valeriia O., mit ihrem Umfeld und mit Menschen, die an | |
| den Geschehnissen der vergangenen zweieinhalb Jahre beteiligt waren. Nicht | |
| alle wollen in diesem Text zitiert werden. Diejenigen, die Valeriia O. bei | |
| ihrer Suche geholfen haben, sehen sich großen Gefahren ausgesetzt. Auch | |
| Valeriia O. fürchtet, dass es für sie gefährlich werden könnte, wenn dieser | |
| Artikel über sie erscheint. Ihr Nachname ist deswegen in diesem Text | |
| abgekürzt. Der Ex-Freund von Valeriia O. lehnt ein Gespräch ebenso ab wie | |
| seine Anwältin. Seine Sichtweise lässt sich aus Dokumenten und Gesprächen | |
| mit Beteiligten der Gerichtsverfahren rekonstruieren. | |
| ## Von Charkiw nach Russland | |
| Drei Wochen verbringt Valeriia O. nach der russischen Invasion im Februar | |
| 2022 in dem Keller im Haus ihrer Freund:innen. Dann kann sie sich einem | |
| Konvoi anschließen, der Menschen aus der belagerten Stadt Mariupol nach | |
| Saporischschja bringt. Die russischen Besatzungssoldaten lassen den Konvoi | |
| auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet passieren und Valeriia O. findet eine | |
| Wohnung in Saporischschja. „Ich wusste nicht, ob ich dort bleiben oder | |
| gehen sollte. Ich wusste nicht, was richtig und falsch ist. Ich wusste nur, | |
| dass ich meine Tochter wiederhaben will“, sagt sie Mitte März im Berliner | |
| Café. | |
| Sie bittet den Vater damals, ihr die Tochter zurückzubringen. Der ignoriert | |
| sie, geht nicht ans Telefon. Er „hindert sie mit allen Mitteln daran, das | |
| Kind zu sehen“, schreibt das Bezirksgericht Saporischschja gut ein Jahr | |
| später, im April 2023, über diese Zeit in einem Urteil. Valeriia O. sucht | |
| in der ganzen Stadt nach ihrer Tochter. Sie erstattet Anzeige gegen den | |
| Vater. Die Polizei verpflichtet den Mann, sich regelmäßig zu melden. Einmal | |
| erscheint er mit der Tochter auf der Polizeistation. Dafür, dass die Mutter | |
| ihr Kind zurückbekommt, sorgt die Polizei nicht. | |
| Im Juni 2022 reicht Valeriia O. Klage ein, vor dem Bezirksgericht in | |
| Saporischschja. Sie will das Sorgerecht erstreiten, das Recht, ihr Kind zu | |
| sehen und zu entscheiden, wo es lebt. Von der Polizei bekommt sie | |
| regelmäßig Nachrichten: Das Kind lebe nun in Charkiw mit dem Vater. | |
| [4][Charkiw], die Millionenstadt im Nordosten der Ukraine, liegt nur 40 | |
| Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt. Sie ist seit Beginn der | |
| Invasion einer der gefährlichsten Orte des Landes. Laut Amnesty | |
| International sterben bei den Versuchen Russlands, die Stadt einzunehmen, | |
| bis zum Juni 2022 mehr als 600 Zivilisten, Hunderttausende fliehen. Zwar | |
| erobert die ukrainische Armee im Mai 2022 das Umland zurück, aber auch | |
| danach beschießt das russische Militär die Stadt weiterhin von Norden. Im | |
| September verpflichtet das Gericht in Saporischschja den Vater dazu, die | |
| Tochter jede zweite Woche der Mutter zu geben. Doch dazu kommt es kein | |
| einziges Mal. | |
| Im November dann bekommt Valeriia O. eine ungeheuerliche Nachricht. Eine | |
| Person, die sie nicht kennt, ruft sie an. Ihr Kind sei in Russland, | |
