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# taz.de -- Flaschensammler bei der EM: Los jetzt, her mit der Pulle!
> Am Rande der EM tummeln sich Menschen, die von Flaschenpfand leben.
> Gerade bei Fußballspielen fällt viel an.
Bild: Flaschensammeln bei der EM: vor dem Spiel Deutschland-Schottland am 14. J…
Iosif ist gerade vertieft in eine Diskussion mit Polizeibeamten, die sein
Redebedürfnis aber an sich abprallen lassen. Sie schauen unbeteiligt. Möge
sich der Typ doch endlich verzipfen. Was er dann auch tut. Iosif hat viele
Beutel dabei. Sie sind randvoll gefüllt mit Flaschen. Plastikflaschen. 25
Cent das Stück bringen die, wenn man sie einlöst im Supermarkt an diesen
Automaten. Glasflaschen sammelt Iosif nicht. Bringen zu wenig. Und so hat
er auch kein Verständnis für meine Frage, ob die randvoll mit Bierflaschen
gefüllten Einkaufswägen, die da am Baum stehen, auch ihm gehören. Nein, tun
sie nicht, der Eigner ist verschwunden.
Wahrscheinlich stromert er gerade wieder irgendwo herum, um die wertvollen
Dinger aufzutreiben, Flaschen, Dosen, die von unzähligen Fans am
Stuttgarter Stadion hinterlassen werden. Gleich hinter der S-Bahn-Station
Neckarpark haben die [1][Flaschensammler] ihre Einkaufskörbe deponiert. Da
kann man die Pullen ganz praktisch und ohne Umwege entsorgen. Es ist warm
geworden. Die Anhänger Deutschlands und Ungarns haben sich mit etlichen
Bierchen gleichsam auf Betriebstemperatur gebracht; die Bedachten trinken
Mineralwasser. Die Flaschen stehen überall herum, sie müssen nur
verfrachtet werden.
Ich hatte Iosif zu Anfang unseres kleinen Gesprächs gefragt, ob er Deutsch
spricht, was von mir auch ein bisschen ungeschickt war, denn natürlich
spricht Iosif deutsch. Er ist schließlich seit Jahrzehnten in Deutschland,
ein Grieche, der aus Thessaloniki stammt. Dort hat er noch Familie und ist
manchmal in der Heimat. Das geht jetzt auch einfacher, weil er Rentner ist.
Viel Kohle bekommt man in Deutschland als Pensionär nicht. Die
Durchschnittsrente in Deutschland beträgt laut Statista für Männer 1.373
Euro (Frauen: 890), und wer auf diesen Betrag kommt, darf sich glücklich
schätzen. „Ist hier ein [2][netter Zuverdienst]“, sagt Iosif und knistert
mit den Tüten. Wie viel das bringt? „So 30, 40 Euro“, sagt er, und man
sieht, dass Flaschensammeln ein anstrengender Job ist: Der Kragen seines
grauen Shirts ist verschwitzt, aber hier am Stadion ist es ungleich
leichter, die kleinen Schnäppchen zu machen, als in der Stadt, wo man in
jeden Mülleimer gucken und weite Strecken zurücklegen muss.
Mit jedem Jahr steigt nicht nur gefühlt die Zahl der Flaschensammler in
Deutschland. [3][Das Land wird ärmer,] man sieht es. Fast jedes Mal, wenn
ich über den Alex in Berlin radle, sehe ich einen Alten in einen
orangefarbenen Mülleimer lugen. Manche tragen Handschuhe, damit es nicht zu
eklig wird. Oft sind sie mit einem Fahrrad unterwegs, an dem sie olle
Tragetaschen befestigt haben. Die EM-Partien, Fußballspiele überhaupt,
sind, nun ja, Hochämter für die Flaschensammler. Der gemeine Fan, der fürs
Ticket schon mal 100 Euro ausgibt und für die Reise nach Deutschland 1.000,
den juckt es nicht, wenn er 25 Cent verschenkt, manche fühlen sich
vielleicht sogar erhaben, wenn sie den Sammlern eine milde Gabe zustecken.
Iosif nimmt sie gern entgegen. „Und ein gutes Spiel“, wünscht er.
20 Jun 2024
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## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Flaschensammler
Kolumne Deutsches Theater
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