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# taz.de -- Nationalfeiertag in Norwegen: Trachten für alle!
> Am 17. Mai feiert Norwegen, mit traditionellen Trachten in der
> Hauptrolle. Eine Norwegerin mit westafrikanischen Wurzeln hat nun eigene
> kreiert.
Bild: Models in der neuen Festtagstracht-Kollektion von Haddys neugegründeter …
Härnosand taz | Haddy Jammeh liebt den 17. Mai, immer schon. Und dieses
Jahr hat sie sich noch mehr darauf gefreut als sonst: Zum ersten Mal trägt
die Norwegerin eine Festtagstracht aus ihrer eigenen Kollektion. Eine
Tracht, in der auch sie sich wohlfühlen kann. Die Form ist
unmissverständlich norwegisch – eine langärmelige Bluse mit bestickter
Weste darüber, dazu ein langer Rock. Aber Stoffauswahl und Muster gehen
über Grenzen, sie sind unter anderem von westafrikanischer Tradition
inspiriert.
ADA heißt ihre Neugründung, im Herbst will die 38-Jährige in Produktion
gehen. Jammeh ist in Norwegen geboren und aufgewachsen, ihre Familie kommt
aus Gambia und Ghana. Wie kompliziert es gerade am Nationalfeiertag sein
kann, keine weiße Norwegerin zu sein, das weiß sie schon ihr ganzes Leben.
Aber wie viele andere Menschen sich von ihr verstanden und vertreten
fühlen, das wurde ihr erst diese Woche klar, nachdem der TV-Sender NRK über
ihre Kreationen berichtet hat.
„Ich bin ganz überwältigt“, erzählt Jammeh der taz am Vorabend des 17. M…
in einem Video-Interview. „Es ist so schön, dass eine Idee zu meiner
Identität und zur Frage, welchen Platz ich einnehmen kann, so viele andere
in Norwegen angesprochen hat. Ich habe viele Rückmeldungen der Art: ‚Du
hast etwas für uns geschaffen‘.“
## Glückwünsche auf allen Ebenen
Norwegen feiert heute sich selbst, aber so richtig. Es ist der Jubiläumstag
des Grundgesetzes, am 17. Mai 1814 wurde es unterschrieben. Es ist der Tag,
an dem man sich noch vor dem familiären Feiertagsfrühstück gegenseitig
gratuliert, oder in gerührten Social-Media-Posts gleich dem ganzen Land, à
la „Gratuliere, liebes Norwegen“. In noch so kleinen Orten gehen vormittags
fahnenschwenkende Grundschulkinder durch die Straßen, begleitet von
Blaskapellen, gerührt beobachtet von Eltern und anderen Schaulustigen.
In Oslo ist der Umzug naturgemäß am größten, 30.000 Kinder gehen am Schloss
vorbei, wo der König ihre Huldigung geduldig winkend entgegen nimmt, live
im Fernsehen übertragen. Es wird „Ja, wir lieben dieses Land“ gesungen,
überall ist geflaggt. Und die traditionellen norwegischen Trachten, Bunad
genannt, spielen bei dieser fröhlichen Selbstvergewisserungssause eine
Hauptrolle.
## Probleme für Menschen mit Migrationshintergrund
Haddy Jammeh wusste von anderen aus ihrem Umfeld, dass allein das Tragen
eines Bunads als nicht-weißer Mensch zu Anfeindungen führen kann, deshalb
habe sie es nie ausprobiert. Bei ihren Recherchen in Trachtengeschäften
habe sie gemerkt, dass sie nicht direkt als Kundin wahrgenommen wurde. Sie
hat auch mit einigen Hassnachrichten gerechnet, als Reaktion auf ihre
Geschäftsidee. „Es war mir aber so wichtig, dass ich dachte, das stehe ich
durch“, sagt sie. Und nun habe sie tatsächlich nur einen einzigen negativen
Kommentar gesehen.
Stattdessen hat sie offenbar „[1][Norweger mit norwegischen Wurzeln]“ zum
Nachdenken angeregt. „Viele schreiben, sie hätten eigentlich nie darüber
nachgedacht, wieviel die Tracht bedeutet“, sagt sie. Sie hätten das einfach
als Selbstverständlichkeit betrachtet. Tage vor dem 17. Mai sind die Medien
jedes Jahr voll mit dem Thema. Tipps werden gegeben zum rechtzeitigen
Lüften, Waschen, Reparieren und dazugehörigem Silberschmuck aufpolieren.
Seit Jahren gibt es Diskussionen über den hohen Preis, den sich nicht alle
leisten können – und nicht zuletzt auch deshalb schon länger einen Trend,
sich eine eigene Festtagstracht zu kreieren.
## Hohe Kosten, unbequeme Schuhe
Ein echter Bunad kann zwei- bis dreitausend Euro kosten, er sollte dann ein
Leben lang halten, wird häufig vererbt. Traditionell bekommen vor allem
Mädchen ihren ersten zur Konfirmation. Und später kriegen sie dann Ärger,
wenn sie statt der zugehörigen Trachtenschuhe bequeme Sneakers tragen, oder
wenn sie ihre (nicht selten alkoholischen) Getränke am 17. Mai in einer
Plastiktüte vom Handgelenk baumeln lassen – das gehöre sich einfach nicht,
sagt die imaginäre „Bunad-Polizei“.
Und auch: dass eine selbstkreierte Festtagstracht ist nicht dasselbe sei
wie ein echter, nach alter Handwerkskunst gefertigter Bunad. Den zu tragen
stehe zudem für die Gemeinschaft, die Zugehörigkeit – eine eigene
Festtagstracht stehe eher für Individualität.
## Gesellschaft bewegen, Traditionen bewahren
Die Expertin des Norwegischen Trachteninstituts, die dies in einem
NRK-Interview erklärte, begrüßte aber das wiedererwachte [2][Interesse
junger Menschen an der Kunst des Nähens]. Für Aufsehen hatte im Vergangenen
Jahr der sudanesisch-norwegische Künstler Ahmed Umar gesorgt, in einer
selbstkreierten Männer-Tracht mit Motiven aus seinen beiden Welten. Und der
Sender NRK zitierte nun ein Fachgeschäft in Oslo, das seitdem ein
wachsendes Interesse an mehrkulturellen Trachten bemerkt. Die Gesellschaft
ist also in Bewegung – ohne dass die Tradition deshalb in Gefahr wäre.
Eine Möglichkeit für migrantische Menschen, auf eine für sie stimmige Weise
mitzufeiern und dabei ihrem Leben mit mehreren Kultur Ausdruck zu
verleihen.Haddy Jammeh engagiert sich schon seit Jahrzehnten für junge
Menschen ohne ausschließlich norwegische Wurzeln. Jetzt ist sie also
Geschäftsgründerin geworden – und deutet die Reaktionen so, dass die
norwegische Gesellschaft weiter ist mit ihrer Offenheit, als sie gedacht
habe.
„Aber vielleicht auch nur, weil es so eine nette, harmlose Sache ist, eine
Huldigung auch an die norwegische Kultur“, sagt sie und lacht. In anderen
Bereichen habe das Land definitiv noch einen langen Weg vor sich. Aber um
die geht es heute nicht. Heute ist 17. Mai, heute will Haddy Jammeh wie die
allermeisten Menschen in Norwegen einfach nur feiern.
17 May 2024
## LINKS
[1] /Hamburger-Ausstellung-ueber-Sami-Kultur/!5961592
[2] /Textilkunst-und-Eigensinn/!5996238
## AUTOREN
Anne Diekhoff
## TAGS
Norwegen
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