| behauptet diese Person. „Das ist unmöglich, habe ich geantwortet. Meine | |
| Tochter ist in Charkiw, ich habe ein Papier von der Polizei“, sagt O. im | |
| März 2024 in Berlin, und immer noch, fast anderthalb Jahre später, kann man | |
| den Unglauben in ihrem Gesicht sehen. Die Person aus Russland schickt | |
| Beweise. O. fragt die ukrainischen Behörden, ob ihre Tochter das Land | |
| verlassen hat. Wenige Tage später erhält sie einen Brief der Grenzpolizei: | |
| Der Vater und das Kind haben am 7. September 2022 um 19:26 Uhr die | |
| ukrainisch-polnische Grenze überschritten. Außerdem steht dort, sie als | |
| Mutter habe ihre Zustimmung gegeben. | |
| Auf Facebook schreibt O. damals: „Mein kleiner Sonnenschein, meine Tochter, | |
| meine Welt wurde entführt und nach Russland verschleppt.“ | |
| „Ich war so naiv“, sagt sie in Berlin. „Ich hatte wirklich geglaubt, dass | |
| die ukrainische Polizei meinen Fall löst. Ich war dumm.“ | |
| ## Kindesentführung nach Regime Muster | |
| Was der Tochter von Valeriia O. passiert, berührt einen für viele | |
| Ukrainer:innen besonders schmerzhaften Aspekt des Krieges: die | |
| [5][Entführung ukrainischer Mädchen und Jungen] in das Land des Angreifers, | |
| nach Russland. Über 19.500 Kinder sollen russische Behörden aus der Ukraine | |
| deportiert haben, diese Zahlen veröffentlicht die Regierung in Kyjiw und | |
| aktualisiert sie regelmäßig. Recherchen internationaler Medien, darunter | |
| BBC und New York Times, haben viele dieser Entführungen bestätigt. Der | |
| russische Präsident Wladimir Putin und seine Kinderrechtskommissarin Maria | |
| Lvova-Belova behaupten, sie würden ukrainische Kinder retten. Gegen beide | |
| erließ der Internationale Strafgerichtshof im Jahr 2023 einen Haftbefehl. | |
| Der Ex-Freund von Valeriia O. ist kein russischer Beamter. Aber was er tut, | |
| folgt dem Muster der von Putins Regime organisierten Kindesentführungen. Er | |
| bringt die gemeinsame Tochter in ein Land, das die Mutter nur unter großer | |
| Gefahr betreten kann. Und er rechtfertigt das damit, das Kind zu schützen. | |
| Valeriia O. bittet das ukrainische Justizministerium um Hilfe. Dort | |
| schreiben sie ihr bis zum Ende des Krieges gebe es „keine postalischen und | |
| diplomatischen Kanäle“ zum Aggressor. O. könne sich als Privatperson an | |
| Russland wenden. Es existiert ein internationales Abkommen für Fälle wie | |
| ihren. Das soll regeln wie ein Kind, das ohne die Zustimmung seines zweiten | |
| Elternteils in ein anderes Land gebracht wurde, wieder zurückkommt. Mehr | |
| als 100 Staaten haben das „Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen | |
| Aspekte internationaler Kindesentführung“ unterzeichnet, auch Russland. Das | |
| ukrainische Justizministerium schickt Valeriia O. eine Liste von russischen | |
| Anwält:innen, die sich mit dem Haager Vertragswerk auskennen. | |
| Und O. schreibt an Russland. Briefe, Emails, Anträge. Sie schreibt dem | |
| Beauftragten für Kinderrechte beim Präsidenten der Russischen Föderation, | |
| an das Sozialschutzamt in Moskau, an das russische Bildungs- und das | |
