# taz.de -- Gaza-Proteste an Hochschulen: Räumung auf Befehl von ganz oben | |
> Berlins Bürgermeister Kai Wegner verteidigt Vorgehen der Polizei gegen | |
> Besetzer der Humboldt Uni. Polizei zieht Bilanz, Juristen protestieren. | |
Bild: Nicht glücklich über die Räumung: Uni-Präsidentin Julia von Blumentha… | |
BERLIN taz | Die Räumung eines weiteren Protestcamps an einer Berliner | |
Universität sorgt für neuen Streit. Berlins Regierender Bürgermeister Kai | |
Wegner verteidigte am Freitag das polizeiliche Vorgehen gegen | |
propalästinensische Besetzer der Humboldt-Universität (HU). „Ich werde das | |
nicht durchgehen lassen, wir dulden keinen Antisemitismus, Hass und Hetze | |
an unseren Universitäten“, erklärte der CDU-Politiker. HU-Präsidentin Julia | |
von Blumenthal hatte die Besetzung zunächst dulden wollen, musste sich dann | |
aber einer Anweisung von Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) und | |
Wegner beugen. | |
Die Präsidentin der Technischen Universität Berlin (TU), Geraldine Rauch, | |
nannte das Vorgehen Wegners und Czyborras „äußerst befremdlich“. Es | |
untergrabe die Hochschulautonomie und zeuge von mangelndem Vertrauen in die | |
Hochschulleitungen. Antisemitische Parolen und Schmierereien seien nicht zu | |
akzeptieren. „Nicht zu akzeptieren ist aber auch, dass unser Regierender | |
Bürgermeister alle Protestierenden über einen Kamm schert und als | |
„Terror-Sympathisanten“ deklariert.“ | |
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner konterte kühl: „Wenn die | |
TU-Präsidentin meint, es sei ein neuer Stil, dann hat sie völlig recht“, | |
entgegnete der CDU-Politiker. „Ich lege sehr viel Wert auf die | |
Wissenschafts- und Meinungsfreiheit, aber antisemitische Straftaten sind | |
keine Meinung.“ Und: Jüdische Studentinnen und Studenten müssten „angstfr… | |
an den Hochschulen studieren können“. | |
## Polizei zieht Bilanz | |
Die Polizei zog am Freitag eine Bilanz: Bei der Räumung an der Berliner | |
Humboldt-Universität habe sie am Donnerstagabend 169 Protestierende | |
vorübergehend festgenommen, um ihre Identität festzustellen. Zudem seien 25 | |
Strafanzeigen gefertigt worden – unter anderem wegen des Verdachts des | |
Landfriedensbruchs, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie der | |
Volksverhetzung. Rund 530 Beamte waren im Einsatz. | |
Rund 150 Studierende hatten am Donnerstag das Sozialwissenschaftliche | |
Institut der Universität besetzt. Aus den Fenstern hingen Banner, auf einem | |
Transparent im Hof stand „Welcome To The Jabalia Institute“. Jabalia, eine | |
Stadt im Nordosten von Gaza, wurde erst vor wenigen Tagen von einem | |
israelischen Luftangriff getroffen, dabei wurde auch ein Krankenhaus | |
zerstört. Auf der Straße kamen zudem mehrere hundert solidarische | |
Demonstrant*innen zusammen. | |
Zutritt zum besetzten Campus in der Georgenstraße gewährt erhielten nur | |
Studierenden der HU und der Charité, die einen gültigem | |
Studierenden-Ausweis vorzeigen konnten. Sie mussten zudem Menschen kennen, | |
die sich bereits im besetzten Gebäude befanden. Nur ausgewählte | |
Pressevertreter*innen durften das Gelände betreten, etwa vom nd und | |
der Website World Socialist News. Der taz, Zeit Online oder dem RBB wurde | |
der Zutritt verwehrt. | |
## Was wollten die Studierenden? | |
Die Forderungen der Studierenden: Die HU solle alles in ihrer Macht | |
Stehende tun, um den Angriff Israels auf Gaza zu stoppen. Wie, das ging aus | |
der Stellungnahme der „Student Coalition Berlin“ auf Instagram nicht | |
hervor. Des Weiteren forderten sie Schutz vor Repressalien und | |
Protestfreiheit. Sie forderten aber auch, die Humboldt-Universität solle | |
ihre Partnerschaften mit sechs israelischen Institutionen, darunter den | |
Universitäten in Haifa und Tel Aviv, aufkündigen. | |
Am Donnerstagnachmittag versammelten sich vor dem Gebäude immer mehr | |
Menschen. Ein Besetzer rief „Free Free Palestine“ durch ein Megaphon, die | |
Demonstrierenden antworteten mit „Free Free Free Palestine“. Die | |
mittlerweile verbotenen Parole „From The River To The Sea“ wurde | |
abgewandelt in: „From The Sea To The River, Palestine Will Live Forever“. | |
Ein einzelner Gegendemonstrant tauchte auf. Das Gesicht mit einer | |
israelischen Flagge verhüllt, hielt er ein Transparent, auf dem „Anti | |
Fascist Action“ stand, sowie eine Musikbox in den Händen. Schnell baute | |
sich eine Kette pro-palästinensischer Demonstrant*innen vor ihm auf. Es | |
wurde kurz laut, doch nach ein paar Drohgebärden löste sich die Situation | |
auf – zu Handgreiflichkeiten kam es nicht. Der Mann hielt noch eine Weile | |
