# taz.de -- Szenen aus dem ländlichen Meck-Pomm: Der unverfälschte Charme der… | |
> Am Sonntag finden in Mecklenburg-Vorpommern Kommunalwahlen statt. | |
> Eindrücke aus dem Arbeitsleben eines anonymen Fahrzeugprüfers. | |
Bild: Ein Memory-Spiel zur Landpartie | |
„Hier wird Deutsch gesprochen!“ | |
***min, größerer Betrieb, der Chef ist da, der Werkstattleiter ist da, und | |
noch ein paar andere Nazis, die da arbeiten oder einfach so dort sind. | |
Ein Ausländer betritt die Werkstatt und wagt es zu fragen: | |
„Do you speak english? | |
Woraufhin der Chef engagiert aufspringt und mit lauter Stimme ruft: | |
„Nein! Keiner! Keiner hier! Wir sind hier in Deutschland! Hier wird Deutsch | |
gesprochen!“ | |
Läuft an dem Typ vorbei und öffnet ihm die Ausgangstür. Und der geht. | |
„Aber mit Waschpaste!“ | |
***ben, eine der schlimmsten Werkstätten überhaupt. | |
Ein Dörfler, der wollte sein Auto abholen oder nur quatschen – das weiß man | |
nie –, der kam rein, hat die Hacken zusammengeknallt und erst mal abgegrüßt | |
mit Hitlergruß. Also kein 16-Jähriger, sondern so im Alter von meinem | |
Vadder. | |
Dann hab ich gefragt: | |
„Wo is hier das Klo?“ | |
„Ham wer nich! Kannst draußen am Giebel pissen!“ | |
Draußen hab ich dann überlegt, ob ich ans Haus piß’ oder ins Gebüsch, und | |
mich fürs Gebüsch entschieden. Schön einsehbar von der Straße, in meinen | |
Firmenklamotten. | |
In der Bude waren es zum Glück nur drei Autos. Als ich nach Hause fahren | |
wollte, hatte ich Schweinefinger, Maschinenöl dran ohne Ende, und da hab | |
ich gefragt: | |
„Wo is hier Händewaschen?“ | |
„Ham wer nich! Nur ’n Eimer.“ | |
Ich hab dumm geguckt. | |
„Aber mit Waschpaste!“ | |
Hab ich also meine Hände in den Jauche-Eimer da gehalten und gewaschen, mit | |
Waschpaste, und mit einem selbst mitgebrachten Tuch abgetrocknet. Das hab | |
ich danach gleich weggeschmissen. | |
„ ’Ne ganz arme Sau“ | |
Ein Laden in ***zin. | |
„Kannst das Moped dahinten noch machen“, sagt der Besitzer. | |
„Jo. Gib mal die Papiere.“ | |
„Dat is ’ne ganz arme Sau.“ | |
„Wer?“ | |
„Dem dat Moped gehört.“ | |
„Aha … Wieso?“ | |
„Ja, der is beim Bund, Kapitän, der musste jetzt wieder runter, ans | |
Mittelmeer.“ | |
„Ans Mittelmeer?“ | |
„Ja! Kanaken rausfischen! Damit die danach unseren Sozialstaat ausplündern | |
können!“ | |
„Da hat Er richtig gerechnet!“ | |
Bei Bäcker ***sch sind die Regale so leer wie damals, im DDR-Konsum. Da | |
liegen vielleicht noch so acht Brötchen und zwei Brote, aber das ganze | |
Nebenzimmer steht voller Kartons mit Pfannkuchen. | |
Ich kauf’ meine fünf Brötchen und das letzte Mohnhörnchen. | |
Darauf die Verkäuferin in einem Anflug von Geschäftssinn: | |
„Will Er denn keine Fannkuchen?“ – | |
„Bloß nich!“ | |
„Hmmrr!“, hat se ungläubig gemacht. | |
Um die Sache abzukürzen, hab ich gesagt: „3,84!“ | |
Sie tippt’s ein und sagt dann anerkennend: | |
„Da hat Er richtig gerechnet!“ | |
„Is aber jetzt kein Problem, oder?“ | |
***kow. Ein alter Mann im Feinrippunterhemd kommt in seinem Nissan | |
angefahren. Mit Krücke, Dackel und einer nicht zu unterschätzenden | |
Alkoholfahne wälzt er sich aus dem Auto. Während ich es durchsehe, erzählt | |
er mit zehnmal, dass er das Auto ja eigentlich nur für die Jagd braucht und | |
damit nur im Wald fährt, und dass neben ihm aufm Beifahrersitz immer der | |
Dackel sitzt. | |
„Du fährst zur Jagd?“ | |
„Ja. Immer schon.“ | |
„Wie machst du das? Kommst du auf den Hochsitz oder schießt du ausm Auto?“ | |
Er sagt, er kommt wohl auf den Hochsitz. | |
„Und was macht der Dackel so lange?“ | |