| Innenministerium. Sie stellt Strafanzeige gegen den Vater des Kindes, und | |
| reicht Klage ein bei einem russischen Gericht. Und einige, denen sie | |
| schreibt, antworten auch. Nach ein paar Monaten bekommt sie eine Adresse in | |
| Moskau, von der sie glaubt, dass ihre Tochter dort lebt. Der Direktor einer | |
| Schule schreibt ihr per Chatnachricht, dass das Mädchen bei ihm lernt. | |
| Im April 2023 spricht das Bezirksgericht in Saporischschja, Valeriia O. das | |
| Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind zu. Weder der Vater, noch sein | |
| Anwalt erscheinen zu der Verhandlung. Im Urteil heißt es: „Der Beklagte | |
| entführte buchstäblich das Kind.“ | |
| Das bringt Valeriia O. ihre Tochter nicht zurück. Aber sie hat jetzt ein | |
| offizielles Papier. Einen Beweis, dass ihr Kind zu ihr gehört. Damit will | |
| sie nach Russland fliegen und das Mädchen zurückholen. Allein. | |
| ## Gefahr und Hilfe aus Russland | |
| Sie weiß, wie gefährlich das ist. In den Folterkammern der ehemals von | |
| Russland besetzten Gebiete sind Ukrainer:innen schon wegen ein paar | |
| Tattoos verschwunden. Valeriia O. beliefert Menschen an der Front mit | |
| Hilfsgütern. „Ich hatte riesige Angst“, sagt sie im März 2024 in Berlin u… | |
| reißt die Augen weit auf. „Mir war klar: In Russland kann mir das | |
| Schlimmste passieren.“ | |
| Ihr Plan: Sie will rein formal argumentieren. Keine politische | |
| Auseinandersetzung, nur eine Familienzusammenführung. Mutter sucht Kind. | |
| Mit der Entscheidung des Gerichts in Saporischschja möchte sie die | |
| russischen Behörden überzeugen, ihr ihre Tochter zu geben. Valeriia O. | |
| kauft ein Ticket bei Turkish Airlines: Mai 2023, Istanbul–Moskau. | |
| Sie landet in Moskau, aber schafft es nicht, den Flughafen zu verlassen. | |
| Sie wird in Gewahrsam genommen. Nach 24 Stunden wird sie entlassen und nach | |
| Istanbul zurückgeschickt. Darüber, was in diesen Stunden passiert, spricht | |
| sie mit der taz. Aber veröffentlicht will sie es nicht sehen, sie hat | |
| Angst, dass es noch gefährlich werden könnte. | |
| Drei Wochen später erhält Valeriia O. einen Brief vom russischen | |
| Inlandsgeheimdienst, dem FSB. Darin steht, dass ihr „die Einreise in die | |
| Russische Föderation nicht gestattet wurde“ und man ihr keine schriftliche | |
| Begründung dafür schuldig sei. O. hat Glück, dass ihr nicht mehr passiert | |
| ist. Aber ihr Kind scheint unerreichbarer denn je. | |
| Und wieder hilft ihr jemand, den sie nicht kennt, jemand aus Russland. Im | |
| Januar 2024 erhält sie eine Nachricht auf Instagram. Darin steht eine | |
| deutsche Mobilnummer. Das sei die Nummer ihrer Tochter. Und: „Sie ist in | |
| Berlin“. | |
| Die Person erzählt Valeriia O. noch ein paar weitere Details über ihre | |
| Tochter. „Ich war so erleichtert, als ich das gehört habe“, sagt Valeriia | |
| O. im März 2024. „Deutschland ist der Westen, Deutschland ist Zivilisation. | |
| Ich dachte, jetzt wird es schnell gehen, dass ich mein Kind bekomme“. | |
| Valeriia O. spricht kein Deutsch, aber die ukrainische Zivilgesellschaft | |
| ist weltweit vernetzt. Über ihre Kontakte findet sie einen Verein für | |
