# taz.de -- Lage in Sudan: Humanitäre Katastrophe | |
> Vor einem Monat beschloss eine internationale Konferenz Hilfszusagen für | |
> Sudan in Milliardenhöhe. Doch die werden nicht eingehalten. | |
Bild: Menschen in Khartum in Sudan auf der Flucht | |
Groß waren die Erwartungen, als am 15. April – genau ein Jahr nach Beginn | |
des verheerenden Krieges in Sudan – Dutzende von Staaten, internationale | |
Organisationen und Hilfswerken [1][in Paris zusammenkamen], um unter der | |
Schirmherrschaft von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron diesen | |
„vergessenen Konflikt“ wieder auf die internationale Tagesordnung zu | |
setzen. Ebenso groß waren nämlich die Sorgen, dass die verheerenden Kämpfe | |
zwischen der Armee und der aufständischen Miliz RSF (Rapid Support Forces) | |
auf dem Rücken der Zivilbevölkerung nach einem Jahr Krieg und | |
Wirtschaftskollaps eine gigantische humanitäre Katastrophe hervorrufen, die | |
alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. „Schlimmstenfalls werden in | |
diesem Jahr eine Million Menschen verhungern“, [2][mahnte die deutsche | |
Außenministerin Annalena Baerbock] und forderte: „Wir alle müssen unserer | |
gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.“ | |
Die UN hatten kurz vor der Konferenz Alarm geschlagen: Ihr | |
[3][Sudan-Hilfsappell für 2024] mit einem Umfang von 2,695 Milliarden | |
US-Dollar (2,53 Milliarden Euro) sei nur zu rund 6 Prozent finanziert – | |
etwa 166 Millionen Dollar seien vorhanden, lächerlich wenig. Internationale | |
Geber sagten dann in Paris 2,2 Milliarden Dollar (2,03 Milliarden Euro) für | |
den Sudan-Hilfsappell sowie für die Versorgung von Sudan-Flüchtlingen in | |
Nachbarländern zu. Die größte Einzelzusage kam aus Deutschland: 244 | |
Millionen Euro. | |
Einen Monat später ist nicht nur kein Frieden in Sudan in Sicht, es ist | |
auch immer noch kein Geld da. Der Hilfsappell sei inzwischen bloß zu 12 | |
Prozent finanziert, [4][mahnte am 15. Mai die humanitäre UN-Koordinatorin | |
für Sudan, Clementine Nkweta-Salam]. „Die Krise gerät außer Kontrolle“, | |
sagte sie. „Das Zeitfenster zum Handeln schließt sich schnell. Wir haben | |
gerade noch sechs Wochen vor der mageren Jahreszeit, wenn Nahrungsmittel | |
zur Neige gehen und teurer werden. Dies fällt zusammen mit zwei weiteren | |
Fristen: der Beginn der Regenzeit, wenn Notleidende immer schwerer zu | |
erreichen sind, und das Ende der Aussaat, die misslingen wird, wenn wir den | |
Bauern kein Saatgut zur Verfügung stellen können.“ | |
Am Pfingstmontag, das ergibt ein Blick auf [5][die Daten der humanitären | |
UN-Koordinierungsstelle OCHA], lag die Deckung des Hilfsappells bei gut 13 | |
Prozent – etwas über 362 Millionen US-Dollar. Größter Geber sind die USA, | |
gefolgt von der EU-Kommission und Großbritannien, mit zusammen über 60 | |
Prozent der Gesamtsumme. Deutschland steht mit fast 13 Millionen US-Dollar | |
hinter Schweden an fünfter Stelle. | |
## Weniger als ein Hunderstel | |
13 Millionen im Vergleich zur Zusage von 244 Millionen sind schon | |
irritierend genug. Aber wenn man nur tatsächlich getätigte Zahlungen | |
berücksichtigt, rutscht Deutschland noch viel weiter nach hinten. Während | |
Großbritannien seine bislang von der OCHA in die Statistik eingestellten 41 | |
Millionen US-Dollar allesamt bereits zur Verfügung gestellt hat, sind aus | |
Deutschland laut OCHA von den knapp 13 Millionen nur rund 1,7 Millionen | |
Dollar (etwas über 1,56 Millionen Euro) auch tatsächlich geflossen – | |
