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# taz.de -- Studie zu Abtreibungen: Im Emsland nichts Neues
> Nach der Elsa-Studie gehört Niedersachsen zum Mittelfeld bei der
> Versorgung von Schwangerschaftsabbrüchen. Doch manche Regionen stehen
> schlechter da.
Bild: Hier geht’s zur Notaufnahme: Der Weg zum Schwangerschaftsabbruch ist vi…
Bremen/Meppen/Nordhorn taz | Als vor einer Woche [1][die Ergebnisse der
Elsa-Studie] zu Schwangerschaftsabbrüchen in einem sechsstündigen
Video-Meeting vorgestellt wurden, saß Dagmar Wölk-Eilers zu Hause im
Emsland vor dem Monitor, als eine von Hunderten Zuschauenden. Sie hörte,
was sie seit über 20 Jahren weiß, seitdem sie Frauen berät, die eine
Schwangerschaft abbrechen wollen: dass es in ihrer Region weit und breit
keine Praxis, keine Klinik gibt, die ihnen hilft.
Das hatte sie vor sieben Jahren bereits der taz erzählt, als diese [2][als
bundesweit erstes Medium] über die Versorgungslücken beim
Schwangerschaftsabbruch in Deutschland berichtet hatte. Die sind nicht nur
in Südostbayern besonders groß, wie es jetzt oft in Medienberichten heißt,
sondern auch im Westen Niedersachsens. Je nachdem, wo sie wohnen, müssen
Frauen dort 100 Kilometer und mehr fahren bis zur nächsten Praxis oder
Klinik, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt.
Die Frage, wie es die Situation im Sinne der dort lebenden Frauen zu
verbessern gedenke, beantwortete Niedersachsens Gesundheitsministerium bis
2021 mit der Formel: „Dem Ministerium liegen keine Informationen über
Versorgungslücken im Land Niedersachsen vor.“
Das kann es nun nicht mehr tun. Niedersachsen gehört nach den Ergebnissen
der Elsa-Wissenschaftler:innen, die im Auftrag der Bundesregierung erstmals
den Versorgungsgrad untersucht haben, zwar zu den sechs Bundesländern im
Mittelfeld. Schlechter versorgt sind danach Frauen in Bayern,
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. In den anderen drei norddeutschen
Bundesländern wird der Versorgungsgrad als hoch eingestuft.
Es gibt aber in Niedersachsen mehrere Regionen, in denen die Anfahrtswege
mit dem Auto mehr als 40 Minuten betragen. Dieses Kriterium hatten die von
der Hochschule Fulda koordinierten Wissenschaftler:innen entwickelt
und sich dabei an den Vorgaben für die Erreichbarkeit gynäkologischer
Praxen orientiert. Der Grund für dieses Vorgehen: Der Gesetzgeber hat die
Länder nur verpflichtet, ein ausreichendes Angebot sicherzustellen, ohne
„ausreichend“ zu definieren.
## Ungleiche Verteilung in Niedersachsen
Mehr als 40 Minuten zur nächsten Praxis oder Klinik fahren ungewollt
Schwangere mit Wohnsitz an der Elbemündung, im Wendland, im Harz, an den
Küsten und in Westniedersachsen. Die Wissenschaftler:innen hatten
zusätzlich ausgerechnet, wie viel Prozent der Bevölkerung eines Landkreises
in einer solchen besonders schlecht versorgten Region leben. Diese
Ergebnisse liegen der taz vor.
Im Emsland sind dies 45,7 Prozent, in der Grafschaft Bentheim 30,1
Prozent, in Cloppenburg 26,1 Prozent, in Lüchow-Dannenberg 20 Prozent. In
allen anderen Landkreisen sind es unter sechs Prozent. In
Schleswig-Holstein ist der Versorgungsgrad in nur einem Landkreis ähnlich
niedrig: in Nordfriesland mit 21,5 Prozent. In Bayern gibt es Landkreise,
in denen 100 Prozent der Bewohner:innen betroffen sind.
Bei der Vorstellung der Ergebnisse am Mittwoch vergangener Woche hatten die
Wissenschaftler:innen zu bedenken gegeben, dass zum einen nicht alle
Menschen über ein Auto verfügen und zum anderen die Wege deutlich länger
sein können, wenn es in der nächstgelegenen Praxis oder Klinik keinen
zeitnahen Termin gibt.
