| # taz.de -- Protestkunst aus Georgien: Die Herrscherin des Waldes blutet | |
| > Im „Halfsister“ trafen sich am Sonntag georgische Künstler:innen. Sie | |
| > demonstrierten Solidarität mit den Protesten gegen das „russische | |
| > Gesetz“. | |
| Bild: David Apakidzes „Tkashmapha“ ist eine trans Frau | |
| Giorgi Rodinov steht im Mehlstaub. In gebückter Haltung rollt er auf einem | |
| Tisch kleine Teigkugeln, füllt sie mit Hackfleisch und lässt sie in | |
| kochendes Wasser fallen. Nach wenigen Minuten sind die Khinkali – eine Art | |
| Teigtasche – fertig. Die Menschen stehen Schlange für das traditionelle | |
| georgische Gericht. Rodinov lächelt – nicht, weil er schon 200 Stück | |
| verkauft hat, sondern weil so viele Menschen ihre Solidarität mit den | |
| Georgier:innen zeigen. | |
| Am vergangen Sonntag hat der junge Kurator georgische Künstler:innen und | |
| Kunstliebhaber:innen in der „Halfsister“ – einem Atelierraum der | |
| georgischen Künstlerinnen Ana und Sophia Tabatadze im Berliner Bezirk | |
| Tempelhof-Schöneberg – zusammengebracht. „In der Einheit liegt die Kraft!�… | |
| lautet ihre Parole. | |
| [1][Seit Wochen protestieren Zehntausende] in der südkaukasischen Republik | |
| gegen [2][ein Gesetz], das sie nur „russisches Gesetz“ nennen. Die | |
| georgische Regierung behauptet, damit „Transparenz schaffen“ zu wollen: | |
| Nichtregierungsorganisationen werden verpflichtet, ihre | |
| Finanzierungsquellen offenzulegen. | |
| Wenn mehr als 20 Prozent der Finanzierung aus dem Ausland kommen, müssen | |
| sich die jeweilige Organisation, darunter auch Medien, registrieren und | |
| würden künftig als „Organisation unter Einfluss fremder Mächte“ geführt. | |
| Das Parlament hat in dritter und letzter Lesung das Gesetz verabschiedet. | |
| Kritische Kunst in Gefahr | |
| „Mein ganzes Leben wird auf den Kopf gestellt“, sagt Rodinov und versucht, | |
| den klebrigen Teig von seinen Fingern zu lösen. Kritische sowie | |
| Protestkunst seien in Gefahr. Weil viele von diesen Kunstprojekten, wie | |
| Rodinov anmerkt, durch westliche Förderungen erst ermöglicht wurden. Nun | |
| könnten sie eingestellt werden. Unter anderem das habe die Öffentlichkeit | |
| sensibilisiert und [3][Menschen auf die Straße in Georgien] gebracht. | |
| „Es sind die Queer-Festivals, die die Rechte der LGBTQ in Georgien stärken. | |
| Die Verurteilung von Gewalt gegen Frauen und patriarchalen Normen ist der | |
| Dreh- und Angelpunkt vieler künstlerischer Projekte“, sagt er. | |
| Im selben Raum, in dem Rodinov die Khinkali rollt, hängt eine Serie von | |
| Fotografien des georgischen Queer-Künstlers David Apakidze. Er beschäftigt | |
| sich mit georgischer Mythologie. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die | |
| Tkashmafa – die bezaubernde und verführerische Herrscherin des Waldes. In | |
| einem Bild lässt er mithilfe künstlicher Intelligenz einen tätowierten Mann | |
| in einem Wald sitzen, auf dessen Schoß die Tkashmafa – eine Transsexuelle | |
| Frau. Sie blutet. | |
| ## Gegen Hassreden | |
| Damit wehrt er sich gegen Hassreden und Hassverbrechen gegen [4][die | |
| LGBTQ-Gemeinschaft in seinem Heimatland]. Das neue Gesetz, erwartet er, | |
| wird noch mehr LGBTQ Menschen in Gefahr bringen. Deshalb geht er in Tbilisi | |
| auf die Straße und lässt in Berlin seine Bilder für sich sprechen. | |
| In dem großen Veranstaltungsraum sitzen mehrere Dutzend Menschen dicht | |
| nebeneinander, halten den Atem an und lauschen dem Klang der georgischen | |
| Sprache. „Lasst uns nicht auftrennen die Rechtschreibung, wie ein | |
| handgewebtes Gewand. Lasst uns nicht auflösen die Rechtlautung, wie die | |
| Polizei, die jedes Jahr die Demonstrationen auflöst“. Die freischaffende | |
| Künstlerin Elza Javakhishvili liest aus ihrem Gedichtband, in ihrer | |
| Muttersprache Georgisch. | |
| „Ich möchte der georgischen Schrift und Sprache Raum geben. Sie sind Teil | |
| unserer Identität. Und sie wurden und werden von der Sowjet- und | |
| Russlandmacht unterdrückt“, sagt sie. „Wir wissen aus der Geschichte, wie | |
| Georgien gegen russische Assimilierung kämpfen kann.“ | |
| 1978 versuchten die sowjetischen Behörden, eine Klausel durchzusetzen, die | |
| der russischen Sprache in Georgien den gleichen offiziellen Status | |
| verleihen sollte wie in der anderen Teilrepubliken der Sowjetunion. Die | |
| Menschen gingen auf die Straßen – und der Kreml verzichtete. Georgisch | |
| blieb die Sprache des Landes. | |
| Auch Lela Chilingarishvili unterhält sich gerne in ihrer Muttersprache. Die | |
| ehemalige Journalistin hat wegen der Repressionen gegen | |
| Journalist:innen in Georgien ihre Heimat Anfang der 2000er verlassen. | |
| Mit den Protesten dort ist sie solidarisch – doch deren Pathos kritisiert | |
| sie. „Zu sagen, Russland sei an allem schuld und wir wollen nach Europa, | |
| reicht nicht für die Demokratisierung des Landes“. Und erklärt: „Es waren | |
| die georgischen Politiker:innen, die alle strategischen Ressourcen, wie | |
| Mineralwasserquellen und Banken, an Russen verkauft haben“. | |
| Darüber schreibt Chilingarishvili gerade einen Roman. „Europa muss handeln | |
| und darf die Menschen nicht im Stich lassen“, sagt sie. Und meint damit | |
| auch Sanktionen gegen Oligarchen und Politiker:innen. | |
| 31 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tigran Petrosyan | |
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