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# taz.de -- Grönemeyer, eine Schule, eine Stadt: Herbert, Bochum und ich
> Herbert Grönemeyer feiert das 40-jährige Jubiläum seines Albums „4630
> Bochum“. Unser Autor hätte als Schüler fast dazu getanzt. Doch es kam
> anders.
Bild: Dreht sich seit 40 Jahren: Grönemeyers Album „4630 Bochum“
Wahrscheinlich hätten wir das auch gehört. Und versucht, dazu zu tanzen.
Mitzusingen. Wir hatten schließlich was zu feiern vor 40 Jahren. Gerade
hatten wir die Abiturprüfungen hinter uns am altehrwürdigen Gymnasium am
Ostring. Und gerade hatte einer, der ein paar Jahre zuvor an der gleichen
Schule war, seine neue Platte rausgebracht: „4630 Bochum“, benannt nach der
Postleitzahl der Stadt, in der er und ich groß geworden sind. Aber wir
haben im Sommer 1984 nicht getanzt, nicht mitgesungen, jedenfalls nicht auf
der Abifeier. Denn die fiel aus. Abgesagt vom genervten Rektor unserer ach
so humanistischen Schule. Aber dazu später mehr.
Das 40-jährige Jubiläum des Albums, mit dem Herbert Grönemeyer der
Durchbruch gelang, feiert er gerade [1][mit einer luxuriösen Neuauflage].
Mit einer Reihe von Konzerten, allein vier davon im ausverkauften Bochumer
Ruhrstadion. Und mit Neuaufnahmen seiner Hits von damals.
[2][„Männer“], diesen Lobgesang auf den nicht ganz so männlichen Mann, gi…
es jetzt in [3][einer Technoversion von Dilla].
[4][„Flugzeuge im Bauch“], die wohl poetischste Frustabrechnung mit einer
scheiternden Beziehung, [5][singt Grönemeyer im Duett mit der 23-jährigen
Rapperin Celine Dorka], die [6][„eine sehr schöne Stimme“ habe]. Und den
[7][Antisaufklassiker „Alkohol“ gibt es in einer angerappten Version] von
Chapo102.
Es sind, böse gesagt, Anbiederungen an den musikalischen Zeitgeist. Eher
flacher noch, als man die Originale im Ohr hat. Aber wenn man das alte
Album auf den Plattenteller legt, erkennt man schnell: Das waren die
Ursprungversionen ja auch. Da springt einem der Sound der 80er in die
Ohren. Saxophone quäken dudelnd vor sich hin, wie man das auch von
Supertramp kannte. Dazu Keyboardsounds, wie sie 1984 in jedem guten Studio
Standard waren. Die Musik war beim Phänomen Grönemeyer wohl nie das
Ausschlaggebende. Der Text war seine Party – auch wenn man das so [8][erst
rund fünf Jahre später formuliert hätte], zu Beginn der [9][gerade
ebenfalls viel diskutierten Hamburger Schule], in klarer Abgrenzung
allerdings zu Lyrik à la Grönemeyer.
## Warmluftfetischist dank Staubsauger
Egal. Der alte weiße Mann jedenfalls hat ausgesprochen gute Laune.
Grönemeyer geistert durch die zeitgemäßen Social-Media-Kanäle, erzählt in
kurzen Videoschnipseln Dönekes von damals, immer mit angemesssenem Anflug
von Selbstironie. Etwa, dass er nicht im Kindergarten war, [10][weil er
schon am ersten Tag festgestellt habe, „die sind alle bekloppt da“], und
stattdessen immer hinter dem warmen Gebläse aus Mutters Staubsauger
herkrabbelte. Dass er seither ein Warmluftfetischist sei und am besten
Songs schreiben könne, wenn er einen Föhn auf seine Kopf richte.