| Frauen und Mädchen in Berlin, „MigrantInnen in Marzahn“. Sie schreibt eine | |
| Mail, ohne Anrede, ohne Grüße. Sachlich und chronologisch erzählt sie, was | |
| passiert ist. Sie fügt ihre Dokumente an. Sie schreibt: „Ich ergreife jetzt | |
| Maßnahmen, um meine Tochter nach Hause zurückzubringen, und nutze dabei | |
| alle rechtlichen Möglichkeiten“. | |
| Tetiana Goncharuk liest diese Mail. Goncharuk, braune Locken, Brille, | |
| stammt selbst aus der Ukraine und hat den freundlich-skeptischen Blick | |
| einer Menschenrechtsexpertin, die nicht verzweifelt, an dem was sie tut. | |
| Sie leitet den Frauentreff bei „MigrantInnen in Marzahn“. Sie hat schon | |
| viele grausame Geschichten gehört – Kriegstraumata, häusliche Gewalt, | |
| gefährliche Ehemänner. Auch mit Kindesentführungen hatte sie zu tun. Aber | |
| der Fall von Valeriia O. ist besonders. „Weil er so viele Fragen berührt“, | |
| erzählt Goncharuk im Mai 2024. „Weil er ohne den Krieg nicht denkbar wäre, | |
| weil hier so viele Behörden beteiligt waren und Valeriia so viel Unrecht | |
| passiert ist.“ | |
| ## Am richtigen Ort | |
| Im Januar 2024 treffen sich die beiden Frauen das erste Mal in Berlin. | |
| Valeriia O. erstattet Anzeige bei der Polizei in Berlin. „Verdacht | |
| Kindesentziehung“, steht auf dem Papier, Datum: 30. 1. 2024. | |
| Aber dieses Mal will sich Valeriia O. nicht mehr allein auf die Polizei | |
| verlassen. Sie und Tetiana Goncharuk binden sich Kopftücher um, damit O.s | |
| Ex-Freund sie nicht erkennt, sollten sie ihm begegnen. Mit einem Bild der | |
| Tochter laufen die beiden Frauen die Berliner Flüchtlingsunterkünfte ab. | |
| Sie sprechen mit Bewohner:innen, Kindern, Sicherheitsleuten. Niemand hat | |
| das Mädchen gesehen. | |
| Wenige Tage später erhält Tetiana Goncharuk einen Anruf von der Polizei: | |
| Das Mädchen lebe mit seinem Vater in Hamm. Später soll es in Bochum sein, | |
| dann in Köln, dann in Radevormwald, einer Kleinstadt bei Wuppertal. | |
| Valeriia O. reist dorthin und geht direkt ins Jugendamt. Die vier Menschen, | |
| die dort arbeiten, dürfen ihr nicht sagen, wo ihre Tochter lebt. | |
| Datenschutz. Aber sie sagen, sie sei hier richtig. Sie fühlt sich ernst | |
| genommen, sie schöpft Hoffnung, sagt sie im Frühjahr 2024 in Berlin. | |
| Tetiana Goncharuk organisiert ein Zimmer für Valeriia O. bei Bekannten in | |
| Bonn. Von dort aus braucht O. gut zwei Stunden mit dem Zug nach | |
| Radevormwald. Das Haus, in das sie im Februar 2024 einzieht, steht am Ende | |
| einer Straße, es ist bunt angemalt. Innen ist es hell, viel Holz, an den | |
| Wänden hängen Bilder und Fotos. Im Mai 2024 blüht vor dem Haus ein wilder | |
| Garten. | |
| Valeriia O. lebt hier inzwischen seit drei Monaten. In einem Zimmer im | |
| ersten Stock. Die Wände sind leer, auf dem Bett liegt ihr Laptop, das ist | |
| ihr Büro. Sie schiebt gerade zwei neue Projekte an. In den Städten an der | |
| Front fehlen Seife und Shampoo. „Ich starte meinen Tag mit Arbeit, und ich | |
| beende ihn mit Arbeit“, sagt sie. Sie schreibt Mails an das Jugendamt und | |
| andere Behörden. Sie lässt sie im Internet vom Ukrainischen ins Deutsche | |
