# taz.de -- Nach dem WM-Finale: Fußball aus einem Guss | |
> Frankreich ist Weltmeister, Pussy Riot ist wieder da und Putin lässt | |
> andere gern im Regen stehen. Das war der Finaltag in Moskau. | |
Bild: Alle werden nass, nur einer nicht: Wladimir Putin | |
MOSKAU taz | Was bleibt? Das ist die große Frage nach jeder | |
Fußball-Weltmeisterschaft. [1][Das Finale ist gespielt], Frankreich ist | |
Weltmeister. Den Spielern, die das geschafft haben, ist ewiger Fußballruhm | |
gewiss. Der bleibt ihnen auf jeden Fall. Und sonst? | |
Wird die Art, wie Frankreich gewonnen hat, den Fußball der nächsten Jahre | |
prägen? Wird immer verloren sein, wer so aufspielt wie die Kroaten bei | |
ihrer 2:4-Niederlage im Endspiel? Das sind die großen Fragen, die das Spiel | |
betreffen. Aber ist die WM überhaupt durch das Spiel entschieden worden? | |
[2][Die videogestützte Schiedsrichtere]i, auch sie wird uns als Thema | |
erhalten bleiben. | |
Und weil es den Aktivistinnen von Pussy Riot nach Olympia 2014 mit ihrem | |
Platzsturm wieder gelungen ist, ein Sportereignis zu entern, Politik zu | |
machen, mitten im Spiel die Freilassung politischer Gefangener zu fordern, | |
sich für Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht einzusetzen, wird | |
sich jeder, der sich auch in 100 Jahren dieses Finale ansieht, fragen, was | |
das nur für ein Land war, in dem dieses Turnier stattgefunden hat. Die WM | |
2018 hatte ein Finale, wie es würdiger nicht sein hätte können. | |
Natürlich wurde schon mit Schlusspfiff diskutiert, wie die Franzosen es | |
schaffen konnten, eine Mannschaft aus Spielern so unterschiedlicher | |
Herkunft zu zimmern. Auch so ein Thema dieser Weltmeisterschaft, das im | |
Endspiel noch einmal zu Gemüte ging. Es war eine ganze Weltmeisterschaft | |
kondensiert auf ein Spiel. | |
Der Fußball mit all seinen Nebenerscheinungen in 90 Minuten – plus Party. | |
Doch, es wird einiges bleiben von diesem Moskauer Abend, der bei schwüler | |
Hitze begann und im Platzregen endete. Auch das Wetter war extrem im Finale | |
dieser extremen WM. | |
## Was ist gerecht? | |
„Das ist Fußball.“ Der Satz wird gerne bemüht, wenn jemand eine Erklärung | |
für etwas liefern soll, für das es eigentlich keine Erklärung gibt. Nach | |
dem für ihn so bitteren Finale war es Kroatiens Trainer Zlatko Dalic, der | |
ihn bemüht hat. Es ging um die vielleicht merkwürdigste Halbzeit dieser WM. | |
Eine Mannschaft spielt Fußball, die andere geht mit einer Führung in die | |
Pause. So etwas gibt es regelmäßig. Das ist Fußball, da hat Dalic schon | |
recht. | |
Aber dies war die erste WM, in der es eine geänderte | |
Schiedsrichterentscheidung war, die zum Pausenstand von 2:1 geführt hat. | |
Der Videobeweis hat eine Hauptrolle im WM-Endspiel übernommen. | |
[3][Über das Handspiel von Ivan Perisic] im Strafraum hätte die Fußballwelt | |
auch gestritten, wenn es keinen Videobeweis gäbe. Es wäre auch darüber | |
diskutiert worden, ob die Entscheidung von Schiedsrichter Nestor Pitana | |
richtig gewesen wäre, wenn er bei seinem ursprünglichen Plan geblieben wäre | |
und auf Abstoß entschieden hätte. Am Ende hat es über vier Minuten | |
gedauert, bis Pitana nach dem Studium von etlichen Zeitlupen auf Elfmeter | |
für Frankreich entschieden hat. Eine vertretbare Entscheidung, gewiss. Aber | |
vertretbar wäre es auch gewesen, den Elfer nicht zu geben. | |
„Einen solchen Elfmeter gibt man nicht in einem WM-Finale“, meinte Dalic. | |
Das ist nicht der Satz der bleiben wird. Die Frage, ob es wirklich nötig | |
ist, ein Spiel vier Minuten lang zu unterbrechen, um zu einer Entscheidung | |
zu gelangen, die anders auch hätte ausfallen können, die wird bleiben. Am | |
Sonntag war es dann so, dass Frankreich mit einer 2:1-Führung in die Pause | |
gegangen ist, und weil es ein Kroate war, der das erste Tor für Frankreich | |
besorgt hatte, standen zwei Treffer auf ihrer Habenseite, obwohl sie nur | |
einmal – beim Handelfmeter – aufs Tor geschossen hatten. Aber so ist er | |
eben, der Fußball. Und der Videobeweis ist eben auch so. Man weiß nicht, ob | |
gerecht ist, was hinten rauskommt. | |
## Einfach trainierbare Defensive | |
Weil die Kroaten, wie sie es in den drei K.o.-Spielen zuvor und nach dem | |
0:1 im Finale schon wieder getan hatten, nicht noch einmal die Kraft | |
aufbringen konnten, zurückzuschlagen, wurden die Franzosen am Ende | |
Weltmeister. Sie haben es wie in vielen Spielen bei dieser WM gemacht. Sie | |
