# taz.de -- Neues Konzept in der Wohnungslosenhilfe: Kiziltepe bietet Obdachlos… | |
> Die SPD-Sozialsenatorin stellt ein neues Konzept für Wohnungslosenhilfe | |
> vor. Landeseigenes Sozialunternehmen soll sich um Unterbringungen | |
> kümmern. | |
Bild: Der Bedarf von Notunterkünften wächst. An Ideen mangelt es nicht. Jetzt… | |
BERLIN taz | Sozialsenatorin Cansel Kiziletepe (SPD) hat mit der | |
Vorstellung von Plänen für ein landeseigenes Sozialunternehmen zur | |
Unterbringung von Wohnungslosen und Geflüchteten überrascht. Nach dem | |
Vorbild Hamburgs und Finnlands sollen dafür Wohnungen angekauft, um- und | |
neugebaut werden. Zudem soll die landeseigene Gesellschaft für die | |
Bereitstellung von sozialer Infrastruktur wie beispielsweise | |
Beratungsstellen zuständig sein. | |
„Wir werden in diesem Jahr hoffentlich Klarheit schaffen, wie und ob wir | |
diese Idee bewerkstelligen können“, sagte Kiziltepes Staatssekretär Aziz | |
Bozkurt am Mittwoch bei der Strategiekonferenz der Wohnungslosenhilfe. Der | |
SPD-Politiker fügte hinzu: „Wir sind mit einzelnen Senatorinnen und | |
Senatoren auch schon im Gespräch, damit sie auch im Bild sind. Wir | |
versuchen, diese Idee dieses Jahr ausreifen zu lassen, so dass man dann | |
auch in die Umsetzung kommen kann.“ | |
Als Bozkurt die Pläne in der Heilig-Kreuz-Kirche am Halleschen Tor auf | |
einer großen Leinwand präsentiert, sind die Plätze in der Kirche bis auf | |
den letzten Stuhl besetzt. Über den Projektor laufen Diagramme, die eine | |
Schätzung des zu erwartenden Gesamtbedarfs an Plätzen zeigen. Die Zahl der | |
von Berlin unterzubringenden Menschen steigt. Sind es derzeit etwa 40.000 | |
Wohnungslose sowie etwa 10.000 Obdachlose, sollen schon in vier Jahren | |
insgesamt 100.000 Plätze benötigt werden. Aktuell werden in Berlin | |
Obdachlose und Geflüchtete auf Grundlage des Allgemeinen Sicherheits- und | |
Ordnungsgesetzes untergebracht. [1][Auch geflüchtete Menschen, die in | |
Gemeinschafts- oder Notunterkünften leben], gelten als wohnungslos. | |
Bozkurt rechnete vor, dass das Land Berlin im vergangenen Jahr 352,8 | |
Millionen Euro für die Unterbringung wohnungsloser Menschen ausgegeben hat, | |
wobei die Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten noch nicht | |
enthalten sind. Viel Geld fließt dabei an private Betreiber von | |
Unterkünften. Übernimmt Berlin mit dem neuen Unternehmen selbst das | |
Geschäft, könnte dies zu Kosteneinsparungen führen. Um den Plänen der | |
Sozialverwaltung, trotz angespannter Haushaltslage gerecht zu werden, soll | |
das Unternehmen als Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) geführt werden. Somit | |
könnte wirtschaftlich, aber nicht gewinnorientiert gearbeitet werden – ohne | |
den Sparzwängen des Haushalts zu unterliegen. | |
## In Gedenken an Elke Breitenbach | |
Schon kurz vor Bozkurts Rede fiel im Grußwort der | |
Konferenzveranstalter:innen der Name [2][Elke Breitenbach]. Darauf | |
gab es großen Applaus im Kirchensaal, in dem auch viele Beschäftigte | |
sozialer Träger und Betroffene Platz genommen haben. Die Ex-Sozialsenatorin | |
der Linken gilt als starke Antreiberin des Vorhabens, die Wohnungs- und | |
Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 zu überwinden. 2021 initiierte sie einen | |
Masterplan, der das Prinzip Housing First einführte, wonach bedürftigen | |
Menschen auch ohne Vorbedingungen eine Wohnung zur Verfügung gestellt | |
