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# taz.de -- Neues Album von Die Partei: Hier kommt die moderne Physik
> Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Das Kölner Artpopelektronik-Duo Die
> Partei hat mit „Celaviemachinery“ ein neues Album veröffentlicht.
Bild: Zwei Spitzenkandidaten, eine Partei: Walter Dahn und Tom Dokoupil
In manchen deutschen Städten gibt es lange unromantische Straßenschneisen
(noch unterhalb der Stadtautobahnen), welche durch unspektakuläres,
prosaisches Büro- oder Kleinindustriegelände führen, aber wunderbare Namen
tragen und so und durch ihre unbeirrte Länge dennoch Stimmungen
begünstigen, die zu den schönsten unter den synthetischen Emotionen zählen.
In Berlin wäre das „Adlergestell“ zu nennen, doch gleich danach, noch vor
der Hamburger „Ost-West-Straße“, kommt die Kölner „Nord-Süd-Fahrt“. …
ist nicht einfach eine Straße, Road oder Highway, dies ist eine Fahrt, a
ride – wie auf dem Rummelplatz, ein Abenteuer, wenn auch ein von Banalität
umstelltes.
Vor mehr als 40 Jahren haben der bildende Künstler Walter Dahn und [1][der
Musiker und Produzent Tom Dokoupil] in Köln unter dem Namen Die Partei „La
Freiheit des Geistes“, ein reines Synthesizeralbum ohne Gesang,
aufgenommen, das mit einer stimmungsvoll possierlichen Elektro-Vignette
endet, die sie „Nord-Süd-Fahrt“ benannt haben. Nun haben sie die Fahrt in
umgekehrter Richtung unternommen: Mit „Süd-Nord-Fahrt“ eröffnet ihr zweit…
Album „Celaviemachinery“, das sie dieser Tage veröffentlichen.
Doch war das Debütalbum nicht so weit entfernt von dem, was andere
elektronische Tüftler und Talente damals von sich gaben: bunt, kreativ,
verspielt, gerne sich auch mit Billigtechnologie der Firma Casio
ausprobierend.
Zwischen Sheffield, San Francisco und Düsseldorf war das in den frühen
1980er Jahren verbreitet und einige Leute wie [2][das Düsseldorfer
Multitalent Pyrolator (auch bei Der Plan und Fehlfarben)] hatten in dem
neuen Genre schon eine gewisse Meisterschaft erreicht [3][(siehe Pyrolators
Soloalben „Inland“ und „Ausland“)]. Aber auch Partei-Mitglied Tom Dokou…
war unter dem Pseudonym Siluetes 61 auf einem Album, das bei Zickzack
erschien, Ähnliches gelungen.
Kraut-Kosmik und New-Wave-Sarkasmus
Die Teen-Punks von den Undertones spotteten seinerzeit über diesen Trend:
„His mother bought him a synthesizer / Got the Human League in to advise
her / Now he’s making lots of noise / Together with the art school boys.“
Es war aber nicht nur das: Manches konnte auch als [4][eine Versöhnung
(oder Kontinuität) von Kraut-Kosmik und New-Wave-Sarkasmus] durchgehen. Art
School war aber natürlich immer in der Nähe.
Das neue Album von Die Partei hat dagegen etwas tatsächlich Zeitloses. Es
trägt dem Umstand Rechnung, dass das nächtliche Gleiten durch Kölner
Innenstadtlandschaften seine psychogeografischen Valeurs nicht eingebüßt
hat, vor allem, wenn ein feuchter Film auf dem funzlig beleuchteten Asphalt
glänzt. Statt Quieken und Klingeln und unfreiwillige, aber gern in Kauf
genommene Komik wird hier ein Standard behauptet, ein Maß gefunden.
Sämtliche dieser sweeten Synthesizerinstrumentals sind ziemlich genau 3:30
Minuten lang und vermitteln einen Eindruck von Symmetrie und Regelpoetik,
ohne sich dafür auf die rhythmischen Klarstellungen von House und Techno zu
verlassen.
