Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Abschiebungen von ÊzîdInnen in den Irak: Pro Asyl fordert Sonderr…
> Niedersachsen schiebt seit April uneingeschränkt in den Irak ab.
> Besonders für ÊzîdInnen ist das unzumutbar, heißt es in einem neuen
> Gutachten.
Bild: Auch Niedersachsens ÊzîdInnen droht die Abschiebung wie hier in Leipzig…
Bremen taz | Seit April schiebt Niedersachsen abgelehnte AsylbewerberInnen
ohne Einschränkungen in den Irak ab. Bisher waren Abschiebungen nur
möglich, wenn sich Personen strafbar machten, oder als GefährderInnen
eingeschätzt waren. Nun stellt ein neues [1][Gutachten] im Auftrag von Pro
Asyl diese Praxis erheblich infrage. Die Situation im Irak sei insbesondere
[2][für ÊzîdInnen unhaltbar.]
ÊzîdInnen sind von der niedersächsischen Entscheidung besonders betroffen.
Mit 250.000 Menschen befindet sich in Deutschland die größte europäische
Diaspora. Die meisten ÊzîdInnen leben in Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen.
Noch im letzten Jahr hatte der Bundestag beschlossen, das Massaker, das die
Terrororganisation IS 2014 an den ÊzîdInnen verübte, als [3][Genozid
anzuerkennen]. Damit gab er ein besonderes Schutzversprechen für êzîdisches
Leben in Deutschland. Dennoch sieht das Bundesinnenministerium derzeit
keine Belege für eine systematische Verfolgung von ÊzîdInnen und lehnt
deshalb eine Sonderregelung im Asylrecht ab. In der Vergangenheit hat es
solche [4][Sonderregelungen durchaus schon gegeben]. Sie sind sowohl auf
Länder,- als auch auf Bundesebene realisierbar.
Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher bei Pro Asyl, kann nicht
nachvollziehen, „wieso Niedersachsen jetzt diese Entscheidung getroffen hat
und welchen Anlass es dafür gibt“. Das sei für ihn „rational nicht
begründet“. Er spricht sich deutlich gegen den niedersächsischen Beschluss
und für eine gruppenbezogene Sonderregelung bei ÊzîdInnen aus.
## Pro Asyl fordert generellen Abschiebestopp in den Irak
Darüber hinaus fordert er einen generellen Abschiebestopp in den Irak.
Insbesondere ÊzîdInnen würden in die Ungewissheit, zumeist ohne Perspektive
geschickt. Die Community lebe oft nicht mehr an den ursprünglichen Orten im
Nordirak, sondern in Massenunterkünften, die 2014 einmal als Nothilfslager
geschaffen wurden, so Alaows. In diese schwierigen Lebensbedingungen kämen
auch die Abgeschobenen aus Deutschland. In den Unterkünften fehle es an
Infrastruktur oder sogar am Zugang zu Wasser. Die Menschen seien
traumatisiert, es käme deshalb zu Suiziden.
[5][Pro Asyl] sieht einen klaren Widerspruch zwischen dem Schutzversprechen
der Bundesregierung durch die Anerkennung des Genozids und der Praxis bei
den Asylverfahren. Das von Pro Asyl und der Menschenrechtsorganisation Wadi
e. V. herausgegebene Gutachten beschreibt die Lage der ÊzîdInnen „als
Gruppe, deren Lebensgrundlagen systematisch zerstört wurden“. Der
Völkermord habe „das gesellschaftliche Gewebe vor Ort zerrissen“. Gehäuft
würden Êzîdinnen vor Ort frei herumlaufende Vergewaltigungstäter
wiedererkennen: „Die Täter von gestern und die potenziellen Täter von
morgen wohnen in der Nachbarschaft oder im nächsten Dorf“, heißt es in dem
Gutachten.
In Shingal (Sinjar), dem Siedlungsgebiet der ÊzîdInnen im nördlichen Irak,
stehen diese nun zwischen allen Fronten. Bis zu zehn Milizen
unterschiedlicher staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen,
darunter auch des Iran und Syriens, trügen ihre teilweise bewaffneten
Machtkämpfe dort aus. Das Gebiet habe sich unter anderem auch wegen
türkischer Luftangriffe und gezielter Tötungen durch Drohnen in ein
„Schlachtfeld“ zwischen der ansässigen PKK und der Türkei verwandelt. Laut
dem Gutachten sind in der Stadt Shingal und Umgebung 80 Prozent der
öffentlichen Infrastruktur und 70 Prozent der Privathäuser schwer zerstört.
Für die instabile Lage sei keine Lösung in Sicht.
Eine konkrete Begründung für die Entscheidung des Landes gibt es nicht.
