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# taz.de -- Baupläne in Kroatien: Dubai an der Adria
> Die kroatische Hafenstadt Rijeka will eine Arena und Hochhäuser bauen.
> Anderen Städten könnte das als Vorbild dienen. Doch es gibt Widerstand.
Bild: Das alte Stadion Kantrida: Einen Platz in der ersten Reihe hat es sich sc…
Aus Rijeka Loredana Varljen hat von ihrem Haus am Hang einen wunderbaren
Blick auf die Kvarner Bucht und das Fußballstadion von HNK Rijeka. Steil
abschüssig liegt es nur etwa 50 Höhenmeter tiefer – direkt an der Adria.
Nicht nur die Fans des kroatischen Spitzenklubs zählen die Arena deshalb zu
den schönstgelegenen der Welt. Schon der Urgroßvater von Varljens Mann hat
vor über 100 Jahren dort gekickt. Zusammen mit einer Bürgerinitiative
kämpft die Familie jetzt gegen ein gigantisches Ausbauprojekt an der
Stelle, das aus ihrer Sicht nicht nur ein Stadtviertel zerstören würde,
sondern auch die kroatische Küste.
Der Fußballplatz wurde 1912 in einem alten Steinbruch angelegt, den
legendären Felsen von Kantrida, die das Stadion bis heute flankieren. Im
vergangenen Jahrhundert wurde es mehrfach vergrößert und dann wieder
verkleinert, um auf dem schmalen Areal mit Plätzen für zuletzt gut 10.000
Zuschauer den strengen Auflagen des europäischen Fußballverbands Uefa zu
genügen.
Vor neun Jahren zog der Verein dann doch in ein neugebautes Stadion um, das
etwa 200 Meter höher in den Hügeln von Rijeka im Ortsteil Rujevica liegt.
Finanziert hat das alles Klub-Präsident und HNK-Eigentümer Damir Mišković.
Für ihn ist es aber eine Interimslösung: Der im Ölgeschäft reich gewordene
Unternehmer träumt schon lange von einem Neubau des Kantrida-Stadions. Das
ist derzeit verwaist, drumherum gruppieren sich aber Sportplätze und
Sporthallen, die die Stadt für die örtlichen Vereine eingerichtet hat.
Ein erster Versuch von Mišković, die in Kroatien sehr aktiven Chinesen für
den Neubau zu gewinnen, scheiterte. Jetzt glaubt er jedoch an den großen
Wurf: Kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres präsentierte er Pläne für ein
futuristisches „multifunktionales“ Stadion mit geschwungenen Dächern und
14.000 Plätzen, das er mit einem Konsortium aus Unternehmen und
internationalen Finanzfonds bauen will.
## Teures Bauen
Das Projekt auf städtischem Grund hat aber seinen Preis: Miškovićs Pläne
sehen neben einem Hotel noch drei Hochhäuser mit Luxusapartments vor,
direkt neben dem Stadion am Strand von Kantrida. Mit für kroatische
Verhältnisse schwindelerregenden Wohnungspreisen von geschätzt bis zu
10.000 Euro pro Quadratmeter soll die Arena finanziert werden. Die
Baukosten werden von den Beteiligten mit rund 150 Millionen Euro angegeben.
Doch allein die dafür benötigte neue Infrastruktur wie Straßen – nur zwei
kleine steile Straßen führen runter zu Stadion und Strand – dürfte ein
Mehrfaches verschlingen.
Mit der „Rückkehr nach Kantrida“ hat Mišković geschickt nostalgische
Gefühle in der Fußballstadt Rijeka angesprochen – und hat Hoffnung auf
große Zeiten geweckt. Rijeka, das bisher nur in der Europa League vertreten
war, soll einmal in der Champions League spielen. Während Kroatiens
Nationalmannschaft dank ihrer im Ausland tätigen Starkicker zu den Besten
der Welt zählt, kann die kleine einheimische Liga nicht mithalten.
Der Unternehmer präsentiert sich zugleich als urbaner Visionär: Das
Vorzeigeprojekt soll Rijeka, das in den vergangenen drei Jahrzehnten um ein
gutes Drittel auf nunmehr rund 100.000 Einwohner geschrumpft ist, den
dringend nötigen Strukturwandel als Industrie- und Hafenstadt bringen.
