# taz.de -- Martin Scorsese feiert Filmemacher: Mit dem Enthusiasmus eines Kind… | |
> Die Doku „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ ist eine | |
> Liebeserklärung. Martin Scorsese spielt weit mehr als bloß den Erzähler. | |
Bild: Ein Klassiker von Michael Powell und Emeric Pressburger: „Die schwarze … | |
Martin Scorsese ist inzwischen über 80 Jahre alt, seit rund 60 Jahren dreht | |
er Filme, und noch länger sieht er Filme, atmet sie, liebt es, über sie | |
nachzudenken und zu reden. Gerade letzter Aspekt wurde in den jüngsten | |
Jahren immer wichtiger, da [1][Scorsese seine Position als allseits | |
verehrter Starregisseur] dazu genutzt hat, mit seiner World Cinema | |
Foundation zahlreiche Filme aus aller Welt zu restaurieren und oft zu ihrer | |
Wiederentdeckung beizutragen. | |
Allein das Signet „präsentiert von Martin Scorsese“ kann einem vergessenen | |
Film nie gekannte Aufmerksamkeit verleihen, ihn aus dem Wust der | |
Filmgeschichte befreien und die Anerkennung geben, die er verdient. Wenn in | |
einigen Jahren unweigerlich ausführliche Elogen auf einen der wichtigsten | |
Regisseure der Filmgeschichte geschrieben werden, könnte insofern ein | |
Aspekt von Scorseses Leben und Arbeit besondere Aufmerksamkeit bekommen: | |
Seine Freundschaft mit dem britischen Regisseur Michael Powell, der seine | |
Wiederentdeckung zwar nicht nur, aber doch entscheidend Martin Scorsese | |
verdankt. | |
Insofern hat es nicht nur Sinn, es ist geradezu zwingend logisch, dass es | |
Martin Scorsese ist, der in David Hintons Dokumentarfilm „Made in England: | |
Die Filme von Powell und Pressburger“ als Erzähler fungiert und dass diese | |
Dokumentation über eines der großen Regie-Duos der Filmgeschichte also fast | |
genauso viel über Martin Scorsese erzählt. | |
Als Scorsese in den 70er Jahren begann, in den Olymp des Kinos | |
aufzusteigen, mit „Hexenkessel“ seinen Durchbruch schaffte, ein paar Jahre | |
später für „Taxi Driver“ mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet | |
wurde, war Michael Powell fast in Vergessenheit geraten. Die Zusammenarbeit | |
mit Emeric Pressburger war vorbei und sein inzwischen als visionär, damals | |
aber als abstoßend wahrgenommener [2][Psychothriller „Peeping Tom“ hatte | |
Powell zum Paria gemacht, der einsam auf dem englischen Land lebte und Tee | |
trank. Bis ihn Scorsese besuchte], sich mit ihm anfreundete und für den | |
finalen Akt seines Lebens nach New York holte. | |
Bevor er ihn persönlich kennenlernte, lernte Scorsese Powells Bilder | |
kennen: So oft hat Scorsese von seiner Jugend erzählt, dem Asthma, das ihn | |
als Kind ans Bett fesselte und dazu „zwang“, endlos viel Fernsehen zu | |
schauen, dass diese Geschichte fast schon den Status einer Legende | |
eingenommen hat. | |
## Einschneidende filmische Erlebnisse | |
Schon in seinen eigenen Dokumentarfilmen aus den 90er Jahren „A Personal | |
Journey with Martin Scorsese Through American Movies“ und „My Voyage to | |
Italy“ hatte Scorsese diese Geschichte erzählt, mit mitreißender | |
Begeisterung von einschneidenden filmischen Erlebnissen berichtet, vom | |
ersten Kontakt mit dem Medium, das sein Leben prägen sollte. In jenen | |
Filmen lag der Fokus auf dem klassischen Hollywood-Kino beziehungsweise dem | |
italienischen Neorealismus der Nachkriegszeit, hier nun ist es das | |
britische Kino. | |
Dies entdeckte Scorsese anfangs nicht über bestimmte Regisseure, sondern | |
über Logos von Produktionsfirmen: „London Films“ oder „Ealing Studios“ | |
hießen diese, doch eine stach heraus: „The Archers“ mit dem markanten Logo | |
einer Zielscheibe, in deren Mitte ein Pfeil einschlägt. Und hinter den | |
Archers stand, wie Scorsese bald herausfand, das Duo Michael Powell und | |
Emeric Pressburger. | |
Trotz des kleinen Schwarz-Weiß-Fernsehers, auf dem der damals kaum | |
zehnjährige Scorsese die Filme von Powell und Pressburger sah: Der Effekt, | |
den sie auf den zukünftigen Regisseur hatten, muss enorm gewesen sein. Mit | |
spürbarer Begeisterung erzählt Scorsese von seiner ersten Begegnung mit | |
„Hoffmanns Geschichten“, einem Opern-Film, der ihm, so Scorsese, alles über | |