| übersetzen und wieder zurück. Valeriia O. will keine Fehler machen. | |
| Sie nimmt sich eine Berliner Anwältin. Mit ihrer Hilfe will sie sich | |
| endlich ihre Tochter zurückholen. Die beiden Frauen planen, am Amtsgericht | |
| Köln zu klagen. Das ist zuständig für das internationale Abkommen bei | |
| Kindesentführungen. Doch dafür braucht Valeriia O. Geld. Sie beantragt | |
| Verfahrenskostenhilfe. Und erleidet den nächsten Rückschlag. Das | |
| Amtsgericht lehnt ab. Die nächste Instanz, das Oberlandesgericht, | |
| ebenfalls. Begründung: In der Ukraine herrscht Krieg. Es sei dem Kind nicht | |
| zuzumuten, mit seiner Mutter nach Hause zurückzukehren. | |
| Valeriia O. hat sich auf solche Argumente vorbereitet. Sie will mit ihrem | |
| Kind nach Poltawa ziehen, in die Zentralukraine, weit weg von der Front. | |
| Doch am Oberlandesgericht haben sie die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes | |
| gelesen und die Nachrichten. In ihrem Beschluss zählen die Richter:innen | |
| auf, wie russische Drohnenteile in Poltawa eine Stromleitungen zerstört | |
| haben, wie nach einer Attacke eine Raffinerie brennt, im August 2023 | |
| sterben drei Menschen. Am Gericht befürchten sie, „dass im Fall einer | |
| Rückführung bezogen auf das Gebiet Poltawa gerade im Hinblick auf die dort | |
| häufigen Luftangriffe für das betroffene Kind die schwerwiegende Gefahr | |
| eines körperlichen und seelischen Schadens besteht.“ | |
| Es ist nicht das erste Mal, dass ein deutsches Gericht ein ukrainisches | |
| Kind nicht zurück in die Ukraine fahren lässt. Rund 450 Verfahren nach dem | |
| Haager Kindesentführungsübereinkommen Abkommen laufen jährlich vor | |
| deutschen Gerichten, die meisten behandeln Fälle aus der Türkei und Polen. | |
| Aber seit Kriegsbeginn ist auch die Ukraine ein Thema. Die | |
| Oberlandesgerichte in Hamm und Stuttgart haben ähnlich geurteilt, wie das | |
| Gericht im Fall von Valeriia O.: Es entspricht nicht dem Kindeswohl, wenn | |
| ein Kind in ein Kriegsgebiet zurückgebracht wird. | |
| Klingt logisch, aber diese Aussage ist nicht ganz ehrlich. Wenn es darum | |
| geht, Abschiebungen, auch von Kindern, zu ermöglichen, dann diskutiert man | |
| in Deutschland und der Europäischen Union immer wieder, ob manche Gebiete | |
| in gefährlichen Ländern wie Syrien nicht doch sicherer sind als andere. Und | |
| selbst das Oberlandesgericht Köln urteilte bereits einmal, manche Gegenden | |
| in der Ukraine seien sicher genug für ein Kind – und schickte ein Kind | |
| zurück zu seinem Vater in die Ukraine, nachdem die Mutter es entführt | |
| hatte. | |
| ## Kämpfen mit deutschem Recht | |
| Valeriia O. kämpft mit diesen Misserfolgen. Dass sie keine | |
| Verfahrenskostenhilfe vom Gericht bekommt, sehen sie und ihre Anwältin als | |
| klaren Hinweis: Sie haben keine Chance, dieses Verfahren nach dem Haager | |
| Abkommen zu gewinnen. Also lässt sich O. etwas Neues einfallen. Wieder | |
| einmal. Sie zieht ihre Klage in Köln zurück. Sie meldet sich in Deutschland | |
| als Geflüchtete an. Sie reicht eine neue Klage ein – vor dem kleinen | |
