| # taz.de -- Gymnasiale Oberstufe in Berlin: Noten werden wieder wichtiger | |
| > Berlins Bildungssenatorin erntet viel Kritik für die neuen | |
| > Auswahlkriterien fürs Gymnasium. Denn künftig entscheidet darüber die | |
| > Note der Hauptfächer. | |
| Bild: Gymnasium oder nicht? Hier: Gymnasium (Hermann Hesse, Kreuzberg) | |
| BERLIN taz | Wer darf in Berlin künftig aufs Gymnasium? Über diese Frage | |
| streiten sich gerade die bildungspolitischen Fachpolitiker*innen von | |
| CDU, SPD, Grünen und Linke sowie Schulleitungen und Elternvertretung. Denn | |
| der Übergang auf die weiterführenden Schulen ist einer der Punkte, den | |
| Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) gesetzlich neu regeln | |
| will. Aktuell berät der Bildungsausschuss über die Schulgesetznovelle, die | |
| im Juni durch das Parlament bestätigt und im August in Kraft treten soll. | |
| Eins ist schon jetzt klar: Das Probejahr am Gymnasium wird mit der | |
| Neufassung komplett abgeschafft. Denn daran wären in der Vergangenheit 7 | |
| Prozent der Schüler*innen gescheitert, was letztlich zu Enttäuschungen | |
| geführt habe. Stattdessen sollen nun die Noten in Deutsch, Mathe und erster | |
| Fremdsprache darüber entscheiden, wer auf dem Gymnasium weiterlernen darf. | |
| Mit diesem Plan stößt die Bildungssenatorin allerdings gerade auf breite | |
| Kritik. | |
| Es sei eine „Rolle rückwärts“, sagte Tom Erdmann von der GEW dazu am | |
| Donnerstag in einer Anhörung des Bildungsausschusses. Wenn Leistungen in | |
| Kunst, Sport, den Naturwissenschaften oder Gesellschaftswissenschaften | |
| nicht mehr gelten, dann würden „Schüler*innen nicht mehr mit allen ihren | |
| Kompetenzen gesehen. Der Zugang zum Gymnasium wird wieder stärker vom | |
| Elternhaus abhängig“, sagte er. Das sei ein „Konjunkturprogramm für | |
| Nachhilfe-Institute“. | |
| In der Vergangenheit waren die Noten von allen Fächern in die sogenannte | |
| Förderprognose eingeflossen, dabei waren die drei Hauptfächer doppelt | |
| gewichtet worden. Die Förderprognose entscheidet darüber, ob Kinder eine | |
| Empfehlung fürs Gymnasium bekommen. | |
| ## Neuer Leistungsdruck | |
| Auch Norman Heise vom Landeselternausschuss sagte, das habe Auswirkungen | |
| auf den Leistungsdruck und sei der falsche Ansatz. Die Verwaltung solle | |
| diese Regelung besser um ein Jahr verschieben. Wichtig sei, die | |
| Integrierten Sekundarschulen (ISS) zu stärken. [1][Da an einigen Schulen | |
| der Lehrer*innenmangel besonders hoch] sei, seien diese strukturell | |
| benachteiligt. „Weil der Senat nicht mehr steuert, wie die Lehrer*innen | |
| verteilt werden, ist an einigen Schulen ein Aufstieg möglicherweise gar | |
| nicht möglich“, sagte Heise. Er wies außerdem darauf hin, dass die Plätze | |
| für Gymnasien oder ISS in der Stadt sehr ungleich verteilt seien. | |
| Schulnoten würden nicht nach objektiven Kriterien vergeben. Sie seien daher | |
| aus rechtlicher Sicht nicht dafür geeignet, den Zugang zu den Gymnasien zu | |
| regeln, sagte Rechtsanwältin Cornelia Liedke im Bildungsausschuss. | |
| Arndt Niemöller hingegen, der Vorsitzende der Vereinigung der | |
| Oberstudiendirektoren, unterstützt die Pläne der Bildungssenatorin. Mathe, | |
| Deutsch und die erste Fremdsprache – das seien Basiskompetenzen, pflichtete | |
| er ihr bei. Sie seien zentral, und eine Grundlage für gute Leistungen auch | |
| in anderen Fächern. Manche Schüler*innen seien an den Gymnasien | |
| überfordert und hätten dort nicht angemessen gefördert werden können. | |
| Schüler*innen könnten auch an den ISS ein Abitur machen – an Gymnasien | |