werden soll. | |
Nur, an Wohnraum mangelt es. Breitenbach hatte daher eine Quote für die | |
Vermietung landeseigener Wohnungen eingefordert. 10 Prozent der frei | |
werdenden Wohnungen der landeseigenen Gesellschaften sollten für Wohnungs- | |
und Obdachlose reserviert werden, etwa 1.600 Wohnungen jährlich; ebenso | |
sollte die Quote für Neubauwohnungen gelten. | |
Doch die Quote kam nicht, für Wohnungslose steht nur ein Bruchteil dieser | |
Wohnungen bereit. Laut der Kooperationsvereinbarung mit Degewo, Gesobau und | |
Co werden bei Wiedervermietungen 66 Prozent der Wohnungen für | |
WBS-Berechtigte reserviert, davon ein Viertel für besondere Bedarfsgruppen. | |
Das sind zwar jährlich etwa 2.500 Wohnungen, die sich aber auf Wohnungs- | |
und Obdachlose sowie Beziehende von Transferleistungen, Geflüchtete oder | |
Studierende aufteilen. Die Folge: Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind ein | |
wachsendes Problem. | |
Anders als in Berlin ist man in Finnland mit dem Ziel, Wohnungslosigkeit zu | |
beenden, schon viel weiter. Weniger als [3][5.000 Menschen gelten in ganz | |
Finnland noch als wohnungslos]. Geschafft wurde das unter anderem mit der | |
Anmietung und dem Kauf leer stehender Bürohauskomplexe. Das soll nach den | |
Plänen von Sozialsenatorin Kiziltepe nun auch in Berlin geschehen. | |
## Die Abstimmung mit der CDU steht noch aus | |
Mit dem Koalitionspartner sind diese Pläne bisher noch nicht abgestimmt. | |
Björn Wohlert, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, sagte der taz: | |
„Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es für die Gründung eines landeseigenen | |
Sozialunternehmens weder einen Beschluss im Berliner Abgeordnetenhaus noch | |
im Senat. Wir werden das Konzept der Senatssozialverwaltung zunächst prüfen | |
und beraten.“ Welche zusätzlichen Maßnahmen zur Schaffung von bezahlbarem | |
Wohnraum und zur menschenwürdigen Unterbringung von Geflüchteten und | |
Obdachlosen ergriffen werden müssen, werde als Koalition gemeinsam | |
abgestimmt, so die CDU weiter. | |
Auf dem Podium der Konferenz räumt Kiziltepe ein, dass die Abschaffung der | |
Obdachlosigkeit bis 2030 in Berlin „zweifelslos ein ambitioniertes Ziel“ | |
sei. Außerdem bemerkte sie, dass durch den Zuzug von Personen aus der | |
Ukraine und anderen Geflüchteten die Herausforderungen größer geworden | |
sind. | |
Bisher gibt es nur wenige Standards für die Unterbringung von obdachlosen | |
Menschen, und zudem bekommen sie oft auch keine ausreichende | |
sozialarbeiterische Unterstützung. Um mehr über die Lebenssituation und | |
Bedürfnisse zu erfahren, haben die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, | |
LIGA Berlin und die Alice-Salomon-Hochschule ein Forschungsprojekt | |
durchgeführt. Die Ergebnisse werden am 12. Juni bei einer Fachveranstaltung | |
vorgestellt und diskutiert. | |
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wird Staatssekretär Aziz | |
Bozkurt (SPD) mit den Worten zitiert, die Senatssozialverwaltung wolle die | |
Idee eines landeseigenen Sozialunternehmens im kommenden Jahr umsetzen. Die | |
Senatsverwaltung weist darauf hin, dass Bozkurt das nachweislich nicht | |
gesagt hat. Wir haben das Zitat korrigiert. taz berlin | |
7 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Kai Liesegang | |
Erik Peter | |
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