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# taz.de -- Österreich vor der Europawahl: Auf Anti-Europa-Kurs
> In Österreich erlebt die FPÖ vor der Europawahl einen Höhenflug. Ihre
> Herausforderer haben keine wirkungsvolle Strategie dagegen.
Bild: Herbert Kickl (Mitte): Aufwind im Bierzelt
Wenn man dieser Tage durch Wien spaziert, bemerkt man schnell, dass im
Sommer das EU-Parlament gewählt wird. Sieben Parteien treten in Österreich
an, ihre Wahlplakate zieren bereits die Hauptstadt. Eines fällt dabei
besonders ins Auge. Es ist eine Illustration, mit feinen schwarzen Linien
auf weißem Hintergrund.
Darauf zu sehen sind Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj. Sie
stehen sich ganz nah gegenüber, es ist ein intimes Bild. Ihre Köpfe neigen
sich wie zum Kuss zueinander, ihre Lippen berühren sich schon fast. Im
Hintergrund ein Gebirgspanorama, Helikopter fliegen durch die Luft, ein
Panzer ist zu sehen, ein Flüchtlingsboot und auch ein Coronavirus.
Um die beiden schwirren ein paar Schlagworte: Öko-Kommunismus,
Kriegstreiberei, Corona-Chaos, Asylkrise. Darunter das Wahlmotto der
Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ): „EU-Wahnsinn stoppen“.
Wenn man diesem Plakat auf den Straßen Wiens begegnet, bleibt einem nicht
viel mehr übrig, als fassungslos den Kopf zu schütteln. Und doch zeigt es
sehr gut, welche Themen im derzeitigen Wahlkampf die Hoheit genießen. Und
vor allem: mit welchem Spin sie vorkommen. Sachlich diskutiert wird über
Ukrainekrieg und Asylpolitik herzlich wenig. Das ist nicht verwunderlich,
wenn man die Zuspitzungen von FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky hört, der
von EU-Kriegstreiberei und Flüchtlingsinvasion spricht. Die
Spitzenkandidaten der anderen Parteien begeben sich jedoch rhetorisch fast
schon auf Vilimskys Niveau.
Ein Beispiel: NEOS-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter bezeichnete die FPÖ
bei der ersten Elefantenrunde der Spitzenkandidat*innen zur EU-Wahl
am 9. Mai live im Fernsehen mehrmals als Freunde Putins in Österreich.
Anstatt eigene Themen zu setzen, wird auf jede populistische Zuspitzung der
FPÖ ausführlich reagiert. So bleiben diese Themen mit FPÖ-Spin im Diskurs
und werden emotional aufgeladen. Und das spielt den Freiheitlichen in die
Karten.
## Anbiedern und Anprangern
Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die derzeit den Bundeskanzler stellt
und seit 1987 durchgehend in der Regierung ist (mit Ausnahme der
Expertenregierung 2019/2020, nachdem der Ibiza-Skandal die
ÖVP-FPÖ-Regierung gesprengt hatte), fährt derweil die Strategie, sich
inhaltlich an die FPÖ anzunähern und gleichzeitig FPÖ-Politiker, allen
voran Parteichef Herbert Kickl, als unwählbar anzuprangern. Eine Taktik,
die in Deutschland seit Jahren versucht wird und nicht aufgeht. Hier
schaffen es CDU/CSU auch nicht, den Aufstieg der in Teilen gesichert
rechtsextremen AfD zu bremsen. Stattdessen werden deren Themen salonfähig
gemacht.
Dasselbe passiert in Österreich. Wenn die ÖVP beginnt, von einer
österreichischen Leitkultur zu sprechen, schwächt das nicht die FPÖ. Wenn
die ÖVP DNA-Tests anwenden will, um den Familiennachzug von Asylwerbern zu
bremsen, schadet das der FPÖ, die schon seit Jahren gegen Flüchtlinge
hetzt, ebenso wenig. Und wenn die ÖVP lautstark den Rücktritt von FPÖ-Chef
Herbert Kickl fordert, führt das auch nicht dazu, dass FPÖ-Wähler*innen in
Scharen zur Volkspartei überlaufen. Vielmehr ist es Wasser auf den Mühlen
der „Wir gegen die Systemparteien“-Erzählung, die Kickl propagiert.
Die FPÖ führt seit mehr als einem Jahr in Österreich alle Umfragen an. Seit
Dezember bewegt sie sich in der wöchentlichen Sonntagsumfrage zur EU-Wahl
stets zwischen 25 und 30 Prozent. Dieses Ergebnis will die FPÖ bei der
Europawahl nach Hause tragen. Dafür muss die tendenziell EU-skeptische
Stammwählerschaft dazu bewegt werden, überhaupt zu einer EU-Wahl zu gehen.
Daher auch die Provokationen Vilimskys und die aggressiven Wahlplakate.
## Opa? Europa!
Traditionell gilt die EU-Wahl in Österreich als unbeliebt, die
Wahlbeteiligung ist stets niedriger als bei der Nationalratswahl. Diese
steht im Herbst 2024 an, und man könnte das Gefühl bekommen, die größten
Herausforderer der FPÖ sind in Gedanken schon dort. Das lässt sich auch an
der Wahl der Spitzenkandidaten erkennen: „Hast du einen Opa, schick ihn
nach Europa“, heißt es oft hämisch. Böse Zungen könnten behaupten, dieses
Motto trifft bei dieser Wahl den Nagel auf den Kopf. Die Adjektive jung,
charismatisch und beliebt sind weder auf Andreas Schieder (SPÖ, 55 Jahre)
noch auf Reinhold Lopatka (ÖVP, 64 Jahre) oder Helmut Brandstätter (NEOS,
69 Jahre) anzuwenden.
Eine Ausnahme gibt es bei den Grünen, die als Spitzenkandidatin die
23-jährige Klima-Aktivistin Lena Schilling präsentierten. Mit ihr wollte
man die diesjährige Wahl zur Klimawahl machen. Das ist bisher noch nicht
gelungen. Themen wie der Krieg in der Ukraine und die Asylpolitik
dominieren den Wahlkampf. Dass sich daran noch etwas ändert, ist zu
bezweifeln. Lena Schilling sieht sich nach einer [1][Recherche der Wiener
Tageszeitung der Standard] mit schweren Vorwürfen konfrontiert.
Derzeit deutet also viel auf einen EU-Wahlsieg der FPÖ hin, einer Partei,
die sich in vielen Themen ganz klar gegen EU-Linien stellt. Einer Partei,
die bisher gegen jede Russland-Sanktion gestimmt hat und 2016 einen
Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“ unterzeichnet
hatte. Einer Partei, die ganz offen davon spricht, EU-Politik nach dem
Vorbild Victor Orbáns zu machen.
Natürlich, bis zum Wahltermin am 9. Juni ist es fast noch einen Monat hin,
aber man könnte das Gefühl bekommen, die beiden ehemaligen Großparteien SPÖ
und ÖVP schreiben die EU-Wahl bereits ab und konzentrieren sich auf die
Nationalratswahl im Herbst. Das wäre fatal, denn ein gutes Ergebnis der FPÖ
bei der EU-Wahl wäre eine Steilvorlage für die Nationalratswahl. Ein
Wahlsieg dort und eine Regierungsbeteiligung der FPÖ wären denkbar. Das
wiederum gäbe der FPÖ viel mehr Macht, um Österreich außenpolitisch auf
Anti-EU-Kurs zu bringen.
18 May 2024
## LINKS
[1] /Oesterreichs-gruene-EU-Spitzenkandidatin/!6006312
## AUTOREN
Livio Koppe
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