Mišković stellt sein Ensemble aus Hochhäusern – das größte würde mit 116
Metern das höchste in ganz Kroatien sein – kühn in eine Reihe mit
Barcelona, Dubai oder Miami.
Der sozialdemokratische Bürgermeister Marko Filipović sieht eine Chance,
ein vernachlässigtes Viertel und damit auch die ganze Stadt international
aufzuwerten. Auch die nationalkonservative Regierung in Zagreb ist voller
Lob für die Pläne.
## Aufstrebende Industriestadt
Die Bürgerinitiative spricht dagegen von einem „größenwahnsinnigen“
Projekt. „Es zerstört unseren Stadtteil und die Küstenlandschaft“, sagt
Ljiljana Došen, eine Mitstreiterin von Varljen. Mit seinen alten Villen,
seinen Stränden und kleinen Fischerhäfen, den Alleen und dem üppigen Grün
ist Kantrida ein ganz besonderes Biotop. Zum Kiez gehören auch einige auf
den Hügeln verstreute Hochhausblocks, die in den 1970er Jahren unter Tito
für die Arbeiter und ihre Familien gebaut wurden, die in die damals
aufstrebende Industriestadt Rijeka strömten.
Der Stadtrat hat bereits erste Änderungen des Stadtentwicklungsplans GUP
(Generalni Urbanistički Plan) beschlossen. Statt Sport und Erholung soll an
der Küste von Kantrida, das fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt,
auch eine „gemischte“ Nutzung möglich sein. Einst war Kantrida der
angesagteste Strand in Rijeka, bis in der Nachkriegszeit unter [1][Titos
forcierter Industrialisierung die Verschmutzung] durch die nah gelegene
Großwerft „3. Mai“ das Baden unmöglich machte.
Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens gingen auch Rijekas große
Industrieunternehmen bankrott. Da es in Kantrida aber inzwischen
Kanalisation gibt und die Hafenindustrie an Bedeutung verloren hat, haben
die Einwohner auch ohne Hilfe der Stadt Küste und Strand für sich
zurückerobert.
Varljen und Došen organisieren mit ihrer Initiative Workshops für Kinder,
für die am Strand ein kleiner Bücherstand eingerichtet wurde, oder
Kochkurse für Erwachsene. Im Sommer sind an der Promenade abends Filme zu
sehen. Ein Kneipier betreibt dort eine Strandbar, die inzwischen in Rijeka
Kultcharakter hat.
## Grün-liberale Partei dagegen
Im Stadtrat von Rijeka hat lediglich die grün-liberale Partei Možemo (Wir
können), die in der Hauptstadt Zagreb immerhin den Bürgermeister stellt,
gegen die Änderungen des GUP gestimmt. Für Nebojša Zelič, einer der beiden
Stadträte, geht es aber nicht nur um Kantrida. „Der Bau von drei
Hochhäusern direkt am Strand ist ein Präzedenzfall für ganz Kroatien“, sagt
er. Auch unter Architekten mehren sich die Stimmen, die einen Dammbruch bei
der Bebauung der Küste befürchten. Die kroatische Architektenkammer hat
deshalb frühzeitig einen Wettbewerb für Architektur und Stadtplanung
gefordert.
Der Investorendruck auf die für ihre Schönheit gerühmte kroatische Küste
hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Mit dem Anschluss an die
Eurozone im vergangenen Jahr will die Regierung Investitionen im wichtigen
Tourismussektor vorantreiben. Dieser erwirtschaftet rund 20 Prozent des
Bruttosozialprodukts – weltweit ein Spitzenwert. Der Euro hat aber in
Kroatien die Inflation, die durch den Krieg in der Ukraine ohnehin hoch
war, weiter beschleunigt. Die Preise sind zum Leidwesen der einheimischen
Bevölkerung und der Touristen explodiert. Doch dem Bauboom an der Kvarner
Bucht oder entlang der dalmatinischen Küste tut das keinen Abbruch.