weniger als ein Hunderstel dessen, was Baerbock im April verkündete. | |
Es gibt sicherlich tausenderlei bürokratische Gründe dafür. Und der Hinweis | |
sollte nicht fehlen, das Sudan-Konferenzgastgeber Frankreich noch weniger | |
zugesagt und gezahlt hat als Deutschland. Aber das ändert nichts daran, | |
dass die internationale Gemeinschaft in Sudan voll versagt und Deutschland | |
und Frankreich beim Versagen ganz weit vorne liegen. | |
Eine Woche vor dem dramatischen Appell der Sudan-Koordinatorin der UN hatte | |
die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen erneuten möglichen | |
Völkermord in Sudans Westregion Darfur festgestellt. In Darfur hat die RSF | |
vier von fünf Provinzhauptstädten unter ihre Kontrolle gebracht; [6][die | |
Eroberung der Stadt El Geneina vor einem Jahr] forderte nach unabhängigen | |
Schätzungen über 10.000 Tote, Hunderttausende von Menschen mussten völlig | |
mittellos ins Nachbarland Tschad fliehen. | |
## 1,8 Millionen Menschen in El Fasher | |
Die letzte noch von Regierungstruppen gehaltene Provinzhauptstadt El Fasher | |
beherbergt nach UN-Schätzung im Stadtgebiet und im Umland mittlerweile 1,8 | |
Millionen Menschen, viele davon Kriegsvertriebene. Ihre Versorgung ist | |
katastrophal, alle Verkehrswege sind entweder umkämpft oder werden von der | |
einen oder anderen Kriegspartei missbraucht, um Zugang zu verweigern, Güter | |
zu stehlen oder Gebühren zu erpressen. | |
Am 10. Mai startete die RSF ihren seit Monaten erwarteten Angriff zur | |
Eroberung von El Fasher. Seitdem bekämpfen sich Armee und RSF in Teilen der | |
Stadt mit schwerer Artillerie, ohne die geringste Rücksicht auf die | |
Zivilbevölkerung – ein vertrautes Muster aus Sudans Hauptstadt Khartum. | |
Über kurz oder lang macht diese Art von Kriegsführung ganze Städte | |
unbewohnbar und zerstört auf Dauer das soziale und ökonomische Gefüge der | |
Gesellschaft. | |
[7][Das Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen berichtet], wie im einzigen noch | |
funktionierenden Kinderkrankenhaus von El Fasher, das bereits überfüllt | |
war, Hunderte neue Verletzte ankamen, als die Kämpfe begannen. Viele | |
starben, dann mussten die kleinen Patienten in eine andere Klinik verlegt | |
werden, die dann wiederum bombardiert wurde. „Nirgendwo in der Stadt ist | |
man mehr sicher“, lautet das Fazit von MSF. „Wir prüfen alle Optionen, aber | |
momentan gibt es keine unmittelbare Lösung.“ Strom und sauberes Wasser gibt | |
es nicht, keine Kühlung, keine sterilen Bedingungen. Internationale | |
Beobachter müssen sich derweil darauf beschränken, per [8][Auswertung von | |
Satellitenaufnahmen] zu schätzen, wie groß die Stadtgebiete sind, die in | |
Flammen aufgegangen sind. | |
Was mit den Menschen dort passiert – niemand weiß es. Sie sterben, weil ihr | |
Land faktisch nicht mehr existiert. Nicht mehr bei ihnen vor Ort, nicht | |
mehr auf der Agenda der Weltpolitik. | |
21 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Sudan-Konferenz-in-Paris/!6004235 | |
[2] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2652778 | |
[3] https://reliefweb.int/report/sudan/sudan-humanitarian-needs-and-response-pl… | |
[4] https://reliefweb.int/report/sudan/opening-remarks-noon-briefing-clementine… | |
[5] https://fts.unocha.org/plans/1188/flows | |
[6] /Krieg-in-Sudan-haelt-an/!5932906 | |
[7] https://www.msf.org/sudan-nowhere-safe-deadly-fighting-escalates-el-fasher | |
[8] https://x.com/BenDoBrown/status/1791102526479106538 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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