# taz.de -- Entwicklungsgelder für Mikrokredite: Stiller Rückzug der Bundesre… | |
> Mikrokredite führen in Kambodscha zu Überschuldung, Landverlust und | |
> Suiziden. Auch Deutschland ist beteiligt und hat nun die Neuvergabe | |
> gestoppt. | |
Bild: Bauernfamilie in Siem Reap, Kambodscha: Viele Landwirte haben ihr Agrarla… | |
BERLIN taz | Als sich Nhu Laen das Leben nahm, hatte er 18.000 US-Dollar | |
Schulden angehäuft. Viel zu viel für einen kambodschanischen Kleinbauern, | |
der Sojabohnen und Cashewnüsse anbaut. Seine Frau Kwai Nga berichtet, eine | |
Mikrokreditfirma habe das Paar gedrängt, weitere Schulden aufzunehmen – mit | |
bis zu 20 Prozent Zinsen, um die alten zurückzuzahlen. „Mein Mann ist an | |
seinen Schulden gestorben“, sagte Nga dem britischen Guardian. | |
Nhu Laen ist kein Einzelfall. Seit Jahren dokumentiert die kambodschanische | |
Menschenrechtsorganisation LICADHO schwere [1][Missstände im | |
Mikrofinanzsektor]. „Aggressive Eintreibungsmethoden und weit verbreitete | |
rücksichtslose Kreditvergabe haben zu erzwungenen Landverkäufen, | |
Kinderarbeit und ungewollter Migration geführt“, sagt Naly Pilorge von | |
LICADHO der taz. | |
Deutschland ist an dem Problem beteiligt. Nhu Laens Geldgeber, das | |
Mikrofinanzinstitut LOLC Cambodia, wird auch von Fonds bezahlt, in die das | |
Bundesentwicklungsministerium (BMZ) und die staatlichen Geldinstitute | |
Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) sowie die | |
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eingezahlt haben. | |
Aus einer [2][Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der | |
Linken] geht nun hervor: Von Suizidfällen verschuldeter | |
Kreditnehmer*innen „mit Beziehungen zu Geschäftspartnern der | |
Bundesregierung“ habe sie bereits Ende Juli 2023 erfahren. Sie ordnete | |
daraufhin den „sofortigen Stopp“ einer Herausgabe von neuen Krediten an. | |
Zwar seien seit 2005 keine bilateralen Mittel in den Finanzsektor in | |
Kambodscha geflossen, es gab aber noch bestehende Portfolios von DEG und | |
KfW. | |
## Mikrofinanzportfolio soll abgebaut werden | |
Bereits im Mai 2023 habe die Bundesregierung die KfW angewiesen, „das | |
verbleibende Mikrofinanzportfolio in Kambodscha verantwortungsvoll | |
abzubauen“, heißt es in der Antwort. | |
Diese Entscheidung war die Folge einer [3][Untersuchung des Instituts für | |
Entwicklung und Frieden (INEF)] der Universität Duisburg Essen im Auftrag | |
des BMZ. Die Studie hatte die Berichte der kambodschanischen | |
Zivilgesellschaft weitgehend bestätigt. Schätzungsweise 25 bis 50 Prozent | |
der Kreditnehmer*innen seien von Überschuldung betroffen. Sechs | |
Prozent, rund 167.000 Kambodschaner*innen haben ihr Land verkauft, um | |
Schulden zu begleichen. | |
Eigentlich sollen Mikrokredite ein Weg aus der Armut im Globalen Süden | |
sein. Die Bundesregierung sieht sie als wichtigen „Baustein, um breiten | |
Bevölkerungsschichten den Zugang zu Finanzprodukten zu ermöglichen“. Denn | |
die bekommen von herkömmlichen Banken meist keine Kredite. Tatsächlich | |
gaben mehr als 80 Prozent der Kreditnerhmer*innen in der INEF-Studie | |
an, sie hätten „eher positive“ bis „sehr positive“ Erfahrungen gemacht. | |
Es gibt aber eben auch die andere Seite. Die [4][Wirksamkeit von | |
Mikrokrediten bei der Armutsbekämpfung] sei abhängig von Faktoren wie dem | |