sein Banner in den Händen, bevor er wieder verschwand, mit der taz reden | |
wollte er nicht. | |
## Uni-Präsidentin ist unglücklich | |
Wann genau die Räumung beschlossen wurde, bleibt unklar. Blumenthal selbst | |
hatte die Besetzung geduldet und wollte auf die Aktivist*innen zugehen. | |
Man habe „ein gutes Gespräch“ geführt, sei letztlich aber nicht zu einer | |
Einigung gekommen. Blumenthal selbst wirkte am Abend nicht glücklich über | |
die Räumung. Mehrfach betonte sie gegenüber der Presse, es habe sich um | |
eine Anweisung gehandelt. | |
Bis 18.30 Uhr hatte die Polizei den Besetzer*innen Zeit gegeben, das | |
Gebäude freiwillig zu verlassen. Die meisten Aktivist*innen folgten den | |
Anweisungen und verließen das Gebäude in Grüppchen und hielten sich an den | |
Händen, vom Jubel der Demonstrierenden auf der Straße begleitet. Jene, die | |
freiwillig gingen, begleitete Blumenthal persönlich zu den Polizeiautos, wo | |
ihre Personalien aufgenommen wurden. Mehrere Demonstrant*innen, die das | |
Gebäude freiwillig verließen, werden von der Polizei trotzdem hart | |
angepackt. Dann räumte die Polizei das Gebäude und entfernte die Banner. | |
## Auch Anwalt festgenommen | |
Unter den Festgenommenen war auch Benjamin Düsberg, Strafverteidiger und | |
Mitglied des Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV). Er hatte | |
sich während der Verhandlungen mit dem Präsidium ebenfalls im besetzten | |
Gebäude befunden. Als eine Person festgenommen wurde, wollte er diese | |
anwaltlich begleiten. Im Hinterhof wurde er dann selbst festgenommen. | |
„Besonders alarmierend ist, dass die Polizei mir zunächst nicht einmal | |
einen Tatvorwurf nennen konnte“, sagte Düsberg am Freitag zur taz. | |
In einer Stellungnahme betont der RAV, die Polizei sei verpflichtet, | |
Beschuldigten den konkreten Tatvorwurf zu eröffnen, bevor sie ihre | |
Identitäten aufnimmt. „Das hat die Polizei weder bei mir als Rechtsanwalt | |
noch bei den Versammlungsteilnehmenden getan. Dieses Vorgehen ist illegal, | |
es sollte Konsequenzen haben“, sagt Düsberg. Es sei auch illegal, dass | |
sämtliche Protestierende ohne konkreten Anfangsverdacht kontrolliert | |
wurden. „Ich gehe davon aus, dass dieses polizeiliche Vorgehen so vom Senat | |
angeordnet wurde.“ | |
Düsberg wird inzwischen „schwerer Landfriedensbruch“ vorgeworfen. „Das i… | |
völlig hanebüchen, denn ich habe lediglich meine Arbeit als Anwalt | |
ausgeführt“, sagt der Jurist. Der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen | |
der Humboldt-Universität (AKJ Berlin) verfolgt das Vorgehen der Polizei. Er | |
sagt: Die Polizei habe bereits bei bei der ersten pro-palästinensischen | |
Versammlung an der Humboldt-Universität am 3. Mai, die ebenfalls aufgelöst | |
wurde, schwer gegen geltendes Recht verstoßen. (mit dpa und epd) | |
24 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Luisa Ederle | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Humboldt-Universität | |
Palästina | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Antisemitismus | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kritik an TU-Präsidentin Geraldine Rauch: Maßlose Debatte | |
Wegen ein paar Social-Media-Likes ist die Präsidentin der Berliner TU in | |
Kritik geraten. Dahinter stecken vor allem rückwärtsgewandte Akteure. | |
Nahost-Konflikt an Berlins Hochschulen: Allseitige Rücktrittsforderungen | |
Berlins Universitäten kommen nicht zur Ruhe. Auch die Diskussionen um die | |
Likes von TU-Präsidentin Geraldine Rauch gehen unvermindert weiter. | |
Propalästina-Proteste an deutschen Unis: Wo endet die Meinungsfreiheit? | |
Der Nahostkrieg spaltet die Uni-Landschaft. Jüdische Studierende fühlen | |
sich bedroht, propalästinensische Aktivist:innen beklagen, sie würden | |
nicht gehört. | |
Antisemitismus-Vorwurf: TU-Chefin entschuldigt sich | |
Geraldine Rauch hat problematische Tweets geliked. Ihr neuer | |
Antisemitismus-Beauftragter Uffa Jensen findet klare Worte – nimmt sie aber | |
auch in Schutz. | |
Gaza-Proteste an Universitäten: Polizei beendet HU-Besetzung | |
Auf Anweisung des Berliner Senats hat die Polizei die Humboldt-Uni geräumt. | |
Die Uni-Präsidentin verteidigt den Dialog mit pro-palästinensischen | |
Gruppen. | |
Gaza-Proteste an Universitäten: Diskurs statt Polizei | |
Weil sie Polizeieinsätze an Unis kritisierten, stehen viele Dozierende | |
selbst in der Kritik. Der Historiker Michael Wildt will eine | |
Entschuldigung. | |
Gaza-Proteste in Deutschland: Propalästinensische Demos an Unis | |
An einigen Universitäten in Deutschland finden propalästinensische Demos | |
statt. Sollten sie zugelassen werden? Ein Pro und Contra. |