| hätten sie einfach ein Jahr weniger Zeit. „Das spart Lehrer*innen, die | |
| dafür woanders eingesetzt werden können“, sagte er. | |
| „Erst vor wenigen Tagen hat ihre Staatssekretärin Christina Henke (CDU) in | |
| einer Rede gesagt, Demokratiekompetenz sei wichtig – und sie umfasse mehr | |
| als Lernen“, sagte Louis Krüger, bildungspolitscher Sprecher der | |
| Grünenfraktion. „Wie passt das nun zu dem Fokus auf Mathe und Deutsch?“ | |
| Seine Parteikollegin Marianne Burkert-Eulitz äußerte die Befürchtung, dass | |
| Kindern nun schon in der Grundschule „auf das Gymnasium hin trainiert“ | |
| awürden. Sie stellten die Frage, ob es das Ziel sei, weniger Kinder an den | |
| Gymnasien zu haben, um diese zu entlasten. Franziska Brychcy, | |
| bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, | |
| meinte, die Regelung führe zu „deutlich mehr Leistungsdruck“. | |
| ## Probeunterricht wie in Brandenburg | |
| Kinder, die den erforderlichen Notenschnitt für das Gymnasium nicht | |
| erreichen, aber trotzdem auf diese Schulform wechseln wollen, sollen an | |
| einem Probeunterricht teilnehmen. Dieser werde nach dem Vorbild von | |
| Brandenburg ausgestaltet, ließ die Senatorin wissen. | |
| Die Senatorin verteidigte ihre Pläne. Ihr gehe es darum, die Kompetenzen | |
| der Schüler*innen in den Blick zu nehmen und sie anhand dessen zu fördern. | |
| „Der Übergang auf das Gymnasium funktioniert in vielen Bundesländern so“, | |
| stellte sie klar. Die Fächer bildeten die Grundlage für Erfolg in anderen | |
| Bereichen. „Und wir erheben die Noten ja nicht punktuell, sondern es gehen | |
| die Ergebnisse aus zwei Halbjahren in die Förderprognose ein.“ Auch dass | |
| die Nachhilfe ankurbeln werde, wollte sie nicht gelten lassen. „Das tut den | |
| Grundschulen unrecht, weil in Berlin sehr viele schon Ganztagsschulen | |
| sind“, sagte Günther-Wünsch. „Dort fördern wir die Kinder, das findet al… | |
| dort statt“, betonte sie. | |
| Das [2][Schulgesetz soll neben dem Übergang aufs Gymnasium] auch 11. | |
| Pflichtschuljahr einführen, mit dem sich der Ausschuss in einer kommenden | |
| Sitzung beschäftigen wird. Außerdem sollen Kinder mit dem Kitachancenjahr | |
| sprachlich besser gefördert werden, es soll ein eigenes Landesinstitut für | |
| die Lehrer*innenausbildung entstehen und Religionsunterricht soll | |
| wieder gestärkt werden. | |
| Die Senatorin verteidigte auch ihre Pläne, den Profilunterricht II vorerst | |
| auszusetzen und Referendar*innen zu 10 statt bisher 7 | |
| Unterrichtsstunden pro Woche zu verpflichten. „Der Grund für diese | |
| Entscheidung ist der jahrzehntelange Lehrermangel“, sagte sie. „Da wäre | |
| jede Entscheidung schmerzvoll und würde auf Widersprüche stoßen.“ Trotz des | |
| [3][breiten Protests dagegen] habe sie nicht vor, dies zurückzunehmen. | |
| „Im Bundesvergleich lagen wir bei den Unterrichtsstunden für Referendare | |
| bisher deutlich drunter“, sagte sie. „Die Senatorin stürzt die Schulen in | |
| ein Chaos, ohne sich bisher Gedanken über die Auswirkungen gemacht zu | |
| haben“, sagte Grünen-Politiker Krüger. „Und das wenige Wochen vor den | |
| Sommerferien – das finde ich fatal.“ | |
| Das Bündnis Schule in Not ruft für Sonnabend zu einer Demo dagegen auf. | |
| Losgehen soll es um 11 Uhr am Dorothea-Schlegel-Platz (direkt an der S-Bahn | |
| Friedrichstraße), die Abschlusskundgebung ist für 12.15 Uhr am Roten | |
| Rathaus geplant. | |
| 31 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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