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# taz.de -- Kroatiens WM-Sommermärchen: Fast alle besiegt – ganz ohne Tote
> Seit der Fußball-WM hisst Kroatien die Flagge, ohne dass ein
> Kriegstribunal eingeschaltet werden muss. Die Jungen haben die alten
> Geschichten satt.
Bild: Praktisch das ganze Land war dort: Weltmeister-Feier in Zagreb
BERLIN taz | Kroatien erlebt gerade sein Sommermärchen. Trotz des
[1][Faschorockers Thompson] im Bus der Fußballnationalmannschaft. Das
bedeutet nicht, dass jetzt alle Hippies, Linke und Vorzeigedemokraten
werden. Es bedeutet, dass der junge Staat zum ersten Mal landesweit das
Schachbrett hisst, ohne dass ein Kriegsverbrechertribunal eingeschaltet
werden muss. Nicht viel mehr und nicht viel weniger. Und das ist sehr viel.
Die meisten Landsleute, die so wie ich wegen des derben kroatischen
Nationalismus das Nationalwappen nicht mal aus der Ferne sehen konnten,
haben sich im Laufe der WM zu Fans entwickelt. Ich auch. Vor allem zu einem
Fan der Hoffnung, dass die Erzählung der stolzen Kroaten endlich nicht mehr
von Kriegsveteranen und Rechtsradikalen, von Rassismus, Chauvinismus und
Antisemitismus dominiert wird.
Fan von der Hoffnung, dass sich die Nation nicht mehr darüber definieren
muss, für ihre Unabhängigkeit über Leichen gegangen zu sein. Fan von der
Hoffnung, dass die Kroaten stolz darauf sind, die ganze Welt außer
Frankreich besiegt zu haben. Und das – jedenfalls Stand Dienstag, 17. Juli,
12 Uhr mittags – ganz ohne Tote.
Acht Stunden brauchte der Bus mit den Spielern, um vom Zagreber Flughafen
auf den zentralen Platz der Hauptstadt zu kommen. Über eine halbe Million
Menschen, also praktisch das ganze Land, war auf den Beinen. Dass aber der
außerordentlich populäre Faschorocker Thompson im Bus der Fußballer
mitfuhr und auf der Bühne im Zentrum Zagrebs stand, erleben viele, die sich
gerade mit der kroatischen Nation zu versöhnen begannen, als Schlag ins
Gesicht.
## Das älteste Team
Und dann war es auch noch ausgerechnet der Spieler, der am meisten für die
Mannschaft auf dem Platz getan hatte, Luka Modrić, der den Sänger einlud.
Als am Abend dann endlich alle auf der Bühne standen, war es ebenfalls
Modrić, der den Sänger nach vorne holte und ihn bat, zu singen.
Doch die Hunderttausende Fans, die die ganze Stadt zu einem einzigen
Schachbrett machten, hatten darauf offensichtlich wenig Lust. Sie sangen
einfach selbst weiter. Der Sänger brüllte ein Mal kurz irgendwas ins Mikro,
merkte aber, dass er nicht ankam, und gab das Mikro schnell wieder an
Modrić zurück.
Diese kleine Szene bedeutet ganz sicher nicht das Ende des Chauvinismus in
Kroatien oder von Thompson. Aber wenn an diesem Montag jemand einen Schlag
ins Gesicht bekommen hat, dann ist es dieser Sänger. Die Fans wollten den
bisherigen Nationalheiligen nicht feiern.
Man kann das als ein kleines Zeichen dafür werten, dass in Kroatien die
Zeiten fürs Erste vorbei sind, in denen man für faschismusverherrlichende
Lieder und Texte gefeiert wird. Bezeichnenderweise war die kroatische
Mannschaft die im Durchschnitt älteste des ganzen Turniers. Die kroatischen
Spieler gehören der Generation an, die als Kinder den Krieg in den 90er
Jahren erlebt haben. Die nächste Generation aber ist es, die seit Sonntag
in Scharen auf den Straßen steht und die – dafür gab und gibt es immer
wieder Anzeichen – der alten Erzählungen überdrüssig ist.
In Deutschland aber sprach man vor allem vom Nationalismus der Kroaten und
„irgendwelchen schlimmen Liedern“, die in deren Umkleidekabine gehört
werden. Als ob die Umkleidekabine so was wie die Wahlurne ist und eine
ganze Gesellschaft zu repräsentieren vermag. Wenig interessiert man sich
dafür, was so eine große WM mit so einem kleinen Land machen kann. Wenn
aber der Fußball gesellschaftlich bewegen kann, dann werden wir in Kroatien
etwas davon merken.
17 Jul 2018
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## AUTOREN
Doris Akrap
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