Gleiten, Flutschen und Ineinandergreifen werden dem Tanzen vorgezogen. In
eine Klanglichkeit gekleidet, die tatsächlich, gerade weil sie an eine
Vergangenheit erinnert, die sie für ihre Zukunft hielt, von keiner Epoche
eindeutig vereinnahmt werden kann.
Manches wirkt so süßlich, dass man sich unwillkürlich einen Schlager
ausdenkt, den Nino de Angelo dazu hätte singen können, anderes klingt so
elegant, als wollte hier jemand den französischen Spielzeug-Synthie-Pop
eines Jacno neu erfinden, und dann wogt es so spacig, dass das
Kosmische-Kuriere-verrückte germanophile Ausland heftig getriggert werden
dürfte.
Die Einsamkeit von „Tatort“-Kommissaren
Und immer wieder denkt man an die spezifische bundesdeutsche, provinziell
existenzialistische Tristesse, wie sie eigentlich immer nur einsame
„Tatort“-Kommissare befällt, wenn ihre inneren Widersprüche und der
ungelöste Fall sich vor der Kulisse einer nassen Mittelstadtnacht
miteinander verheddern.
1981 nannte man sich als Duo Die Partei, mutmaßlich weil man
Entschiedenheit und avantgardistische Disziplin in einem kulturellen
Setting verkörpern wollte, wo eigentlich alle gerade hemmungslos ihre
kleinbürgerliche Kreativität auslebten.
Man war zwar inhaltlich kein Maoist mehr (was der Beuys-Schüler Dahn und
der aus der ČSSR geflohene Dokoupil mutmaßlich eh nie waren), aber ohne den
alten Inhalt war das coole Immerrechthaben einer Partei besonders sexy.
Jetzt haben die beiden aber einen Stil gefunden, der tatsächlich etwas
Verbindliches anbieten zu wollen scheint. Die Überraschung ist gelungen.
Walter Dahn hat während der ersten Jahrzehnte seiner Malerkarriere immer
mal wieder Musik veröffentlicht, mit Bands wie Die Hornissen, The Jewellers
oder als #9 Dream, gemeinsam mit Helmut Zerlett of Harald-Schmidt-Showband-
and Dunkelziffer-Fame. Die Koordinaten waren aber eher Blues und Velvet
Underground oder eben John Lennon als das perfekte Synthie-Ornament.
Begabtes Tausendsassatum
Und auch Tom Dokoupil, musikalischer Kopf von Wirtschaftswunder und anderen
zu den originelleren Hervorbringungen der Neuen Deutschen Welle zählenden
Bands sowie Produzent und Toningenieur zahlloser NDW- und
Dancefloor-Produkte sowie Tausender anderer Leuchten von Karel Gott über
Edwyn Collins bis Wreckless Eric, war in seinem begabten Tausendsassatum
nicht unbedingt als Kandidat für das Lancieren überzeitlicher
elektronischer Ausgewogenheiten hervorgetreten.
Zwei konkrete historische Bezüge gibt es aber bei aller Anmutung von in
sich verkapselter klassisch-ewiger Elektronik denn doch: den frühen Brian
Eno, dessen wunderbares „Here Come the Warm Jets“ nicht nur bearbeitet
wird, sondern auch so etwas wie ein atmosphärisches Rahmenprogramm bildet.
Und der in letzter Zeit in den Amphetaminküchen von Albuquerque
wiederentdeckte Werner Heisenberg darf zum gleichnamigen Track originale
Soundbites beitragen.
Moderne Physik und ihre Verstrickungen und die Entwicklung einer nicht
expressiven Klangkunst sind aber plausible Fluchtpunkte für dieses
inhaltlich ansonsten so schweigsame Projekt.
25 Apr 2024
## LINKS
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[2] /Wuppertaler-Kulturzentrum-boerse/!5974723
[3] /Wire-in-Duesseldorf-am-9111978/!5724147
[4] /Compilation-Duesseldorf-Tape-Underground/!5955479
## AUTOREN
Diedrich Diederichsen
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