# taz.de -- „Radbahn“-Testfeld in Kreuzberg eröffnet: Vision mit Spatzenha… | |
> Nach Jahren des Planens hat das „Reallabor Radbahn“ ein sogenanntes | |
> Testfeld eingeweiht. Es zeigt die Chancen und Grenzen von | |
> Mobilitätsideen. | |
Bild: Wo Visionen ein bisschen wahr werden: das „Radbahn“-Testfeld in Kreuz… | |
BERLIN taz | Im Anfang war die Vision: Radfahren quer durch Kreuzberg, | |
sicher und vor Regen geschützt, auf der bislang von Autos zugeparkten | |
Fläche unter der Hochbahn zwischen Gleisdreieck und Schlesischem Tor. Eine | |
radikal einfache Idee, auf die nur erst mal jemand kommen musste. [1][Das | |
Projekt „Radbahn“ war geboren] und bald in aller Munde. | |
Knapp zehn Jahre später drängen sich an diesem Donnerstag Pulks von | |
KreuzbergerInnen mit Kind, Kegel und Lastenrad unter den stählernen Stützen | |
des Viadukts. Was sie bewundern dürfen, hat mit der Ursprungsvision nicht | |
mehr viel zu tun. Oder noch nicht? Fakt ist: Das „Testfeld“ des „Reallabo… | |
Radbahn“ zwischen Mariannen- und Oranienstraße ist keine 200 Meter lang, | |
dafür aber ein dicht bepackter Parcours aus ökologischen | |
Wohlfühl-Angeboten. | |
Beim Abschreiten der Strecke sucht man instinktiv nach einem Bällebad: Das | |
gibt es natürlich nicht, dafür laden am Rande neben schilfbepflanzten | |
Wasserreinigungstanks und einer Installation aus Spatzenhäusern und | |
Insektenhotels mehrere Aufenthaltsflächen mit Steckdosen und W-Lan zur | |
Entspannung ein – wohlgemerkt, zwischen zwei Fahrbahnen mit dichtem | |
Autoverkehr, während über den Köpfen die U-Bahnzüge entlangdonnern. | |
Da gibt es schick designte Bänke und ein Röhren-Telefon für die Kleinen, | |
aber auch eine Reparaturstation mit einem blauen Automaten, aus dem man für | |
neun Euro statt Zigaretten einen frischen Fahrradschlauch ziehen kann. | |
Große, in einen wurffreundlichen Winkel gekippte Mülleimer sind wie gemacht | |
fürs Velo-Multitasking: Wer beim Fahren eine Banane isst oder Zeitung | |
liest, kann die Reste hier versenken, ohne anhalten zu müssen. | |
## Schotter und Kännchen | |
Die Ränder zur Straße hin wurden aufwendig entsiegelt und mit | |
pflegeleichten Stauden besetzt. Die Oberfläche rund um die Jungpflanzen ist | |
mit hellgrauem Schotter bedeckt, der allerdings nur als Mulchschicht dient | |
und kaum noch sichtbar sein soll, wenn das Grün einmal gewachsen ist. Weil | |
unter dem Viadukt wenig Regen ankommt, soll mit den besagten Tanks versucht | |
werden, das kontaminierte Wasser aufzubereiten, das von den Hochbahngleisen | |
abgeleitet wird. Für die Kinder stehen am Donnerstag aber auch bunte | |
Gießkännchen bereit. | |
Schon klar – das aus dem mit rund drei Millionen Euro von Bund und Land | |
gefüllten Fördertopf finanzierte „Testfeld“ soll ja nur in komprimierter | |
Form zeigen, was alles so machbar wäre, wenn der Senat irgendwann mal tief | |
in die Tasche griffe und die Radbahn Wirklichkeit würde. Für RadlerInnen | |
hat es aktuell keinen realen Nutzen. | |
Und ein Besuch verdeutlicht nur das Grundproblem des Projekts: Die | |
politischen Ansprüche der Verkehrswende haben die Radbahn-Vision irgendwann | |
in den vergangenen zehn Jahren überholt. Die je 1,30 Meter breiten Spuren, | |
die hier zwischen die Pfeiler des Testfelds passen, erfüllen nicht die | |
Standards des Berliner Mobilitätsgesetzes, an sicheres Überholen ist hier | |
schon mal gar nicht zu denken. | |
Tatsächlich hatte eine [2][noch unter der grünen Verkehrssenatorin Bettina | |
Jarasch durchgeführte Machbarkeitsstudie] den engen Rahmen des Viadukts | |
längst gesprengt und eine Variante ins Spiel gebracht, bei der die ganze | |
nördliche Fahrbahn der Skalitzer und Gitschiner Straße zu einer | |
kombinierten Rad-, Flanier- und Lieferzone würde – unter der Hochbahn | |
könnte man dann immerhin noch sitzen oder spazieren. | |
Davon, dass sich diese weiterentwickelte Vision irgendwann materialisiert, | |
ist angesichts der aktuellen politischen Verhältnisse nicht auszugehen. Den | |
vom Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksamt weitergedrehten [3][Plan einer | |
Flaniermeile auf dem Halleschen Ufer] hatte Verkehrssenatorin Manja | |
Schreiner (CDU) im vergangenen Herbst schließlich auch schon abgewürgt. | |
## Einfach mal ausprobieren | |
Aber vielleicht brauchen Visionen eben viel Zeit. Als am Donnerstag der | |
Architekt und Reallabor-Geschäftsführer Matthias Heskamp – laut Website | |
„konzeptionelles Mastermind und Visionär“ des Projekts – auf eine Bank | |
steigt, um eine flammende Willkommensrede zu halten, spricht er von den | |
vielen Bedenken, die dem Projekt immer wieder entgegengeschlagen seien. | |
„Wir probieren es jetzt einfach aus“, ruft er in die Menge. „Wenn es | |
klappt, machen wir weiter, und was nicht funktioniert, räumen wir eben | |
wieder ab.“ | |
Die kommenden Monate werden, so oder so, zur Bewährungsprobe. Unter anderem | |
für die Taubengitter, die oben unterm Gleisbett eingebracht wurden. An | |
manchen Stellen haben die findigen Vögel schon Schlupflöcher entdeckt: Man | |
sieht’s an den säuberlich abgegrenzten Kackflecken auf dem frischen | |
Radwegbelag. | |
26 Apr 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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