So habe er damals zum Beispiel den Text für „Mambo“ geschrieben, diese
Hymne auf die verzweifelt, verliebten Autofahrer auf Parkplatzsuche. Einen
der fünf Singlehits aus dem Album, den es nun ebenfalls [11][in einer
Neufassung gibt. Im Duett mit Jeremias]. „Sehr lässig, sehr cool“ sei die,
[12][freut sich Herbert]. Der dickbebrillte ältere Herr ist sichtlich im
Reinen mit sich selbst.
Damals war der Erfolg von Grönemeyer im Allgemeinen, von „Bochum“ im
Speziellen, eine große Überraschung. Vier Alben hatte er zuvor schon
rausgebracht. Bekannt war Herbert Grönemeyer aber bis dahin nur durch seine
Rolle in dem Zweiter-Weltkiegs-Drama „Das Boot“. Schauspiel und Theater,
das war bis dahin nicht das zweite, sondern eher das erste Bein des junges
Mannes.
Grönemeyer war zu Beginn der 80er Jahre Pianist und musikalischer Leiter
des Schauspielhaus Bochum, unter den Intendanten Peter Zadek und dann Claus
Peymann eine der damals führenden Bühnen des Landes. Ein Eckpfeiler auch
des intellektuellen Lebens, das sich mit der Neugründung der Ruhr
Universität seit Mitte der 60er Jahre in der einst von Kohle und Stahl
geprägten Stadt angesiedelt hatte.
„Du hast 'nen Pulsschlag aus Stahl, man hört ihn laut in der Nacht“, singt
Grönemeyer bis heute in seiner Hymne auf die Stadt, die auch dem Album
damals seinen Namen gab. Der Herbert darf das. Sein Vater war
Bergbauingenieur. Aber die Zeit als das Grubengold, die Stadt wieder
hochgeholt hatte, war Mitte der 1980er schon lange vorbei in Bochum. Und
auch die große Ära [13][des Stahlwerks Bochum]. „Zeche“ hieß schon damals
nur ein [14][bis heute existierender Konzertschuppen], in dem natürlich
[15][auch Grönemeyer aufgetreten ist]. Arbeiterstadt war Bochum vor allem
durch die drei großen Opel-Werke, die mittlerweile aber auch [16][schon
lange wieder Geschichte sind].
## Kaffeebecher mit der Aufschrift „Ruhrpott“
Tief im Westen verstaubt die Sonne schon seit Jahrzehnten nicht mehr.
Kohle, Stahl und Opel gehören nur zur Folklore der Stadt. Schwarze
Kaffeebecher mit der Aufschrift „Ruhrpott“ gibt es in jedem Andenkenshop.
Aber da sich kaum ein Tourist hierher verirrt, werden sie wohl in erster
Linie von Bochumer:innen gekauft. Lokale Sentimentalitäten.
Der akademische Zirkel der Stadt dürfte Bochum aktuell mehr prägen als die
rußgeschwängerte Vergangenheit. Er reicht von der vor fast 60 Jahren
eröffneten Uni auf den Ruhrhöhen im Süden über das Schauspielhaus bis ins
viel besuchte Ausgehviertel „Bermudadreieck“, das sich rund um [17][die
einstige Studentenkneipe Mandragora gebildet hat. In der trat damals nicht
nur Herbert Grönemeyer auf. Sie darf sich wohl auch zu Recht dafür rühmen,
dem Konzept Außengastronmie, also Tische und Stühle draußen vor dem Laden,
mindestens im Ruhrgebiet], vielleicht aber sogar deutschlandweit zum
Durchbruch verholfen zu haben.
Und eben bis zum Gymnasium am Ostring.
Das einst [18][staatliche Gymnasium am Rand der Bochumer Innenstadt] war
ein Ort zur Pflege von Ständegesellschaft – auch wenn mir das erst im
Rückblick klar wurde. In die „a“ eines jeden Jahrgangs durften die Kinder
der Uniprofessoren, von Anwälten und vergleichbaren Stadthonoratioren.