Oliver Rickwärtz, Pressesprecher des niedersächsischen Innenministeriums,
verweist auf Anfrage der taz darauf, dass zuerst StraftäterInnen und
GefährderInnen die Abschiebung drohe. Außerdem nehme das für die
Asylanträge zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), in
individuellen Fällen Rücksicht auf eine êzîdische Religionszugehörigkeit
bei IrakerInnen. Die Ausländerbehörden der Länder seien dann bei
abgelehnten Asylgesuchen für die Abschiebungen zuständig.
## Thema bei der Innenministerkonferenz?
Kai Weber, Geschäftsführer des [6][Flüchtlingsrats Niedersachsen]
bestätigt, dass es informelle Praxis einiger Länder ist, auch ohne einen
formellen Abschiebungsstopp geflüchtete ÊzîdInnen nicht abzuschieben. Das
bringe der Gruppe aber keine Sicherheit. Der niedersächsische Beschluss
löse zusätzlich „massive Unsicherheit aus, macht krank und setzt die
Betroffenen unter Druck“, so Weber. Laut Einschätzung des Flüchtlingsrats
gilt die niedersächsische Entscheidung „dem selbst geschaffenen politischen
Druck, die Abschiebungszahlen womöglich um jeden Preis zu erhöhen“.
Bisher mussten noch keine ÊzîdInnen Niedersachsen zwangsweise verlassen.
[7][Pro Asyl] sind aber Fälle aus anderen Bundesländern bekannt. Die
Abschiebungen in den Irak könnten bei der kommenden Innenministerkonferenz
im Juni ein Thema sein. Alaows sorgt sich aber, dass man dort nun mit
Niedersachsen „ein Bundesland verloren hat, das eigentlich progressiver
vorgeht, und so einen Ausgleich, zu beispielsweise Bayern oder Brandenburg
schuf“. Seit einem „Migrationsdeal“ im Mai 2023 zwischen Deutschland und
dem Irak haben Abschiebungen dorthin stark zugenommen.
25 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.proasyl.de/material/gutachten-zehn-jahre-nach-dem-voelkermord-z…
[2] /Ueberlebende-des-Genozid-an-den-ziden/!5978191
[3] /Bundestag-ueber-Genozid-an-ziden/!5906527
[4] /zidische-Diaspora-in-Deutschland/!5980923
[5] https://www.proasyl.de/?gad_source=1&gclid=Cj0KCQjw_qexBhCoARIsAFgBletd…
[6] https://www.nds-fluerat.org/
[7] /Pro-Asyl/!t5012390
## AUTOREN
Lilli Uhrmacher
## TAGS
Jesiden
Niedersachsen
Abschiebung
Schwerpunkt Flucht
Irak
Pro Asyl
Jesiden
Abschiebung
Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Abschiebung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verfolgte Jesid*innen: Von der Welt vergessen
Zehn Jahre nach dem Massaker von Sindschar sind Jesiden weiterhin in
Gefahr. Während sie in Deutschland für einen Abschiebestopp kämpfen, bleibt
die Lage in ihrer Heimat instabil.
Abschiebestopp von ÊzîdInnen: Niedersachsen will Vorbild sein
Auf der Innenministerkonferenz wirbt Niedersachsens Innenministerin für
einen bundesweiten Abschiebestopp von êzîdischen Frauen und Kindern.
Nach tödlichem Anschlag in der Türkei: Verurteilung zu lebenslanger Haft
Eine Syrerin muss für den Anschlag auf eine Geschäftsstraße in Istanbul
2022 lebenslänglich in Haft. Laut Behörden sei sie der PKK verbunden.
Nach Reform bei Abschiebungen: Pflichtanwält*innen gesucht
Ende Februar trat das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Ampel in Kraf…
Nun werden Pflichtanwält*innen für Abschiebehäftlinge dringend gesucht.
Êzîdische Diaspora in Deutschland: Abschiebestopp auf Zeit
Der Irak ist für êzîdische Frauen und Kinder gefährlich, darum schiebt sie
NRW vorerst nicht mehr ab. Aber die Bundesregierung bleibt bisher untätig.
Überlebende des Genozid an den Êzîden: Abschiebung in Elend und Gefahr
Ali Saydo floh vor den IS-Mördern nach Deutschland. Wie andere Êzîden soll
er nun zurück in den Irak gezwungen werden. Dabei droht dort weiter
Verfolgung.
Protest von Êzîd*innen in Berlin: Abschiebung trotz Genozid
Êzîd*innen aus dem Irak protestieren vor dem Bundestag gegen drohende
Abschiebungen. Viele von ihnen waren deswegen in einen Hungerstreik
getreten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.