| Amtsgericht Wipperfürth. Das ist für die Stadt zuständig, in der ihre | |
| Tochter nun lebt. | |
| Valeriia O. kämpft nun nicht mehr vor dem Hintergrund des russischen | |
| Krieges und mithilfe eines internationalen Abkommens. Sie kämpft als eine | |
| nach Deutschland geflüchtete Frau mit deutschem Recht um ihre Tochter. | |
| Doch auch aus diesem Verfahren lässt sich der Krieg kaum heraushalten. Die | |
| Anwältinnen von Mutter und Vater schicken Schriftsätze hin und her. Die | |
| Anwältin von Valeriia O. wirft dem Vater vor, das Kind in das „Land des | |
| Aggressors“ entführt zu haben. Die Anwältin von O.s Ex-Freund antwortet, | |
| der Vater habe das Kind vor dem Krieg schützen wollen. In ihrem Schreiben | |
| rechnet sie Tokmak, die Stadt, in der O. und ihre Tochter bis zum | |
| russischen Angriff zusammen gewohnt haben, der Russischen Föderation zu. | |
| Das ist die Sicht der Regierung in Moskau. | |
| Dann scheint es für Valeriia O. endlich besser zu laufen. Das Jugendamt | |
| nimmt dem Vater das Mädchen weg und gibt es in eine deutsche Pflegefamilie. | |
| Eine solche Inobhutnahme können die Ämter veranlassen, wenn es Hinweise auf | |
| eine Gefährdung des Kindeswohls gibt. Das vermindert die Gefahr, dass O.s | |
| Ex-Freund sich mit seiner Tochter in ein neues Land absetzt. Und noch etwas | |
| veranlasst das Jugendamt: Valeriia O. darf ihr Kind zum ersten Mal sehen. | |
| Nach zwei Jahren. | |
| Aber selbst dieser Moment ist nicht ungetrübt. Das Jugendamt gestattet der | |
| Mutter nur den begleiteten Umgang mit ihrer Tochter, das bedeutet, sie muss | |
| das Mädchen unter der Aufsicht von Sozialpädagogen und einem Dolmetscher | |
| treffen, der jedes Wort übersetzt. Begleiteten Umgang ordnen die | |
| Jugendämter sonst eigentlich nur an, wenn es schwerwiegende Probleme gibt: | |
| drogenabhängige Eltern, zum Beispiel, Missbrauch, sexualisierte Gewalt. | |
| Valeriia O. hat sich nichts davon zu schulden kommen lassen. Aber es macht | |
| ihr erst einmal nichts aus. „Ich habe verstanden, dass es für das Jugendamt | |
| eine schwierige Situation war – eine internationale Kindesentführung, oh | |
| mein Gott!“, erzählt sie im März 2024 in Berlin. | |
| Ihr erstes Treffen mit ihrer Tochter ist da gerade einmal wenige Tage her. | |
| Für sie zählt der Erfolg: Sie ist ihrem Kind so nahe wie lange nicht mehr. | |
| Vielleicht läuft es mit der neuen Strategie auch vor Gericht gut für sie. | |
| Alles scheint möglich. | |
| Doch dann gibt das Jugendamt dem Vater das Kind zurück. | |
| Die Mutter erfährt das nicht vom Jugendamt in Radevormwald. Sie erfährt es | |
| nicht einmal aus Deutschland. Sie erfährt es, während sie per Videostream | |
| einem Gerichtsprozess in der Ukraine zuschaut. Knapp ein Jahr nachdem das | |
| Bezirksgericht Saporischschja Valeriia O. das Sorgerecht für ihr Kind | |
| zugesprochen hat, klagt ihr Ex-Freund dagegen. Und in dieser Verhandlung | |
| sagt der Anwalt des Vaters den entscheidenden Satz: Das Jugendamt in | |
| Radevormwald hat dem Vater die Tochter zurückgegeben. | |
| „Wie kann das sein?“, schreibt sie Tetiana Goncharuk in einer SMS. „Lera, | |