[19][Mein Vater] gehörte damals nur zum akademischen Mittelbau der Uni,
folglich landete ich in der „Sexta b“. In die „c“ kam der ganze Rest. U…
in die „d“ wurden diejenigen abgeschoben, die aufgenommen werden mussten,
weil sie im Einzugsgebiet der Schule wohnten, aber – welch Frevel – statt
Latein als erste Fremdsprache Englisch lernen wollten.
## Kopfnüsse und „Guernica“
Das Lehrerkollegium bestand aus einer breitgefächerten Mischung. Einerseits
die alten Haudegen unter den Lateinlehrern, die gern mal von den alten
Zeiten schwärmten und sich empörten, dass sie nie wieder jemandem von uns
Schüler:innen die Hand reichen würden, als ein paar Eltern sich über die
Kopfnüsse beschwert hatten, die im Unterricht verteilt wurden. Und
andererseits die erste Generation der damals noch sehr jungen Ex-68er, die
uns in Projektwochen [20][„Guernica“ von Picasso] an eine Wand auf dem
Schulhof pinseln ließ.
Anfang der 80er Jahre gab es immer wieder mal Diskussionen, ob sich die
Schule nicht mal einen ordentlichen Namen geben sollte. Gymnasium am
Ostring, das klang einfach nach nichts. Aber die Idee, das Haus nach einem
prominenten Ex-Schüler zu benennen, wurde bald fallen gelassen. Grönemeyer
war damals ja noch nicht in aller Munde. Zwar gab es mit [21][Manfred Eigen
einen echten Nobelpreisträger], er war 1967 für seine Arbeiten zur
Geschwindigkeitsmessung von schnellen chemischen Reaktionen ausgezeichnet
worden. Doch Eigen-Gymnasium, das klang ja noch seltsamer als Gymnasium am
Ostring.
## Bert Brecht und der gefakte Hitler
Eines Tages aber, wenn die Erinnerung nicht trügt im Jahr 1982, stand
„Bert-Brecht-Schule“ in fetten Lettern über der Eingangstür. Und auch die
Lokalausgabe der WAZ berichtete über die Neubenennung – unter Berufung auf
eine Pressemitteilung, in der es unter anderem hieß, dass die Schule einst
auch mal nach Adolf Hitler benannt gewesen sei. Letzteres war vollkommener
Unsinn. Und auch die Pressemitteilung sah echter aus, als sie war. Die
Aktion wurde damals als Abistreich verbucht, auch wenn wohl eher die
umtriebige Theater-AG dahintergesteckt haben könnte. Jedenfalls wurde eine
Delegation von Schüler:innen wegen der tollen Initiative ins
Brecht-freundliche Schauspielhaus eingeladen.
So zumindest ist es in meiner Erinnerung abgespeichert. Ob es ganz genau so
war? Und ob Grönemeyer, der Ostring-Abiturient von 1975 und
Theater-Mitarbeiter 1982, damit irgendwas zu tun haben könnte? Das bleibt
reine Spekulation.
Sicher ist nur: Hans-Werner Schmidt, der langjährige Direktor des
Gymnasiums, war spätestens von da an nicht gut zu sprechen auf aufmüpfige
Schüler:innen. Unseren Jahrgang hatte er ganz besonders auf dem Kieker,
weil wir der erste waren, in dem zur Schande der Schule mangels Interesse
kein Leistungskurs Latein zustande kam.
Nachdem aus mir nicht mehr erinnerlichen Gründen von der Schulleitung auch
unsere Italien-Abifahrt abgesagt wurde, stieg eines Nachts nach den letzten
Prüfungen eine Truppe in die Pausenhalle ein. Die Jalousie des
Hausmeisterkiosks wurde mit einer spratzigen Tomate besprayt, inspiriert
von dem damals aktuellen [22][Trashfilm „Angriff der Killertomaten“]. Und
auf den Boden wurde eine überdimensionale Postkarte gepinselt, adressiert
an „alle Leidenden“ der Schule.