die Verbindung von Bildern und Musik beibrachte, das er wissen musste. | |
Und ja, sieht man die Bilder einer Gondel, auf der sich zwei Männer bei | |
einem schwerelos wirkenden Schwertkampf duellieren, unterlegt mit der Musik | |
von Jacques Offenbach, fällt es leicht, einen Bezug zu den unzähligen | |
Scorsese-Filme zu ziehen, in denen Scorsese Bilder mit dem Einsatz von | |
Popsongs oder klassischer Musik überhöht. | |
## Ihr Ruhm war nicht unumstritten | |
Doch auch Powell und Pressburger begannen nicht auf diesen filmischen | |
Höhen. Ihre ersten Filme waren im kargen Schwarz-Weiß gedreht, erzählten | |
kleine, intime Geschichten. Ein ungewöhnliches Duo waren die Beiden: | |
Powell, ein aus der Arbeiterklasse stammender Brite, Pressburger ein | |
distinguierter Ungar, der nach England migriert war; Powell der in die | |
weite Welt strebende Lebemann, ein extrovertierter Regisseur, Pressburger | |
ein eher introvertierter Intellektueller, der für die Drehbücher | |
verantwortlich war. | |
Während des Zweiten Weltkriegs begann der Ruhm des Duos, der von Anfang an | |
nicht unumstritten war. Denn zu einer Zeit, als die Nation und auch ihr | |
Premier Winston Churchill nach oft eher schlichten Propagandafilmen | |
verlangten, versuchten Powell und Pressburger differenzierte Filme zu | |
drehen, in denen auch deutsche Figuren runde, ambivalente Charaktere waren. | |
Besonders deutlich wurde dies in ihrem ersten großen Klassiker: „Leben und | |
Sterben des Colonel Blimp“, in dem der britische Hang zum Militarismus | |
persifliert wurde. Der aber vor allem eine Romanze über einen britischen | |
General war, der scheinbar heroische Momente im Off erzählte. Besonders | |
eine berühmte Szene stellt Scorsese heraus: Ein britischer Soldat und sein | |
österreichischer Rivale bereiten sich auf ein Duell vor, ein Duell, nach | |
dem sie zu lebenslangen Freunden werden. Schier endlos dauert die | |
Vorbereitung, die Anweisungen der Sekundanten, doch sobald das Duell | |
beginnt, fährt die Kamera nach oben und lässt die Duellanten allein. | |
Ein radikaler, mutiger Moment, wie Scorsese betont, den er selbst viele | |
Jahre später in einem seiner eigenen Klassiker zitieren sollte: In „Wie ein | |
wilder Stier“ zeigt er Robert De Niro als Boxer Jake LaMotta bei der | |
Vorbereitung zum Kampf um die Weltmeisterschaft, beim Einmarsch in den | |
Ring, unterlegt mit Klängen aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“, doch den | |
eigentlichen Kampf sieht man kaum. | |
## Meldramen in strahlendem Technicolor | |
Immer wieder zeigen solche Gegenüberstellungen den direkten Einfluss, den | |
die Filme von Powell und Pressburger auf Martin Scorseses eigene Arbeiten | |
hatten, was „Made in England“ in den besten Momenten zu einer Lehrstunde im | |
Filmemachen werden lässt. Vor allem die in strahlendem Technicolor | |
gedrehten Melodramen „Irrtum im Jenseits“, „Schwarze Narzisse“ und „D… | |
roten Schuhe“ beschreibt Scorsese mit fast kindlichem Enthusiasmus, der | |
inzwischen aber vom Wissen um die eigene Sterblichkeit durchzogen ist. | |
Im Laufe seines Lebens habe er die Filme von Powell und Pressburger immer | |
wieder gesehen, sie seien mit ihm gewachsen, Aspekte, die er als junger | |
Mann übersah, berühren ihn nun, da er selbst über 80 Jahre alt ist, tief. | |
Wie nah ihm vor allem Michael Powell war, lässt sich daran ermessen, dass | |
er nicht nur half, Powells Werk aus der Versenkung zu befreien, sondern ihn | |
auch mit seiner langjährigen Cutterin Thelma Schoonmaker bekannt machte, | |
die bis zu Powells Tod 1990 seine Frau war. Martin Scorseses lebhafte, | |
leicht melancholische Erinnerungen an den bewunderten Kollegen, aber vor | |
allem Freund Michael Powell verleihen „Made in England“ eine besondere, | |
persönliche Note. | |
Auch ein Grund, warum „Made in England: Die Filme von Powell und | |
Pressburger“ das wichtigste Kriterium für einen Dokumentarfilm über das | |
Kino erfüllt: Er macht Lust, ganz bald noch einmal oder, wenn man Glück | |
hat, zum ersten Mal, die wunderbaren Filme des Duos zu sehen. | |
18 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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