haben den Gegner kommen lassen, haben sich zurückgezogen, um auf die | |
Momente zu warten, um zu kontern, wenn es sich ergibt. | |
Weil die Kroaten den Ball haben durften, konnte noch einmal bewundert | |
werden, welch großartiger Spieler Luka Modric ist. Er ist der kompletteste | |
Fußballer, den die Welt derzeit hat. Seine Pässe sind so gut wie sein | |
Gegenpressing, seine Übersicht so gigantisch wie sein Laufvermögen, seine | |
Ballsicherheit so sehenswert wie seine Tacklings. Die Trophäe für den | |
besten Spieler des Turniers, die er bei der Siegerehrung bekam, wird ihn | |
nicht über die Finalniederlage hinwegtrösten. Er hat das Spiel gemacht und | |
doch verloren. | |
Auch das ein Thema, das bleiben wird. Das Spielmachen scheint sich nicht | |
mehr zu lohnen. Frankreichs Weltmeistertrainer Didier Deschamps hat das vor | |
der WM erkannt und sein Team im Reaktionsfußball unterwiesen. Dem | |
Weltmeistertrainer wird zugehört, wenn er erklärt, warum der | |
Ballbesitzfußball nicht mehr funktioniert. Der hat festgestellt, dass viele | |
Mannschaften mit gut organisierter Verteidigung zum Turnier angereist sind. | |
Die Defensive ließe sich ja auch relativ einfach trainieren, so Deschamps. | |
Das war immer schon so. | |
Was sich geändert habe, sei die Athletik. Früher konnten Mannschaften, die | |
den Ball zirkulieren ließen, darauf setzen, dass ihre Gegner es irgendwann | |
einfach nicht mehr schaffen würden, dem Ball, der ihnen vor der Nase hin- | |
und hergepasst wird, hinterherzulaufen. Das ist vorbei. Fußball ist noch | |
athletischer geworden. Der Trainer, der diese Erkenntnis am effektivsten in | |
eine eigene Spielphilosophie übersetzt hat, ist jetzt Weltmeister. Man darf | |
das verdient nennen. | |
## Putin lässt warten | |
Deschamps hat aber auch das Glück, dass er Spieler in seinem Team hat, die | |
wie geschaffen scheinen für seine Art der Herangehensweise ans Spiel. | |
Kylian Mbappé, das neue Phänomen im Weltfußball wird noch so manchen | |
Verteidiger überlaufen. Wie er Schnelligkeit mit Ballgefühl und | |
Schussicherheit zu paaren weiß, ist einmalig. Mit 19 ist er jetzt | |
Weltmeister geworden. | |
„Ich stehe erst am Anfang“, sagte er nach dem Spiel. Er wird dem Fußball | |
noch lange erhalten bleiben. Mit 27 ist auch Antoine Griezmann noch nicht | |
einer der Ältesten. Effektiver kann man kaum spielen. Natürlich hat er den | |
Elfmeter zum 2:1 verwandelt („Das mache ich immer so. Das klappt zur Zeit | |
ganz gut!“) und wieder mal zwei Tore vorbereitet. Aber weil der beste | |
Franzose an diesem Tag der unfassbar konzentrierte Sechser Paul Pogba war, | |
der das vorentscheidende 3:1 selbst besorgt hat, kann man Deschamps nur | |
zustimmen, wenn er sagt: “Wir haben als Team gewonnen.“ Das ist geblieben | |
seit 2014. Auch die Deutschen hatten damals als Gegenmodell zum Starfußball | |
den Titel gewonnen. | |
Am Tag des Triumphs ist es müßig darüber zu diskutieren, ob der Fußball | |
schön ist, den Frankreich bei diesem Turnier aufs Feld gebracht hat. Was | |
feststeht: Besser war keiner in diesem Jahr. Und besser jubeln hätte auch | |
keiner können als die Franzosen. Die tanzten in den Pressekonferenzraum, | |
als Deschamps gerade anfangen wollte, klug daherzureden. „Das sind junge | |
Leute, die wollen feiern“, sagte er, nachdem ihn seine Spieler aus ihren | |
Trinkflaschen nassgespritzt hatten. | |
Sie hätten sicher gerne auch mehr auf dem Platz gefeiert. Doch nach den | |
ersten Ehrenrunden, kamen die Zeremonienmeister der Fifa und postierten die | |
Franzosen neben der Bühne für die Siegerehrung. Dann hieß es warten, | |
warten, warten. So wie jeder warten muss, der einen Termin mit Russlands | |
Staatspräsident Wladimir Putin hat, hatten auch sie sich den | |
ungeschriebenen Spielregeln des Präsidenten unterzuordnen. Als der sich | |
endlich bequemte, zur Siegerehrung den Platz zu betreten, war das Spiel | |
schon länger als eine Dreiviertelstunde vorbei. | |
So macht das einer, der immer zeigen will, wer der Herr im Haus ist. Dass | |
er bei der Zeremonie im Platzregen, dann auch noch der einzige war, der | |
unter einem Schirm stand, während die Staatschefs aus Frankreich und | |
Kroatien bald pitschnass waren, passte zu diesem unwürdigen Auftritt. Ganz | |
zum Schluss hat die WM noch einmal ihre hässliche Fratze gezeigt. Auch | |
dieses Bild wird bleiben. | |
16 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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