# taz.de -- Unerfreuliche Begegnungen: Über das Zurückweichen | |
> Was tun, wenn dich jemand vor den Augen deiner Kinder aggressiv angeht? | |
> Die Antwort weiß vielleicht der Ethikrat. | |
Bild: Nicht jede Fahrradfahrerin hat einen Bodyguard bei sich, obwohl es mitunt… | |
Kürzlich pampte ich die Kinder an. Vielleicht ist anpampen ein zu milder | |
Begriff für meinen Zorn, als sie meine Aufforderung, die Spülmaschine | |
auszuräumen, mit der Frage quittierten, wie viel ich selbst im Haushalt | |
täte. „Das muss ganz sicher nicht eure Sorge sein“, schrie ich, als ich ein | |
schabendes Geräusch am Fenster hörte. | |
Als ich hinausschaute, sah ich [1][den Ethikrat], der sich auf den Stufen | |
unserer Katzentreppe niedergelassen hatte. Der Ethikrat, das sind drei | |
ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen | |
praktischer Ethik geben. „Guten Abend“, sagte ich noch immer aufgebracht, | |
„Sie können auch einfach an der Tür klingeln.“ | |
„Danke, Frau Gräff“, sagte der Ratsvorsitzende und hielt sich an der | |
Hauswand fest, denn die Katzentreppe war eher instabil. „Tatsächlich sind | |
wir in der Rolle unbeteiligter Beobachter.“ – „Tatsächlich?“, fragte i… | |
„Waren Sie nicht kürzlich noch in der Rolle beteiligter Friseure?“, denn | |
der Ethikrat hatte in einem Moment des Ungenügens [2][einen Friseursalon] | |
übernommen. – „Wir hatten Sehnsucht nach philosophischer Arbeit“, sagte | |
eines der beiden anderen Ratsmitglieder, die in der Regel schwiegen. | |
Der Rat überwand ein wenig mühsam das Fensterbrett, und ich bat ihn ins | |
Wohnzimmer. Die Kinder betrachteten ihn überrascht. „Das ist der Ethikrat“, | |
stellte ich vor. „Das sind meine Kinder.“ – „Angenehm“, sagte der Rat… | |
„Wir müssen jetzt leider die Spülmaschine ausräumen“, sagten die Kinder.… | |
„Wie bedauerlich“, sagte der Ratsvorsitzende. „Wir beginnen gerade unsere | |
Studie zum Thema Zorn als Mittel der Selbsterkenntnis.“ – „Sehr | |
bedauerlich“, sagte ich und schloss die Tür zur Küche. | |
„Kann ich Sie noch etwas zum Thema Zorn fragen?“, wandte ich mich an den | |
Ethikrat, der sich auf dem Sofa niedergelassen hatte. Ich war kürzlich | |
spätabends mit den Kindern von einem Fest nach Hause geradelt, das ältere | |
Kind hatte vor Müdigkeit kaum geradeaus fahren können. Kurz vor unserem | |
Haus waren wir auf zwei Frauen getroffen, die eine meckerte das auf sie | |
zuschlingernde ältere Kind an: „Entscheid dich mal.“ – „Das Kind ist m… | |
und tut, was es kann!“, rief ich. – „Mach dich vom Acker!“, rief die Fr… | |
Sie war vielleicht Anfang 60, ein bisschen untersetzt, blonder Knoten. | |
## Es riecht nach Schlägerei | |
Ich blieb stehen. „Die Stadt gehört allen“, sagte ich und fand selbst, dass | |
das milde pathetisch klang. – „Mach dich vom Acker!“, wiederholte die Frau | |
und näherte sich mir. Es roch nach Schlägerei. Das große Kind radelte | |
panisch davon, das kleinere wand sich auf meinem Rücksitz. – „Lass doch“, | |
sagte die zweite Frau zur Acker-Frau. – Ich fuhr davon. Das große Kind | |
stand weinend vor der Tür und sagte, es habe die Polizei rufen wollen, aber | |
das Telefon zu Hause gehabt. | |
„Ich frage mich“, sagte ich zum Ethikrat, „ob es fahrlässig war, nicht | |
direkt nach Hause zu radeln. Aber mir war nicht klar, dass die Kinder so | |
viel Angst hatten. Und dass die Frau sich würde schlagen wollen.“ – „War… | |
sind Sie stehen geblieben?“, fragte der Ratsvorsitzende und machte sich | |
Notizen in einem karierten Schulheft. – „Ich wollte das Gepampe der Frau | |
nicht unwidersprochen stehen lassen“, sagte ich. „Ist das nicht auch eine | |
Art Vorbild für die Kinder, sich nicht einschüchtern zu lassen?“ | |
„Suchen Sie nach einer Rechtfertigung dafür, dass Sie Ihr Bedürfnis nach | |
Selbstbehauptung über die Bedürfnisse Ihrer Umgebung gestellt haben?“, | |
fragte der Ratsvorsitzende und malte ein Herz in sein Karoheft. – „Nein“, | |
sagte ich, und es war eine Lüge. „Ich hoffte, Ihrer Zornforschung Material | |
an die Hand zu geben.“ Aber da klirrte es in der Küche, als sei es jemandem | |
allzu gleichgültig, wovon wir künftig essen würden. | |
20 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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