Prompt cancelte Schmidt sämtliche Abifeiern. Die Zeugnisse durften wir
irgendwo abholen, ohne Zeremoniell. Und tanzen zu Grönemeyer konnten wir
folglich auch nicht. Nicht zu „Männer“. Nicht zu „Alkohol“. Und auch n…
zu „Mambo“.
Der Name der Schule blieb bis zu ihrem Ende unantastbar. Vor allem weil das
Wort „Gymasium“ drin vorkam. Man wollte ja nicht irgendeine Schule sein.
Sie wurde 2010 nach langer Debatte geschlossen und an anderer Stelle mit
einer weiteren Schule unter dem noch nichtsagenderen Namen [23][„Neues
Gymnasium“] vereint.
Der Schulbau am Ostring wurde später abgerissen. Nur die Straßenfassade des
Altbaus am Ostring durfte stehen bleiben. Hinter ihr befindet sich heute
das Justizzentrum der Stadt. Vor Ort erinnert heute nichts mehr an die
150-jährige Geschichte als Lehranstalt. Zwar gibt es am Straßenschild an
der Ecke einen Hinweis auf die Historie. Aber sie erzählt nur von Moritz
Fiege, der die wichtigste Brauerei der Stadt grgündet hatte, und deren
Brauhaus gleich hinter dem Gymnasium stand.
## Eine viel zu oft gespielte Lokalhymne
Nur Grönemeyers Stadthymne begleitet mich bis heute. „Bochuum, ich komm aus
dir …“, erklingt immer, wenn irgendwo in der Stadt was gefeiert wird. Als
Mensch, der die Stadt vor Jahrzehnten verlassen hat, nimmt man es mit einer
Mischung aus Ironie: Herbert, Bochum, ääh, Glück auf. Wenn einem alle
Formen von Patriotismus suspekt sind, kann man an einer viel zu oft
gespielten Lokalhymne auch nur leiden.
Nur wenn der VfL mal wieder mit nem Doppelpass jeden Gegner nass macht, so
wie kürzlich, als er im Relegationsspiel gegen Fortuna – „wer wohnt schon
in“ – Düsseldorf den fast schon sicheren Abstieg in die zweite Liga noch
verhindern konnte, dann denkt man in einem Anflug von lokaler
Sentimentailtät an den alten Song.
Zu meiner Überraschung fand ich das Album „4630 Bochum“ in meinem
Plattenschrank. Keine Ahnung, wie es da hingekommen ist. Ich hätte
gewettet, dass es damals allenfalls mein großer Bruder hatte.
Im Herbst wollen meine Mitschüler:innen „40 Jahre Abi“ feiern.
Wahrscheinlich wird irgendwer den Song auflegen.
(geschrieben im Zug nach Bochum)
7 Jun 2024
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/p/C76P9sisjGI/
[2] https://youtu.be/UEJNMkEr1Ls?si=JG9e6n14orNRBBGH
[3] https://youtu.be/zt4dk7UepLw?si=gWmCIygYwkD51FZb
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[8] https://youtu.be/nJpLUKf-xh0?si=FZYcPynYXE2zZHX0
[9] /Historisierung-der-Hamburger-Schule/!6015437
[10] https://www.instagram.com/p/C7oPOOSstdz/
[11] https://youtu.be/47qR8PBM4qA?si=bHv6To_ITfMSVlTU
[12] https://www.instagram.com/p/C7jhkE2MCxl/
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Stahlwerke_Bochum
[14] https://zeche.net/
[15] https://www.rockpalastarchiv.de/concert/groenemeyer.html
[16] /Bochum-nach-dem-Ende-des-Opelwerks/!5360016
[17] https://www.waz.de/staedte/bochum/article10721841/bermuda-dreieck-koenig-l…
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Gymnasium_am_Ostring
[19] https://gereonasmuth.de/papa-weisst-du-trauerrede-fuer-meinen-vater-bernha…
[20] /!1488653/
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Eigen
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Angriff_der_Killertomaten
[23] https://www.neues-gymnasium-bochum.de
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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