| # taz.de -- Pakistans Militärmacht: Später Fallout in Belutschistan | |
| > Pakistan testete vor 26 Jahren in einer angeblich menschenleeren Region | |
| > Atomsprengköpfe. Die Indizien deuten längst auf gesundheitliche | |
| > Spätfolgen. | |
| Bild: 1998 wurden Wissenschaftler, die Pakistan zur Atombombe verhalfen, bei ih… | |
| Chagai taz | Khalil Ur Rehmans 60-jähriger Vater ist kürzlich an Krebs | |
| gestorben, sein 27-jähriger Bruder, Shafiq Ur Rehman, ist an Blutkrebs | |
| erkrankt. Der 30-jährige Khalil betreibt einen Laden in Soragl, einem Dorf | |
| im Nordwesten des Bezirks Chagai der westpakistanischen Provinz | |
| Belutschistan, wo es eine Unabhängigkeitsbewegung gibt. Soargl ist eine der | |
| nächstgelegenen Siedlungen zum 30 Kilometer entfernten Ras Koh-Gebirge. | |
| Dort führte Pakistan vom 28. bis zum 30. Mai 1998 sechs unterirdische | |
| Atomtests durch. | |
| Damit wurde es zum siebten Land der Welt und erstem muslimischen Land mit | |
| Atomwaffen. Die Atomtests waren eine Reaktion auf Tests des verfeindeten | |
| Nachbarn Indien nur zwei Wochen zuvor. | |
| Der 28. Mai wird in Pakistan seitdem als „Youme-e-Takbeer“ („Tag der | |
| Größe“) vor allem immer dann gefeiert, wenn die Muslimliga wie damals an | |
| der Macht ist. In Lahore und Rawalpindi gab es jetzt nationalistische | |
| Kundgebungen mit Slogans wie „Lang leben Pakistan!“ Für viele Belutschen | |
| ist es dagegen eher ein „schwarzer Tag“ | |
| Zur Zeit der Tests erklärte die Regierung in Islamabad, sie habe dafür | |
| eigens ein abgelegenes und unbewohntes Gebiet ausgewählt. Geologen hätten | |
| die Ras Koh Hills für geeignet erklärt. Wissenschaftlern zufolge sei das | |
| Gebiet „knochentrocken“ und meist windstill, sodass sich radioaktiver | |
| Fallout nicht verbreite. Auch könnten die Gesteinsformationen einer | |
| Detonation von 20 bis 40 Kilotonnen standhalten. | |
| ## Student erhebt unabhängige Daten | |
| Doch längst gibt es Zweifel. Der aus Chagai stammende damalige Student | |
| Abdul Razik der Universität Belutschistan führte 2014 eine Untersuchung für | |
| seine Masterarbeit durch. Sie widerspricht den Behauptungen der Regierung. | |
| In seiner Arbeit „Impacts of Nuclear Tests on Chagai“ behauptet Razik, die | |
| Explosionen hätten sich auf einem Berg im Ras Koh-Gebirge ereignet, wo es | |
| ein bewohntes Dorf namens Chehtar gab. | |
| Die Regierung behauptet, dass „nur zehn Haushalte in der Nähe des | |
| Testgeländes betroffen waren, die an einen sichereren Ort verlegt wurden“. | |
| Doch laut Razik befanden sich viel mehr Haushalte in der Nähe und selbst | |
| ein Abstand von einem Kilometer hätte ihnen keine Sicherheit gegeben. Laut | |
| Razik seien viertausend Menschen von den Atomtests betroffen. | |
| Auch habe die Regierung Vertriebenen und Umgesiedelten keine Hilfe | |
| geleistet. Seine Studie, die auf Umfragen unter der Bevölkerung basiert, | |
| wurde ignoriert, aber nie dementiert. Unabhängige Studien gibt es nicht, | |
| Razik lebt inzwischen im Ausland. | |
| Tatsache ist, dass [1][der damalige Premier Nawaz Sharif] den Bewohnern von | |
| Chagai und Ras Koh Hilfe versprach, darunter bessere Gesundheitsversorgung, | |
| Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten und wirtschaftliche Entwicklung. | |
| Doch weil sich seitdem die Lage der Menschen dort nicht verbesserte, halten | |
| sie keines der Versprechen für erfüllt. Etwa die Hälfte der Bewohner von | |
| Ras Koh lebt fernab von Straßen und muss weit laufen, um Dinge des | |
| täglichen Bedarfs zu kaufen. | |
| Da sich das trockene unfruchtbare Gebiet nicht zum Ackerbau eignet, ist | |
| Viehzucht die Haupteinkommensquelle. Wildpflanzen und Kräuter, die dort | |
| einst natürlich wuchsen und als Viehfutter dienten, sprießen nicht mehr wie | |
| früher. Einheimischen bleibt oft nur, zum Arbeiten in die Städte zu ziehen. | |
| Besonders Kinder leiden an den Spätfolgen | |
| Khalil Ur Rehman hat bereits all seine Ersparnisse für die Behandlung | |
| seines Vaters ausgegeben und hat nun nichts mehr, um das Leben seines | |
| Bruders zu retten. In Belutschistan, Pakistans größter Provinz, gibt es nur | |
| ein einziges Krankenhaus, in der Provinzhauptstadt Quetta, das Krebs | |
| behandelt. Doch hat es einen schlechten Ruf, weshalb Patienten für eine | |
| bessere Behandlung den weiten Weg nach Karatschi auf sich nehmen. Das | |
| können sich aber nur die allerwenigsten leisten. | |
| Laut Aryan Mengal, der im Ras Koh-Gebiet als Sozialarbeiter arbeitet, | |
| zählen dort neben Krebsarten wie Leukämie auch Typhus, Lungenentzündungen, | |
| Haut- und Leberkrankheiten, Hepatitis und Thalassämie zu den häufigen | |
| Krankheiten. Betroffen seien vor allem Kinder. | |
| Viele der erst nach den Atomtests in der Region geborenen Kinder seien | |
| kleinwüchsig und litten an verschiedenen Behinderungen. „Da nach meiner | |
| Beobachtung die Eltern und Großeltern dieser Kinder keine derartigen | |
| Erkrankungen und Merkmale aufweisen, macht das diese Situation noch | |
| alarmierender“, sagt Mengal. | |
| Manche Einheimische sehen diese Infektionskrankheiten als Folge des | |
| radioaktiven Fallouts der Atomtests und fordern bessere | |
| Gesundheitseinrichtungen. Auch haben die Tests die Entfremdung der | |
| Belutschen vom Rest des Landes verstärkt | |
| 30 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Zahra Kazmi | |
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