| das ist schrecklich“, antwortet die. Valeriia O. versteht die Entscheidung | |
| nicht. Sie versteht nicht, warum sie davon aus der Ukraine erfährt. | |
| Sie habe große Angst, dass ihr Ex-Freund sich wieder absetzt, sagt Valeriia | |
| O. nach dieser Verhandlung. Angst, dass er ihr Kind in eine andere Stadt | |
| mitnimmt, in ein anderes Land vielleicht, und für sie alles wieder von vorn | |
| losgeht. | |
| Das Jugendamt schreibt ihr später, der Kindsvater habe das Kind in der | |
| Stadt angemeldet, es gehe dort zur Schule. Die Pässe des Vaters und Kindes | |
| seien sichergestellt. „Somit ist aus hiesiger Sicht eine Ausreise nicht zu | |
| erwarten.“ | |
| ## Keine Hoffnung auf Menschlichkeit und Empathie | |
| Ihre Anwältin reicht eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter des | |
| Jugendamts beim Bürgermeister ein. Sie beklagt eine „erhebliche Ignoranz | |
| und Gleichgültigkeit“. Tetiana Goncharuk, die Menschenrechtlerin aus | |
| Berlin, schreibt an das Jugendamt und die Stadtverwaltung, die Rückgabe des | |
| Kindes habe dessen Entführung „legalisiert, normalisiert und belohnt“. Der | |
| Amtsleiter will sich zu solchen Vorwürfen nicht äußern. Er dürfe es nicht, | |
| aus Gründen des Datenschutzes. | |
| Valeriia O. sieht ihr Kind weiterhin einmal in der Woche, immer noch unter | |
| Aufsicht. Knapp zwei Stunden ist sie zu diesen Treffen mit der Bahn | |
| unterwegs. Sie fädelt mit ihrer Tochter Perlen und Papierrosen auf einen | |
| Haarreif. Die beiden kleben sich Glitzersteinchen ins Gesicht. Fotos zeigen | |
| sie Arm in Arm, sie lachen, küssen sich. Einmal fährt O. zum verabredeten | |
| Termin, aber ihre Tochter ist nicht da. Es gab wohl ein Missverständnis bei | |
| der Planung. | |
| „Ich kann nicht erklären, wie ich fühle“, schreibt sie danach in einer SM… | |
| „Ich suche seit zwei Jahren nach meiner Tochter, ich habe mein Leben | |
| riskiert, als ich nach Russland geflogen bin. Ich bin nach Deutschland | |
| gekommen, habe mein Leben geändert. Und die können nicht mal in den | |
| Kalender gucken und machen so dumme Fehler? Ich habe meine Hoffnung auf | |
| Professionalität verloren. Aber Hoffnung auf Menschlichkeit und Empathie | |
| habe ich auch nicht mehr.“ | |
| An dem grauen Morgen Mitte Mai, an dem sich also endlich entscheiden wird, | |
| ob Valeriia O. ihr Kind bekommt, sitzt sie still vor einem Teller Rührei in | |
| der Lobby ihres Hotels in Wipperfürth. Geschlafen hat sie nicht, sagt sie, | |
| „keine Minute“. Sie fühle sich wie an dem Tag, als sie nach Russland | |
| geflogen ist. „Andere Leute entscheiden über mich und mein Leben. Das fühlt | |
| sich nicht gut an“, sagt sie. Sie könne nicht mehr glauben, dass sie ihre | |
| Tochter zurückbekommt. | |
| Dann geht sie los, ihre Anwältin und Tetiana Goncharuk begleiten sie. | |
| Zum Prozess kommen mehr Menschen als sonst üblich. Drei Mitarbeiter aus dem | |
| Jugendamt sind da. Ein Übersetzer. Jemand vom ukrainischen Konsulat. Der | |
| Krieg lässt sich nicht heraushalten. Nur Presse ist im Gerichtssaal nicht | |
| erlaubt. Familienrechtsverfahren sind nicht öffentlich. | |
| Was passiert, lässt sich trotzdem rekonstruieren, wenn man vor dem Saal | |
