# taz.de -- Geraldine Rauch und der Antisemitismus: Zweierlei Maß | |
> Kein Missverständnis: Es gibt realen Antisemitismus. Aber es ist | |
> zweifelhaft, ob ein instrumenteller Antiantisemitismus daran etwas | |
> ändert. | |
Bild: Bleibt stur und tritt nicht zurück: Geraldine Rauch | |
Friedrich Merz kämpft gegen „die Feinde unserer Freiheit“ und „tief | |
sitzenden Antisemitismus“. Deshalb müsse, so der CDU-Mann, der | |
Bundeskanzler Geraldine Rauch, die Präsidentin der TU Berlin, aus dem | |
Zukunftsrat der Regierung entfernen. Rauch hatte einen Tweet gelikt, der | |
Netanjahu mit NS-Symbolen assoziiert. Das ist antisemitisch, weil es | |
Schuldumkehr suggeriert. Rauch hat indes glaubhaft beteuert, die | |
Bildsprache übersehen zu haben, sich entschuldigt und ein | |
Disziplinarverfahren gegen sich selbst eingeleitet. | |
Merz’ Kampfesmut war in der Affäre Aiwanger nicht ganz so ausgeprägt. Der | |
hatte als Schüler auf einem Flugblatt Naziopfer verhöhnt und wand sich mit | |
windigen Ausreden heraus. Söder ließ ihm trotzdem seinen Job als | |
bayerischer Vizeministerpräsident. Merz fand das 2023 „bravourös“. Das | |
Doppelmoral zu nennen, ist eine eher zurückhaltende Formulierung. | |
Die Kampagne gegen Rauch, angefacht von Springer und CDU, läuft auf | |
Hochtouren. Das Ziel: [1][Sie muss weg]. Eine trübe Rolle spielt dabei der | |
Berliner Antisemitismusbeauftragte, der behauptet, Rauch habe „haufenweise | |
antisemitische Tweets“ gelikt. Beleg? Fehlanzeige. So funktionieren | |
Hetzjagden. Der Fall Rauch zeigt, dass der Antisemitismusdiskurs in | |
Deutschland in einer Sackgasse steckt. Er scheint beliebig zu werden, auch | |
weil der Antisemitismusbegriff mitunter extrem ausgeweitet wird und | |
entschiedene Kritik an Israel mit einschließt. Der Kampf gegen | |
Antisemitismus à la Merz ist ein Mix aus moralischer Selbstüberhöhung und | |
Instrumentalisierung, um politische Gegner zu bekämpfen. | |
Schauen wir auf das größere Bild. In Deutschland werden 2024 | |
Pro-Palästina-Proteste in Unis von der Polizei geräumt. Ein Pro-Palästina | |
Kongress wurde auf rechtlich mehr als fragwürdiger Grundlage verboten. Es | |
hat seit dem Deutschen Herbst keine so rabiaten Einschnitte in die | |
Meinungs- und die Versammlungsfreiheit mehr gegeben. Anders als 1977 gibt | |
es allerdings kaum Liberale, die die stickige Diskursverengung und die | |
neoautoritäre staatliche Praxis kritisieren. Dabei ist gerade wegen der | |
Polarisierung in Sachen Gaza und Israel freier Diskurs nötiger denn je. | |
## Was hilft wirklich gegen Antisemitismus? | |
Kein Missverständnis: Es gibt realen Antisemitismus. Dass jüdische Menschen | |
sich mancherorts nicht trauen, mit jüdischen Symbolen auf die Straße zu | |
gehen, ist unerträglich. Aber es ist zweifelhaft, ob ein | |
instrumenteller Antiantisemitismus und rüde Obrigkeitsstaatlichkeit | |
daran etwas ändern. | |
Im Fall Rauch soll ein Exempel statuiert werden. [2][Dass die | |
TU-Präsidentin sich dem vorgefassten Drehbuch widersetzt und nicht | |
freiwillig zurücktreten will, ist ein gutes Zeichen]. Sie hätte mehr | |
Unterstützung verdient. | |
8 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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