„Die Frauen fallen aus allen Wolken, wenn sie von uns hören, wo sie zum
Abbruch hin müssen“, erzählt Wölk-Eilers, die mit ihrer Kollegin Anja
Mählmann den Bereich Schwangerschaftskonfliktberatung beim Diakonischen
Werk Emsland-Bentheim leitet. Wölk-Eilers arbeitet in Meppen, 20 Kilometer
vor der niederländischen Grenze gelegen, Mählmann etwas weiter südlich nahe
Nordrhein-Westfalen im Grenzort Nordhorn.
## Beraterinnen fahren Frauen zur Klinik
Sie listen im Zoom-Gespräch mit der taz auf, was die Betroffenen neben der
Fahrt – für deren Kosten sie selbst aufkommen müssen – organisieren müss…
eine Begleitperson, wenn es sich um einen chirurgischen Eingriff in
Vollnarkose handelt und in vielen Fällen die Betreuung von Kindern über
mehrere Stunden oder einen ganzen Tag. Und das nicht selten zweimal, weil
manche Einrichtungen das medizinische Aufklärungsgespräch vor der OP auf
einen anderen Tag legen.
Die Klinik in Osnabrück bestelle ihre Patientinnen grundsätzlich um sieben
Uhr morgens ein, egal, wann der Eingriff sei, erzählt Mählmann, die seit 15
Jahren in der Schwangerschaftskonfliktberatung arbeitet. Der erste Zug aus
Nordhorn, mit dem man mit Umstieg in Bad Bentheim um 6.45 Uhr am
Hauptbahnhof in Osnabrück ist, fährt um 5.30 Uhr. „Der fällt aber oft aus
und dann stehen Sie da, haben alles organisiert, sind aufgeregt und wissen,
jetzt geht der Stress von vorne los und Sie brauchen einen neuen Termin und
den möglichst bald.“
Es gibt immer wieder Fälle, in denen die Frauen niemanden haben, der ihnen
hilft, weil sie den Abbruch geheim halten aus Angst, angefeindet oder zum
Austragen überredet oder gezwungen zu werden. Manche sind nicht mobil,
[3][weil keine öffentlichen Verkehrsmittel existieren] und sie sich ein
Taxi nicht leisten können. Das sind oft Frauen in prekären Lebenslagen, die
arm sind, wenig oder kein Deutsch sprechen.
„Dann springen wir notgedrungen ein“, sagt Wölk-Eilers. Etwa ein- bis
zweimal im Jahr komme dies vor. Ihre Kollegin Mählmann erinnert sich an
drei Frauen im vergangenen Jahr. Die Beraterinnen holen sie dann im eigenen
Auto ab, außerhalb ihrer Dienstzeiten, müssen andere berufliche und private
Termine absagen. Ihre Aufgabe ist dies nicht. „Aber was sollen wir machen,
wenn sie in der Beratung vor uns sitzen, und wir wissen, wenn wir es nicht
machen, macht es niemand?“, fragt Mählmann.
## Von der Politik ignoriert
Aus beiden Frauen spricht viel Ratlosigkeit. „Was muss passieren, damit
sich endlich etwas ändert?“, fragt Wölk-Eilers. Noch nie habe sich eine
Politikerin oder ein Politiker vor Ort bei ihnen über die Situation
informiert, mal nachgefragt, ob es stimmt, was die taz seit 2017 berichtet,
weder ein:e Parlamentarier:in noch ein:e Gesundheitsministerin, in
Niedersachsen auch verantwortlich für die Gleichstellung von Frauen.
Dabei zeigt das Beispiel Bremen, dass es möglich ist, mehr Ärzt:innen
dafür zu gewinnen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. 2018 gab es nach
Angaben des statistischen Bundesamtes im Bundesland Bremen nur 13 Stellen,
die Schwangerschaftsabbrüche gemeldet hatten. Diese Zahl stieg sukzessive
auf 23 im vergangenen Jahr.
Allerdings arbeiten in Bremen, anders als in Niedersachsen, sowohl die
Landesärztekammer als auch der Berufsverband der Frauenärzte sowie die
Politik daran, die Bedingungen für ungewollt Schwangere zu verbessern. Im
Landtag stimmten selbst Politiker:innen von FDP und CDU nach [4][einer
bemerkenswert sachlichen Debatte] mit Grünen, Linken und SPD für ein
Gesetz, das das Land Bremen verpflichtet, „bedarfsgerechte Angebote zur
Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherzustellen.
20 Apr 2024
## LINKS
[1] /Daphne-Hahn-zum-Stigma-der-Abtreibung/!6000665
[2] /Abtreibung-in-Deutschland/!5386152
[3] /Verkehrsministerkonferenz-in-Muenster/!6001922
[4] https://www.bremische-buergerschaft.de/dokumente/wp20/land/protokoll/P20L00…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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