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# taz.de -- Poesie des Alltags: Das Pflänzchen
> Es ist aufschlussreich, hinter den Menschen herzugehen. Manchmal verraten
> sie von hinten mehr von sich, als von vorn. Und machen zauberhafte Dinge.
Bild: Kann sein, dass das Pflänzchen gar kein Pflänzchen ist. Sondern ein Zau…
Da geht er. Schwerfällig. Auf seinem Hinterkopf ein weißer Haarkranz, ein
rundes, gerötetes Stück Kopfhaut in der Mitte. Darunter ein roter, dicker
Nacken. Vielleicht hatte er zu viel Sonne, vielleicht hat er hohen
Blutdruck. Gelbes, sattes Frühlingslicht ergießt sich über den Bürgersteig.
Da geht er. Vielleicht ein Mensch in seinen Sechzigern. Vielleicht ein
Mensch, den man sich in einem Kleingarten vorstellen könnte. An einem
Grill. In einem Gespräch, in dem er Recht behalten will.
Da geht er. Schnell genug, um das Überholen schwer zu machen, langsam
genug, dass es ungeduldig macht, hinter ihm zu gehen. Einmal dreht er sich
kurz, ein Blick, der wissen will, was da hinter ihm ist.
Es bleibt also dieser Mensch von hinten. Menschen verraten von hinten mehr
von sich als von vorn. Sie zeigen ihren Rücken, offenbaren ihre Haltung.
Da geht er. Seine [1][Jeans] fallen unförmig, seine Füße stecken in
klobigen Sandalen. Nichts an den Dingen, die um ihn sind, scheinen nach
[2][Schönheit] ausgesucht. Oder ist es eine Schönheit, die nur er kennt?
Da geht er. Ein schwerer Mensch. Ein fester Mensch. Es ist unrechtens,
Menschen, die auf den ersten und auch über einen langen Blick hinweg plump
wirken, plumpe Gedanken zu unterstellen. Plumpe [3][Gefühle].
## Ein Kind in seiner Welt
Da geht er. Er hebt seine rechte Faust, eine schwere Faust, eine rote
Faust. Er streckt sie zur Seite an die Steinmauer. Dann dreht er seinen
Daumen. Ein Pflänzchen kommt hervor. Ein Zweiglein. Eine zarte Spitze lugt
aus seiner Hand.
Es ist in diesem Moment, als würde sich etwas öffnen. Als würde wie aus
Stein durch einen dünnen Riss etwas Zartes emporsprießen.
Leicht hält der Mensch das Pflänzchen zwischen Daumen und Zeigefinger,
dreht es in seiner roten Hand. Er muss es abgezupft haben von einem
Strauch. Vielleicht hat er es auch gefunden. Er gleitet mit dem Pflänzchen
die Hauswand entlang. Vorsichtig. Grün streift Stein. Als könnte das Grün
die Mauer verzaubern. Während er geht, bleibt da jetzt diese Bewegung,
diese Berührung. Er sieht nach unten, zu seinem Pflänzchen. Ein Blick, der
liebevoll, respektvoll etwas Lebendiges anschaut. Ein kleiner Hund könnte
da neben ihm entlanglaufen.
Da geht er. Ein Kind. Ganz bei sich. Ein Kind in seiner Welt. Die Mauer
endet, das Kind senkt das Pflänzchen, dreht es leicht, als würde es damit
zart der Bewegung eines inneren Gedanken folgen.
Ein Zaun kommt, das Kind hebt wieder die Hand. Streift mit dem Pflänzchen
über die Holzlatten. Das Pflänzchen ist kein Pflänzchen. Es ist ein
Zauberstab, der verändert, solange er berührt.
Ein Strauch kommt. Seine andere Hand greift nach einem neuen Blättchen.
Reibt es vorsichtig zwischen Daumen und Mittelfinger, riecht daran. Belässt
dann das Blättchen an seinem Strauch.
Dann scheint es sich zu erinnern, dass da jemand hinter ihm ist. Dass es
weitermachen muss, nicht trödeln darf.
Da geht es.
Es hebt sein Pflänzchen wieder, streift damit die nächste Hauswand. Die
Sonne wirft ihre Strahlen auf dieses Kind. Es läuft langsam genug, um jede
Pflanze zu erkennen. Schnell genug, um nicht zu stören.
Eine Straßenecke kommt. Das Kind biegt ab.
Sandalen. Roter Nacken. Feste Hände. Grünes Pflänzchen.
Dann ist es verschwunden.
1 May 2024
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## AUTOREN
Christa Pfafferott
## TAGS
Kolumne Zwischen Menschen
Poesie
Alltag
Pflanzen
Kinder
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