„Den schmeiß ich in den Rucksack, und dann kommt der mit hoch.“ | |
Beim Prüfen steht er immer ungefähr 30 Zentimeter neben mir, vors Auto, | |
hinters Auto, unters Auto, und wieder drumherum. Konnt ich ihm also gleich | |
gut zeigen, was alles kaputt ist. Wenn sich einer so dafür interessiert, | |
erklär ich dem das auch. | |
Und er immer so: | |
„Is aber jetzt kein Problem, oder?“ | |
„Über das Ergebnis sprechen wir am Ende.“ | |
Er hat dann damit angefangen, er macht ja auch in Kfz. Hat dahinten mal | |
gearbeitet, im Traktorenkombinat. Und während ich versucht habe, ’ne | |
Abgasuntersuchung zu machen, hat er mir erst mal den Motor ausgestellt und | |
souverän den Schlüssel abgezogen. | |
Dann war ich fertig und hab ihm den Bericht unter die Nase gehalten. | |
Nach ’ner Weile sagt er dann: | |
„Ich sag dir jetzt mal, was passiert, wenn du bei mir aufn Hof kommst. Zwei | |
Sachen: Erst schlägt der Dackel an …“ | |
„Und dann beißt der mir ins Bein?“ | |
„Nicht nötig. Denn als zweites hau ich dir ’n Loch inn Kopp mit meim | |
Drilling.“ | |
Damit isser abgezottelt. Ein Drilling ist ein Jagdgewehr mit drei Läufen, | |
zweimal Schrot, eine Kugel. So was hatte mein Opa auch. | |
Ich hab den Christian von der Werkstatt gefragt, was das fürn Vogel war. | |
„Hat er wieder Jagdgeschichten erzählt?“ | |
„Ja, und ich war Teil davon.“ | |
„Mach dir keine Sorgen. Als sie ihn das letzte Mal besoffen angehalten | |
haben, schön die geladene Knarre auf dem Beifahrersitz, da hatte er schon | |
keinen Führerschein mehr. Jetzt hat er auch keinen Waffenschein mehr – und | |
keine Waffe.“ | |
In ***kow ist übrigens der einzige Bäcker, den ich kenne, wo du Bier gleich | |
kistenweise kaufen kannst. | |
„Da sind wir nicht drauf angewiesen!“ | |
Neulich in einer Gaststätte in ***orf. Mich empfängt eine Oma in | |
Kittelschürze. Sie weiß sofort bescheid: | |
„Na? Will Er nur aufs Klo?“ | |
„Ja. Wo geht’s lang?“ | |
„Durch’n großen Saal.“ | |
Und dieser Saal – ha! Da war ’ne Bühne mit Vorhang, die klassischen eckigen | |
Stapelstühle mit Sitzpolstern, alles wie von der letzten Jugendweihe ca. | |
1981. Die decken auch unverändert gleich ein seitdem. Das roch auch noch so | |
richtig nach DDR: Wofasept und Linoleumboden, alles der unverfälschte | |
Charme der DDR, nur die Klobrillen waren neu. | |
Als ich zurückkomme, signalisiere ich der Chefin, dass ich mein Geld aus | |
dem Auto holen muss. | |
„Dat kann Er steckenlassen. Da sind wir nicht drauf angewiesen!“ | |
„Das geht nicht“ | |
Poststelle im Dorfladen, neun Uhr morgens. Ein Spritti steht schwankend | |
vorm Schnapsregal und versucht, sich zu entscheiden, ob er normalen Klaren | |
nimmt oder doch mal Doppelkorn. Eine Dame kurz vor dem Rentenalter hinterm | |
Schalter. Ich stelle meine Pakete ab. | |
„Ich hätte da bisschen was abzugeben.“ | |
„Oh … das mach ich normal nicht, Pakete haben wir hier nicht so oft, ich | |
weiß gar nicht so genau …“ | |
„Kein Problem, meine Frau hat mir genau aufgeschrieben, wie das geschickt | |
werden muss. Erst mal was einfaches. Hier hab ich ein’ Brief nach Ahlbeck, | |
der muss nur frankiert werden.“ | |
Die hatten da noch richtige gummierte Briefmarken. Sie drückt die mit dem | |
Daumen auf ihren Schwamm und stellt fest: | |
„Trocken!“ | |
Hat sie dann umstandslos mit der Zunge abgeschleckt, die Marke. Beidseitig. | |
Und auf den Brief gemacht. | |
„Dann machen wir doch gleich weiter mit Briefen!“, sage ich und hab so ein | |
kartoniertes Kästchen hingelegt. | |
„Das ist kein Brief!“ | |
„Meine Frau hat mir aufgeschrieben, das soll als Brief geschickt werden.“ | |