Bildungsstand der Kreditnehmer*innen, schreibt die Bundesregierung. | |
Oder von „Produktspezifika“, also wie hoch Zinssätze sind und wie viel Zeit | |
Kreditnehmer*innen haben, um die Schulden zu begleichen. | |
## Taiwanesische Großbank will Mikrofinanzinstitut kaufen | |
Und hier liegt das Problem: Die hohen Zinsen und Renditen habe viele | |
profitorientierte Mikrofinanzinstitute angelockt. Die kambodschanische | |
Regierung deckelte schließlich die Zinsen auf 18 Prozent, aber das Geschäft | |
mit der Armut blieb lukrativ. Laut dem kambodschanischen Mikrofinanzverband | |
hatte der Sektor 2022 ein Portfolio von 9,4 Milliarden US-Dollar, das | |
entspricht über 30 Prozent des kambodschanischen Bruttoinlandsprodukts in | |
dem Jahr. | |
Einige Mikrokreditgeber starteten gemeinnützig wie LOLC Cambodia. Sie wurde | |
anfangs von einer katholischen Wohltätigkeitsorganisation betrieben. Heute | |
gehört sie einem srilankischen Investor. Erst Anfang Mai wurde bekannt, | |
dass Amret, eines der größten Mikrofinanzinstitute in Kambodscha, [5][an | |
eine taiwanische Großbank verkauft] werden soll – für eine halbe Milliarde | |
US-Dollar. Der KfW gehören 11,3 Prozent des Mikrofinanzinstituts Advans, | |
dem größten Anteilseigner von Amret. Die KfW wird also am Verkauf | |
verdienen, verliert aber die Kontrolle. | |
Dass die Bundesregierung nun auch die bestehenden anderen Portfolios | |
auslaufen lässt, begründet ein Sprecher des BMZ gegenüber der taz mit dem | |
Scheitern eines „intensiven“ Dialogs mit der kambodschanischen Seite. Es | |
seien „weitere Reformschritte und Verbesserungen notwendig“. | |
„Die Bundesregierung zieht sich zurück, ohne Lösungen anzubieten“, findet | |
Mathias Pfeifer, der sich bei der Menschenrechtsorganisation Fian seit | |
vielen Jahren mit den Menschenrechtsverletzungen im Mikrofinanzsektor in | |
Kambodscha beschäftigt. Er fordert, dass sich die Bundesregierung | |
finanziell an Beschwerdemechanismen und Schuldenerlassen für | |
Kreditnehmer*innen beteiligt. | |
## Staat soll sich an Aufarbeitung beteiligen | |
So sieht es auch Naly Pilorge: „Alle Investoren, einschließlich staatlicher | |
Entwicklungsbanken und -fonds, sollten über Systeme verfügen, um Schäden zu | |
untersuchen und den Kreditnehmern vor Ort zu helfen“. Auch die Rückgabe von | |
Landtiteln sei dringend notwendig. Entschädigungen oder Schuldenerlasse | |
betroffener Kreditnehmer*innen könnten nur die kambodschanischen | |
Finanzdienstleister selbst vornehmen, antwortet hingegen das BMZ der taz. | |
„Viel zu spät“ findet die entwicklungspolitische Sprecherin der Linken, | |
Cornelia Möhring, den Rückzug: „Statt einer zinsgetriebenen Privatisierung | |
der Entwicklungshilfe braucht es mehr Geld für den Aufbau von staatlichen | |
Sozialsystemen mit öffentlichen Auszahlungsprogrammen“. | |
23 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mficambodia.com/reports/Report-DebtThreats-2023-en.pdf | |
[2] https://dserver.bundestag.de/btd/20/113/2011361.pdf | |
[3] https://www.uni-due.de/imperia/md/content/inef/bliss_2022_mikro_finanzierun… | |
[4] /Verringerung-von-Armut/!5920788 | |
[5] https://www.phnompenhpost.com/business/local-mfi-sells-for-half-billion | |
## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
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