# taz.de -- Jubel nach dem türkischen Sieg: Auto, Korso und Exzess | |
> Wieder mal feierten Fans der türkischen Mannschaft den Sieg gegen | |
> Georgien hupend im Auto. Über ein vermeintlich anatolisches Kulturgut. | |
Bild: Fans der türkischen Fußballnationalmannschaft feiern den Sieg ihrer Man… | |
München taz | In vielen Großstädten im Ruhrpott, aber auch in Berlin brach | |
nach dem 3:1-Sieg der Türken gegen Georgien die Hölle los. Man feierte | |
ausgelassen – oft im Auto. Der Autokorso ist das Mittel der Wahl, wenn | |
Erfolge der türkischen Nationalmannschaft festlich zu begehen sind. So war | |
nicht nur die Dortmunder Innenstadt fast komplett verstopft, auch der | |
Berliner Ku’damm befand sich in der Hand türkischer Fans, die Fahnen | |
schwenkten, ohne Unterlass hupten und bisweilen auch Rauchtöpfe zündeten. | |
Überall, wo die türkische Community stark ist, kennt man den Autokorso. Mal | |
ist er kleiner, wie bei einer Hochzeit in Kreuzberg oder Schöneberg, mal | |
ist er größer wie im Jahr 2000, als Galatasaray Istanbul zum ersten Mal den | |
Fußball-Uefa-Cup gegen den FC Arsenal gewann. Am Kottbuser Tor ging | |
seinerzeit nichts mehr. | |
Damals staunte die Berliner Presse noch über das Ausmaß des | |
Auspuff-Aktivismus, mittlerweile gehört der Korso zum Standard, und die | |
Migrationsforscherin Gülistan Gürbey erklärte in der FAZ einmal, warum er | |
so beliebt ist: „So ein Korso ist eine spektakuläre Aktion, die | |
Aufmerksamkeit erzeugt und zugleich Spaß macht. Das lenkt das Augenmerk mit | |
aller Energie auf die besondere Situation“, sagte sie. Sie wandte sich zwar | |
gegen den Autokorso-Exzess, also die mittlerweile durchaus übliche Blockade | |
von Autobahnen, warb aber um Verständnis, indem sie auf den Ursprung des | |
automobilen Zusammenseins verwies. | |
In Anatolien sei es vor Erfindung des Viertakters üblich gewesen, dass die | |
Braut vom Elternhaus abgeholt und auf einem Pferd durchs Dorf geführt | |
worden sei. Der enge Kreis der Angehörigen lief hinterher. Zu dem Brauch | |
gehörte wohl auch, dass das Pferd immer wieder gestoppt wurde, nach dem | |
Motto: „Ich blockiere den Weg, bis ich ein Geschenk von dir kriege. Dieser | |
Brauch hat sich infolge der Modernisierung und Verstädterung in die heutige | |
Form transformiert.“ Es ist freilich heutzutage nicht mehr ratsam, das | |
nicht selten 200-PS-starke Automobil zu stoppen, in Erwartung einer milden | |
Gabe. | |
## Posen im Taumel | |
Die Zeiten haben sich geändert, und das Feiern in den eigenen vier Blechen | |
ist beides: eine Agglomeration zum Zwecke des Posens (Schaut her und | |
überseht dabei bitte nicht meinen Mercedes SLK!) und des nationalen | |
Taumels. Dort, wo der Verkehr eigentlich fließen soll, geht nunmehr wenig. | |
Der nun positiv konnotierte Stau ist gewollt, ja Voraussetzung für den | |
Autowurm, der auch so schnell kriecht wie selbiger. Der Autokorso ist, wie | |
bereits angedeutet, multipel nutzbar. Man findet sich nach Sportevents | |
zusammen, nach Familienfeiern – oder wenn Recep Tayyip Erdoğan einen | |
Wahlsieg errungen hat. | |
Das hat vor einiger Zeit den Grünen-Politiker Cem Özdemir geärgert, der | |
diese Variante des Autokorsos so super fand wie die Autokorrektur: „Sie | |
(also die politisierten Korsos) [1][sind eine nicht zu überhörende Absage | |
an unsere pluralistische Demokratie] und Zeugnis unseres Scheiterns unter | |
ihnen. Übersehen geht nicht mehr“, schrieb er in den sozialen Medien. | |
[2][Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken, die zur Wahl gegangen | |
waren, hatten für Erdoğan gestimmt], was Özdemir auf den Magen geschlagen | |
war. | |
Auch die Autokorsos von Russlanddeutschen zur Unterstützung von Putin kamen | |
nicht so gut an, doch der Trend ist gesetzt: Der Autokorso gehört zu | |
Deutschland wie [3][die weiß besockte Sandale]. Immer mehr wird man davon | |
sehen, also von den Korsos. Bisweilen wird er sogar von Sören und Lena | |
kopiert – wie nach dem 5:1-Sieg der Deutschen über Schottland. Da wurde | |
[4][auf der Maximilianstraße] kulturelle Aneignung betrieben. Ja mei, warum | |
denn nicht!? | |
Lustig dann natürlich der erhobene Zeigefinger der Polizei Duisburg, die | |
schreibt: „Bei aller Freude sind Autokorsos nach wie vor grundsätzlich | |
illegal und werden fast ausnahmslos auch auf Antrag nicht genehmigt. Das | |
gilt uneingeschränkt für die EM, da Autokorso regelmäßig gegen § 30 der | |
Straßenverkehrsordnung verstoßen, wonach unnötiger Lärm und unnützes Hin- | |
und Herfahren verboten ist.“ | |
Und weiter: „Initiatoren und Teilnehmende begehen damit | |
Ordnungswidrigkeiten und man kann sich nicht darauf verlassen, dass die | |
Polizei sie immer und überall toleriert“, schreiben die Ordnungshüter. | |
„Insofern ist von der Teilnahme an Autokorsos dringend abzuraten.“ Wen das | |
interessiert? Offensichtlich keinen. Deutschland hupt, Deutschland | |
vergesellschaftet sich im Automobil. Und die Türken als Trendsetter | |
sowieso. | |
Anm. d. Red: In einer ursprünglichen Fassung hieß es in diesem Text, rund | |
zwei Drittel der in Deutschland lebenden Türken hätten für Erdoğan | |
gestimmt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. | |
19 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/erdogan-feiern-deutschland-10… | |
[2] /Soziologe-ueber-Deutschtuerken/!5934760 | |
[3] /Klimawandel-im-Fernsehen/!5655695 | |
[4] https://www.br.de/nachrichten/bayern/friedlicher-einsatzverlauf-fuer-muench… | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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