„Das geht nicht.“ | |
„Meine Frau sagt, das geht.“ | |
„Ist Ihre Frau die Deutsche Post?“ | |
„Wer weiß das schon?“ | |
„Da muss ich aber meine Tabelle holen!“ | |
Die hat sie gründlich studiert und dabei geknurrt, und dann kam das | |
Kommando: | |
„Aufe Waage!“ | |
Und so hat das als Brief tatsächlich geklappt. Dann kam aber erst mal der | |
Spritti und wollte seinen Schnaps bezahlen. Stück für Stück hat er seine | |
Centsammlung ausgebreitet. Und die Dame: | |
„Jo Klausi, wie immer!“ | |
Nun ging es los mit den Paketen. | |
„Aufe Waage!“ | |
Sie hat das größte gewogen, alles eingetippt, einen Zettel gedruckt und mir | |
gegeben. | |
„Sie müssen noch draufschreiben, für wen dat war, oder komm’ Sie so klar?… | |
„Was steht denn drauf, für wen das ist?“ | |
„M-a-r-g-a-… | |
„Ah, für die Schwiegermutter.“ | |
„Aaah! Für die Schwiegermutter?! Kriegt die wat geschenkt?“ | |
Ich wollte aber kein Gespräch drüber anfangen und hab das nächste | |
hochgestellt. Sie hat wieder gepiept und getippt und schiebt mir den Zettel | |
zu: | |
„Wollen Sie wieder aufschreiben?“ | |
„Ja, für wen ist das?“ | |
„Oh!“ Sie liest. „Dat ist für Frau Doktor!!“ | |
„Für welche?“ | |
„Kenn’ Sie etwa mehrere?!“ | |
Dann kam das letzte. | |
„Aufe Waage!“ | |
„Für wen issn das?“ | |
„G-u-d-r-u-n und…“ | |
„Robert! Mein Schwager!“ | |
Da hat sie gleich messerscharf gesagt: „Aha! Der vonne Schwiegermudder?“ | |
Das hab ich bestätigt. | |
Sie hat in ihrem hochmodernen Computersystem schon alles eingebongt, aber | |
für die Sicherheit wollte sie das nochmal schön mit dem Taschenrechner | |
zusammentippen. | |
„Petra! Wo geht der an?“ | |
Eine zweite Dame kommt von hinten dazu. | |
„Du musst drücken, wo 'on’ steht.“ | |
„Der geht aber nicht an!“ | |
„Halt den mal bei die Lampe. Der geht mit Solar.“ | |
Auf die Weise hat sie dann von ihrem Computerbildschirm alles nochmal | |
abgetippt mit ihrem Rechner. Sicher ist sicher. Schließlich war sie fertig. | |
„Das macht denn 28,60! | |
Ich zieh aus meiner Hosentasche die bisherigen Tageseinnahmen raus. | |
Ungefähr 800 Euro, in großen Scheinen. | |
„Hohoho!“, freut die sich und schnaubt anerkennend. | |
„Könn’ Sie das schon wechseln so früh am Tag?“ | |
Konnte sie. | |
Ich sag tschüss, und sie: | |
„Ja, denn eine gute Reise nach ***urg!“ | |
Mein Autokennzeichen hatten die natürlich gleich als erstes abgecheckt. | |
„Na, vielleicht komm ich die Woche nochmal wieder“, sage ich im Gehen. „I… | |
arbeite die Tage in der Ecke.“ | |
Und daraufhin sie doch tatsächlich: | |
„Wir sind gerne für Sie da!“ | |
Das hat die vielleicht mal in ’ner Schulung gelernt, aber garantiert noch | |
nie vorher zu einem Kunden gesagt. Und am Ende vom Tag kann ich sagen: | |
Obwohl man nicht anstehen muss, dauert’s unterm Strich genauso lange wie in | |
der Stadt. Aber man erlebt mehr! | |
„Jo“ | |
Der Kunde hat ein Auto dabei, das nicht zugelassen und demnach auch nicht | |
versichert ist. Ein Kennzeichen hat er aber immerhin. | |
„Bist du mit dem Ding so hierher gefahren?“ | |
„Ja sicher!“ | |
„Und das Kennzeichen hast du rangehängt, damit du der Polizei nicht | |
auffällst?“ | |
„Jo.“ | |
„Und wohin willst du damit dann weiter?“ | |
„Pasewalk.“ | |
Sind ja auch nur 150 Kilometer! | |
„Sieg Heil!“ | |
Der erste Betrieb diesen Morgen. Ich komm rein, ein Kunde grüßt: | |
„Sieg Heil! Ich hab zu Führers Geburtstag Pralinen mitgebracht!“ | |
Hält der mir eine Packung Mon Chérie hin. | |
Aber ich hab gesagt: | |
„Nein danke, mir ist schon schlecht.“ | |
4 Jun 2024 | |
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