| sitzen bleibt und mit genügend Menschen redet. | |
| Valeriia O.s Tochter sagt ganz am Anfang aus, nur kurz. Ihr | |
| Verfahrensbeistand, ihr Anwalt, ist bei ihr. Er wird in dem Saal bleiben, | |
| den das Mädchen nach kurzer Zeit wieder verlässt. Mitarbeiter des | |
| Jugendamtes und Justizbeamte bringen sie in einen sicheren Raum im Gericht. | |
| Der Verfahrensbeistand hat in den Wochen vor dem Verfahren sowohl das Kind | |
| getroffen als auch die beiden Eltern. Er hat sich ein Bild von dem Mädchen | |
| gemacht. Sein Bericht umfasst 25 Seiten – viel für einen Sorgerechtsstreit. | |
| Er beschreibt das Kind von Valeriia O. und ihrem Ex-Freund als offen aber | |
| stark verunsichert. Die Interaktionen zwischen Mutter und Tochter nennt er | |
| liebevolle Begegnungen. Der Vater hingegen, habe ein „Regime zwischen | |
| Gehorsam und Verwöhnung“ aufgebaut. Er kommt zu dem Schluss, dass das Kind | |
| „umgehend und schnellstmöglich“ zu seiner Mutter wechseln sollte. Dieser | |
| Bericht wird wichtig sein für diesen Richter, für diesen Prozess. | |
| Drei Stunden dauert die Verhandlung. Als sich die Tür öffnet, kommt die | |
| Anwältin von Valeriia O. als Erstes heraus. Sie lächelt. Der Richter hat | |
| ihrer Mandantin das Sorgerecht zugesprochen. Sie bekommt ihr Kind. Sofort. | |
| Der Vater darf die Tochter regelmäßig sehen. Zunächst unter Aufsicht, | |
| später dann unbegleitet. Valeriia O. hat dem zugestimmt. Im Gegenzug wird | |
| ihr Kind Deutschland für ein Jahr nicht verlassen dürfen. Das war die | |
| Bedingung des Vaters. | |
| Als Valeriia O. aus dem Gerichtssaal kommt, umklammert sie noch immer ihren | |
| Hefter mit den Dokumenten. Tränen steigen ihr in die Augen, sie versucht zu | |
| sprechen, aber ihre Stimme bricht. | |
| Wenige Minuten später kommt ihre Tochter. Valeriia O. wischt sich die | |
| Tränen aus dem Gesicht. „Coucou“, ruft sie dem Mädchen zu. Das Kind lacht, | |
| läuft schneller, rennt und springt der Mutter in der Arme. | |
| Der Verfahrensbeistand nimmt das Mädchen noch ein letztes Mal an die Hand | |
| und führt es nach draußen. Vor dem Gericht steht der Vater. Er hebt das | |
| Mädchen vor sein Gesicht, die beiden reden kurz miteinander. Dann lässt er | |
| sie hinunter, sie rennt zurück zu ihrer Mutter. | |
| Hand in Hand laufen Mutter und Tochter zurück zu dem Hotel, in dem Valeriia | |
| O. in der letzten Nacht geschlafen hat. Sie holen ihren Koffer und steigen | |
| in ein Taxi. | |
| Ein letztes Telefonat mit Valeriia O., drei Wochen nach der Entscheidung am | |
| Amtsgericht Wipperfürth. Wie geht es ihr jetzt? Gut, sagt sie. Sie fühle | |
| sich endlich sicher, denn – Valeriia O. stockt. Sie atmet tief ein. Sie hat | |
| Deutschland verlassen, sagt sie. Und: „Ich konnte nicht riskieren, mein | |
| Kind wieder zu verlieren.“ Sie habe Angst gehabt, dass der Vater das Kind | |
| wieder kidnappen könnte, weil er für die Entführung nicht bestraft worden | |
| sei. | |
| Valeriia O. lebt mit ihrer Tochter nun wieder in der Ukraine. | |
| 28 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
| Daniel Schulz | |
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