Immobilien sind in Kroatien für Einheimische eine beliebte Wertanlage und
vor allem für ausländische Investoren auch Spekulationsobjekt, da das Land
keine Grundsteuer kennt. Trotz vieler illegaler Bauten ist die Küste jedoch
anders als etwa in Spanien von massiver Verschandelung verschont geblieben,
da in Kroatien das Meer öffentlich zugänglich sein muss – diese alte
Errungenschaft des sozialistischen Jugoslawiens hat weiter Bestand.
Die Regierung in Zagreb dachte zwar im vergangenen Jahr über verbesserte
Konzessionen für Hotels an den Stränden nach. Die Pläne wurden jedoch
aufgegeben, nachdem Možemo mit Petitionen Stimmen dagegen sammelte. Auch in
Kantrida sollen die neue Promenade und der Strand offen bleiben, versichert
Rijekas Bürgermeister. Bei drei Hochhäusern und einem Hotel dürfte dies
aber schwierig werden.
## Nur noch dem Tourismus dienen
Als Industriestadt ist das jahrzehntelang italienisch geprägte Rijeka kein
erklärtes Ziel für Touristen gewesen. Doch deren Zahl ist zuletzt deutlich
gestiegen, zugleich sind die Immobilienpreise in die Höhe geschossen. Die
riesigen verödeten Industriebrachen eröffnen Investoren [2][neue Chancen in
Rijeka, das 2020 Kulturhauptstadt Europas war].
Stadtrat Zelič möchte verhindern, dass Rijeka ein ähnliches Schicksal
erleidet wie die südlicher gelegenen dalmatinischen Städte Dubrovnik, Split
und Zadar, wo die Altstadtviertel nur noch dem Tourismus dienen. „Schon
jetzt ist es auch in Rijeka für eine Familie kaum noch möglich, eine
günstige Wohnung zu mieten oder zu kaufen“, sagt Zelič, der eine weitere
Umwandlung von alten und neuen Wohnungen in Touristenunterkünfte an der
Küste verhindern will.
Das Preisniveau in den kroatischen Ferienorten ist inzwischen oft höher als
in Spanien oder Italien. Viele Kroaten können sich das Leben an der Küste
kaum noch leisten. Da es an qualifizierten Arbeitsplätzen im Land ohnehin
mangelt, wandern die jungen und oft gut ausgebildeten Menschen aus. Rund
zehn Prozent (400.000) haben Kroatien, das inzwischen weniger als vier
Millionen Einwohner hat, im vergangenen Jahrzehnt verlassen.
Der Bauboom an der Küste und die „Apartmentisierung“ haben gravierende
Folgen für Infrastruktur und Umwelt: Im nur wenige Kilometer von Kantrida
entfernten ehemaligen Seebad Opatija an der kroatischen „Riviera“ kann die
überlastete kleine Küstenstraße die planungslose Baupolitik an den
malerischen Hängen des Učka-Gebirges längst nicht mehr verkraften. Wegen
der fortschreitenden Versiegelung hat Opatija in diesem Winter nach
heftigen Regenfällen große Überflutungen erlebt.
## Heliumballon in 116 Meter
Weil die Kommunen wenig Geld für Infrastruktur und kluge Stadtentwicklung
haben, unterwerfen sie sich dem Willen privater Investoren. „Rijeka ist
verzweifelt“, beschreibt Davor Mišković von der Nichtregierungsorganisation
Drugo More (Das andere Meer) die Stimmung in seiner Heimatstadt, die aus
der Strukturkrise nicht herausfindet.
Noch hat Loredana Varljen Hoffnung, dass das Kantrida-Projekt verhindert
werden kann. Die Bürgerinitiative sammelt im 5.000 Einwohner großen
Stadtteil unverdrossen weiter Unterschriften gegen den Bau der drei
Hochhäuser. Am Silvesterabend hat die Gruppe ein für alle sichtbares
Zeichen gesetzt. Ein Heliumballon schwebte auf genau 116 Meter hoch, um zu
zeigen, wie mächtig der größte Wolkenkratzer tatsächlich werden soll. Denn
HNK-Eigentümer Mišković und das von ihm beauftragte Architektenbüro haben
in den Visualisierungen das Projekt „geschönt“ – oder einfach manipulier…
Statt der geplanten 35 Stockwerke sind auf den Bildern nur 14 zu sehen.
2 May 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Thomas Maier
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